Basis für Gegengift: Mann ließ sich jahrelang von Schlangen beißen – sein Blut hilft nun der Forschung
Über fast 20 Jahre ließ sich ein US-Amerikaner von verschiedenen, sehr giftigen Schlangen beißen. Aus seinem Blut entwickelten Forscher nun ein besonders wirksames Gegengift

Über fast 20 Jahre ließ sich ein US-Amerikaner von verschiedenen, sehr giftigen Schlangen beißen. Aus seinem Blut entwickelten Forscher nun ein besonders wirksames Gegengift
Manchmal kommt der medizinische Fortschritt aus einer überraschenden Richtung: Ein von Schlangen begeisterter US-Amerikaner hat sich selbst immer größere Dosierungen von Schlangengiften verabreicht, so dass er sich schließlich von verschiedenen giftigen Schlangen beißen lassen konnte. Damit hat er eine außergewöhnliche medizinische Entwicklung ermöglicht.
Denn darauf aufbauend haben Wissenschaftler der Columbia Universität in New York und des Medizinunternehmens Centivax ein Gegengift entwickelt, das ihren Angaben zufolge das am breitesten einsetzbare bislang verfügbare Mittel sein soll. Das aus drei Stoffen bestehende Präparat soll vor den Giften von Königskobra, Schwarzer Mamba und 17 anderen Giftnattern (Elapidae) zumindest teilweise schützen, wie das Team im Fachblatt "Cell" berichtet.
"Einmalige Immungeschichte" ermöglicht breit einsetzbares Gegengift
Ein großes Problem bei der Entwicklung von Gegenmitteln gegen Schlangenbisse ist, dass die Gifte oft aus einem Cocktail verschiedener Toxine bestehen, die unterschiedliche Wirkungen haben. Normalerweise würden Gegengifte dadurch entwickelt, dass man etwa Pferden oder Schafen das Gift einzelner Schlangenarten verabreicht und die gebildeten Antikörper isoliert, schreiben die Forscher.
Dieses Verfahren könne zwar wirksam sein, aber auch gravierende Nebeneffekte haben, wenn die nicht-menschlichen Antikörper bei Menschen zum Einsatz kämen. Zudem wirken diese sogenannten Antivenome nur gegen die Gifte der jeweiligen Schlangenart. Das ist in diesem Fall anders.
"Das Spannende an dem Spender war seine einmalige Immungeschichte", wird Erstautor Jacob Glenville, gleichzeitig Chef von Centivax, in einer Mitteilung des Verlags Cell Press zitiert. Friede habe sich über einen Zeitraum von fast 18 Jahren hundertfach von insgesamt 16 verschiedenen, sehr giftigen Schlangen beißen lassen. Er überlebte – und ist inzwischen bei Centivax angestellt.
© Jacob Glanville/Centivax/dpa
Mittel wird zunächst in Tierkliniken getestet
Aus seinem Blut isolierten die Forscher zwei besonders breit wirkende Antikörper - LNX-D09 und SNX-B03 - und kombinierten sie mit einem Enzym-Hemmer zu einem Wirkstoff, der vor gleich mehreren Giften verschiedener Giftnattern schützen soll.
In der Studie wurde dieser Cocktail an Mäusen getestet, die zuvor Gifte verschiedener Giftnattern verabreicht bekamen. Dabei bot das Mittel vollständigen Schutz gegen Gifte von 13 Schlangenarten – darunter waren die Königskobra, die Schwarze Mamba und der Inlandtaipan, der als weltweit giftigste Schlange gilt. Gegen sechs weitere Spezies – darunter die Grüne Mamba – bot der Cocktail einen teilweisen Schutz.
Die Forscher räumen ein, dass diese Erfolge an Mäusen noch nicht ausreichen. In einem nächsten Schritt soll das Gegengift in Tierarztkliniken an Hunden getestet werden, die von Schlangen gebissen wurden.
Eine weitere Einschränkung sieht der nicht an der Studie beteiligte Biochemiker Tim Lüddecke von der Universität Gießen darin, dass die Wirkung auf die Gruppe der Giftnattern begrenzt sei: "Die Gifte der Vipern, welche völlig anders wirken und anders aufgebaut sind, werden nicht adressiert." Das habe wichtige Konsequenzen in der Anwendung, denn diese Gruppe von Schlangen (Viperidae) verursache einen Großteil der Schlangenbisse.
Spätfolgen des Gegengifts noch unklar
Lüddecke kritisiert außerdem, die Studie konzentriere sich nur auf den lebensrettenden Effekt des Gegengifts. Daneben gebe es aber auch oft lebenslange körperliche Einschränkungen durch Schlangengifte. Dennoch lobt der Experte, die Studie verbinde die vielversprechendsten Ansätze in der Entwicklung moderner Wirkstoffe gegen Schlangenbisse miteinander.
Das betont auch Michael Hust von der Technischen Universität Braunschweig. "Mit dem in der Studie vorgestellten Cocktail aus diesen zwei Antikörpern und dem Enzym-Inhibitor besteht eine große Chance, Tierseren, die zahlreiche Nebenwirkungen haben, mit einem gentechnisch hergestellten Produkt zu ersetzen."
Das Team selbst verfolgt das Ziel, langfristig ein oder verschiedene Universalmittel zu entwickeln, das sowohl Giftnattern als auch Vipern abdeckt. Dem Forschungsteam zufolge sterben jährlich mehr als 100.000 Menschen an Vergiftungen durch Schlangenbisse, 300.000 weitere tragen dauerhafte Behinderungen davon. Dazu zählen etwa Sehverlust oder Amputationen von Gliedmaßen.