Plattenkritik: Mei Semones – Animaru (Bayonet Records) - Drehleiter aus dem Doomhole

Eine Zukunft mit Bossa Nova ist möglich. Die Gitarristin und Songschreiberin Mei Semones ist, wenn nach ihr gegoogelt wird, offenbar Internetpersönlichkeit, so will es uns zumindest der Algorithmus mitteilen. Für eine Künstlerin, die nun ihr Debütalbum veröffentlicht und schon über fast 120k Follower auf Instagram verfügt, ist das gewiss eine gute Ausgangsbasis. Andere würden dafür töten. Aber, von nichts kommt oft wirklich nichts: Semones hat in Berklee studiert und verzaubert ihre Followership mit ihrem virtuosen jazzigen Gitarrenspiel. Die 24-Jährige ist aber zuallererst – und das beweist ihr Album – eine begnadete Musikerin und Songschreiberin. „Animaru“ ist der hoffnungsvolle Chamber Pop dieses Jahrzehnts. Softer Matcha-Cheesecake statt zugequalmte Salzstangen. Die Musik ist bedacht, inspiriert gespielt und Mei Semones wandelt zwischen Bossa Nova, Folk, pedaligem Indie, Jazz und allen anderen Gitarrenmusik wie andere nachts auf die Toilette. Nicht nur sprachlich bewegt sich Mei Semones zwischen den USA und Japan. Auch harmonisch und in den Strukturen spielt J-Pop eine große Rolle. Für dieses Album möchte man nochmal viel Zeit unter der Woche haben. Einfach mal Fahrrad und Auto fahren, also einfach mal losfahren, den Blick aus dem Fenster mit Wasserfarbe retuschieren, oder mit dem Zug nach Köln und Semesterwochenstunden an einer Hand abzählen. Astrud Gilberto aus vergangenenen Jahrzehnten vergöttern. Ich erinnere mich an großartige Zeiten mit Musik aus Glasgow, an College-K-Pop, der mit Bands wie Nell spannend und neu war. Mei Semones kann von dieser Zeit so gut wie nichts wissen. Das Bossa-Nova-Revival in den Clubs, Easy-Listening auf den Dancefloors, sitzende DJs mit ganz viel Selbstgedrehten. Mich versetzt es charmant dorthin, viele andere mögen andere Geschichten und Zeiten darin lesen. Aber das macht zeitlose Musik bekanntlich zeitloser. Und wie schön es ist, dass schöne, fast kitschige Dinge, einfach wieder schön sein können. Das ist hier vielleicht die größte Kunst.

Mai 5, 2025 - 14:41
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Plattenkritik: Mei Semones – Animaru (Bayonet Records) - Drehleiter aus dem Doomhole
Mei Semones Animaru

Eine Zukunft mit Bossa Nova ist möglich.

Die Gitarristin und Songschreiberin Mei Semones ist, wenn nach ihr gegoogelt wird, offenbar Internetpersönlichkeit, so will es uns zumindest der Algorithmus mitteilen. Für eine Künstlerin, die nun ihr Debütalbum veröffentlicht und schon über fast 120k Follower auf Instagram verfügt, ist das gewiss eine gute Ausgangsbasis. Andere würden dafür töten. Aber, von nichts kommt oft wirklich nichts: Semones hat in Berklee studiert und verzaubert ihre Followership mit ihrem virtuosen jazzigen Gitarrenspiel. Die 24-Jährige ist aber zuallererst – und das beweist ihr Album – eine begnadete Musikerin und Songschreiberin. „Animaru“ ist der hoffnungsvolle Chamber Pop dieses Jahrzehnts. Softer Matcha-Cheesecake statt zugequalmte Salzstangen. Die Musik ist bedacht, inspiriert gespielt und Mei Semones wandelt zwischen Bossa Nova, Folk, pedaligem Indie, Jazz und allen anderen Gitarrenmusik wie andere nachts auf die Toilette.

Nicht nur sprachlich bewegt sich Mei Semones zwischen den USA und Japan. Auch harmonisch und in den Strukturen spielt J-Pop eine große Rolle. Für dieses Album möchte man nochmal viel Zeit unter der Woche haben. Einfach mal Fahrrad und Auto fahren, also einfach mal losfahren, den Blick aus dem Fenster mit Wasserfarbe retuschieren, oder mit dem Zug nach Köln und Semesterwochenstunden an einer Hand abzählen. Astrud Gilberto aus vergangenenen Jahrzehnten vergöttern. Ich erinnere mich an großartige Zeiten mit Musik aus Glasgow, an College-K-Pop, der mit Bands wie Nell spannend und neu war. Mei Semones kann von dieser Zeit so gut wie nichts wissen. Das Bossa-Nova-Revival in den Clubs, Easy-Listening auf den Dancefloors, sitzende DJs mit ganz viel Selbstgedrehten. Mich versetzt es charmant dorthin, viele andere mögen andere Geschichten und Zeiten darin lesen. Aber das macht zeitlose Musik bekanntlich zeitloser. Und wie schön es ist, dass schöne, fast kitschige Dinge, einfach wieder schön sein können. Das ist hier vielleicht die größte Kunst.