Journal Mittwoch, 23. April 2025 – Der Zauber eines Schriftzugs
Nach gutem Schlaf einige Minuten vor Wecker erfrischt aufgewacht. Erster Gedanke: Diese Minuten könnte ich für Schuheputzen nutzen! Meine weißen Leder-Turnschuhe hatten das schon seit längerem nötig, aber immer wenn es mir auffiel, war gerade keine Zeit. Jetzt dachte ich wunderbarerweise in einem Moment dran, in dem ich Zeit dafür hatte! Warum auch immer! Malerischer […]

Nach gutem Schlaf einige Minuten vor Wecker erfrischt aufgewacht. Erster Gedanke: Diese Minuten könnte ich für Schuheputzen nutzen! Meine weißen Leder-Turnschuhe hatten das schon seit längerem nötig, aber immer wenn es mir auffiel, war gerade keine Zeit. Jetzt dachte ich wunderbarerweise in einem Moment dran, in dem ich Zeit dafür hatte! Warum auch immer!
Malerischer Himmel in Blau-weiß auf dem Weg in die Arbeit.
Wenn ein Schriftzug dich 40 Jahre jünger fühlen lassen kann und dich umgehend in ein Autoscooter-Wägelchen unter Diskokugel setzt:
Im Büro geordnetes Arbeiten, Geplantes und Ungeplantes in guter Mischung.
Mittagscappuccino im Westend, Fußmarsch in angenehmer, leicht sonniger Luft.
Zu Mittag gab es einen Rest-Kanten Dänenbrot (harte Körner gut gekaut), Mango mit Sojajoghurt.
In der neuen und hoffentlich letzten Hausarztpraxis jemals zum ersten Mal um Rezepte gebeten. Bei Anruf verwies mich ein AB (vom Arzt selbst besprochen) auf ein Online-Formular für Rezeptbitten bei Dauerrezepten. Schon im dritten Browser, den ich verwendete, funktionierte das Absenden des Formulars. Kurz darauf telefonische Nachfrage einer Praxis-Angestellten wegen eines Details, Donnerstag nach Feierabend kann ich die Rezepte abholen. Das System gefällt mir.
Den ganzen Nachmittag über konnte ich das Bürofenster gekippt lassen, ideale Außentemperatur. Die böse Wade fühlte sich bei Renn-Einsätzen (drohende rote Fußgängerampeln) leider nicht so an, als würde sie die geplante Laufrunde vor der Arbeit am Donnerstagmorgen mitmachen – ach meia!
Leider konnte ich auch noch meinen beruflichen Erfolg vom Dienstag nicht wiederholen: Nach der Kanne Kräutertee (die ich mir nach der Riesentasse Schwarztee am Morgen aufgebrüht hatte) brauchte ich bis Feierabend zusätzlich ein Glas Wasser.
Auf dem Heimweg kurzer Schlenker über einen Drogeriemarkt. Zu Hause Abendsport: Ich lege sieben Einheiten Pilates ein, ein weiteres Mal die Pilates-Woche mit Gabi Fastner. Die erster davon fühlte sich super an (das Zwicken und Rumpeln im Kreuz konnte ich gut ignorieren, Sorge nur über die Warnungen aus der bösen Wade, wenn ich mich auf Zehenspitzen hochschob) und hob meine Laune.
Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmammsell die letzten Stücke des halben Schafes langsam gegart, das er für die jüngste Einladung gekauft hatte und die in der Gefriere Platz weggenommen hatten. Schmeckte nochmal ausgezeichnet. (Jetzt sehne ich mich aber wirklich nach einer Weile fleischfrei.) Nachtisch reichlich Osterschokolade.
Mein Pech mit Ferienwohnungen hält an. Ende August mache ich mit Herrn Kaltmamsell eine Woche Wien-Urlaub. Ich folgte der Empfehlung einer Ferienwohnung auf Airbnb und fragte für die als frei gekennzeichnete Woche an. Antwort: “Leider hat meine Frau die Wohnung zu diesem Zeitpunkt bereits Freunden versprochen. Ich habe es noch nicht auf Airbnb eingetragen.” Hm, hm.
Schon zum Abendessen hörte ich Regentropfen, das Geräusch hielt zumindest eine Stunde an.
Neue Lektüre im Bett das Granta, das gestern der Postbote gebracht hatte: Ausgabe 171 hat das Thema “Dead Friends”.
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Jeanette Winterson, Oranges Are Not The Only Fruit.
Für mich las sich der Roman von 1985 seltsam veraltet, vielleicht sieht man daran, wie stark sich seither die Stellung von Lesben in der Gesellschaft verändert hat. Vor allem aber kam ich mit der Erzählstimme nicht klar. Der Roman erzählt in der ersten Person die Geschichte von Jeanette, die als Adoptivtochter bei einer missionarisch-evangelikalen Christin im Lancashire der 1970er (?) aufwächst (der Vater taucht nur als Erwähnung auf). Und die sich als Teenager in Mädchen verliebt, dafür von ihrer Religions-Community mit Exorzismus bestraft wird.
Mein Problem: Aus welcher Sicht wird erzählt? Die Perspektive ist immer wieder naiv kindlich, dann wieder fließen Phastasien im Duktus von Fantasy-Geschichten ein, dazu wiederum passt nicht, dass die Erzählerin sehr erwachsen Zusammenhänge und zwischenmenschliche Mechanismen analysiert.
Passagenweise ist das Buch sehr lustig, verstärkt durch die Kinder-Perspektive, zum Beispiel wenn Jeanette von ihrer Mutter nicht nur mit einer komplett verschobenen Sicht auf Religion erzogen wurde, sondern auch sonst mit einer sehr Fakten-fernen Version der Realität – und so irgendwann doch in eine richtige Schule gehen muss (die Behörden zwingen sie). Wo sie die anderen Schulkinder mit ihren Bibelgeschichten in Furcht und Schrecken versetzt.
Am kongruentesten ist der rote Faden Altes Testament; unter den wenigen Besprechungen, die ich fand, leuchtete mir diese im Guardian am meisten ein:
“Bible story”.
Gestern las ich noch die “Introduction” der Autorin zur Neuauflage von 2009. Ich hatte sie vor der Lektüre übersprungen, weil solche Einführungen zu Neuauflage praktisch immer Spoiler enthalten (WHY?).
Die Nachträglichkeit war eine gute Idee, denn ja: Spoiler. Winterson legt ihre Absichten beim Schreiben des Romans ausführlich dar; wie so oft nicht das Interessanteste oder auch nur Nachvollziehbarste an einem literarischen Werk (muss ja auch nicht, wichtig ist das Werk). Eine Passage aber mochte ich:
Oranges is autobiographical in so much as I used my own life as the base for a story. There’s nothing unusual about that. The trick is to turn your own life into something that has meaning for people whose experience is nothing like your own.
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Maximilian Buddenbohm bloggt über Musik und lang vergangene Jugend:
“Pop und Pathos”.
Nicht wenige in meiner Altersgruppe werden leider heute noch verhaltensauffällig, wenn sie auf Partys zu späterer Stunde ein Stück aus diesem Genre und also aus ihrer Jugend hören. Ich dagegen höre etwa einmal im Jahr das alte „Bat out of hell“-Album von Steinman/Meatloaf auf einem Spaziergang durch eine möglichst menschenleere Gegend. Dabei habe ich einen Nostalgieflash in Drogentripqualität und bin mit dem Thema dann wieder fertig für ein Jahr, ohne jemanden damit zu belästigen. Rücksicht auf andere, so wichtig.
Mich bewahrt zum Glück vor dieser Verhaltensauffälligkeit, dass ich als Überwahrnehmerin nach den vielen Malen Hören nur noch die Bestandteile der Songs einzeln (gleichzeitig) höre, also jedes Instrument, jede Stimme, jeden Klang, jeden Akkord und Akkordwechsel – nicht mehr die Musik. Wald vor lauter Bäumen etc. Das Pathos durchaus auch, aber als weiteres, eher unangenehmes Detail.
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Antje Schrupp war in China – nicht als Politikwissenschaftlerin, sondern ganz privat:
“Lieber schmutzige Toiletten als gar keine”.
Tatsächlich ist es ja so, dass unsere Kritik am chinesischen Politikmodell bisher immer auf dem Vergleich mit dem parlamentarischen Rechtsstaat basierte – im Vergleich dazu schneidet China in Punkto Menschenrechte, Klimaschutz, Gerechtigkeit und so weiter sehr schlecht ab. Aber was, wenn es uns nicht gelingen sollte, eine autoritär-faschistisch-oligarchische Übernahme der „westlichen” Staaten aufzuhalten? Dann wäre dieses Argument ja futsch.
Dann würde sich zum Beispiel die Frage stellen, wie klug es war, den sozialen Medien unter dem Schlachtruf der Meinungsfreiheit ihren Lauf zu lassen. Oder ob nicht China richtig gelegen hat mit der Einschätzung, das Internet müsse kontrolliert und zensiert werden, damit es nicht aus dem Ruder läuft? Was nützt uns denn am Ende das Recht, die eigene Meinung frei in unsere Blogs zu schreiben, wenn der Preis, den wir dafür bezahlen, ist, dass russische Bots unsere Wahlen manipulieren und autokratische Diktatoren an die Macht bringen? Und dass sich Incels, Rechtsradikale oder Islamisten im Internet zu Gewalttaten und Terroranschlägen radikalisieren?
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Immer noch nicht durch mit Papstwahl?
Bitte, hier: Der Kardinal-o-mat.