Partnerschaft: Mut zum Schweigen – wie Paare durch Stille näher zusammenfinden
Manche Paare brauchen keine Worte, um sich nah zu sein. Warum Stille in Beziehungen nicht unbedingt entfremdet – sondern sogar eine besondere Form von Nähe schaffen kann

Manche Paare brauchen keine Worte, um sich nah zu sein. Warum Stille in Beziehungen nicht unbedingt entfremdet – sondern sogar eine besondere Form von Nähe schaffen kann
Es sind Szenen, die uns irritieren, befremden. Die Unverständnis hervorrufen. Oder Mitleid. Szenen wie diese: Ein Paar sitzt in einem Café, die beiden reden nicht, starren ins Leere, auf ihre Kaffeetassen. Kein Lächeln, keine Worte, bloß Schweigen. Viele Minuten lang. Zeugen einer solchen partnerschaftlichen Sprachlosigkeit mögen rasch ein Urteil fällen: Zwischen den beiden stimmt etwas nicht! Ein Streit vielleicht? Haben sie sich auseinandergelebt? Sind sie genervt voneinander?
Schweigen gilt vielen von uns als Alarmsignal. Als Zeichen für Langeweile, Bestürzung, Disharmonie, unterschwellige Aggressionen. Doch können wir uns auf diese Einschätzung stets verlassen? Tatsächlich legen psychologische Studien nahe: Schweigen muss keinesfalls Ausdruck von Distanz sein. Im Gegenteil: Manche Paare schweigen gemeinsam, ohne sich dabei unwohl zu fühlen. Und teilen in der Ruhe oft eine besonders tiefe Form von Intimität. Eine Nähe, die keiner Worte bedarf.
Es gibt verschiedene Arten des Schweigens – von feindselig bis entspannt
Denn nicht jede Stille ist gleich. Klar: Oft wiegt Schweigen schwer auf der Seele, steckt voller unausgesprochener Konflikte. Doch zuweilen kann sich die wortlose Beisammensein leicht anfühlen, selbstverständlich. Ja, zärtlich. Für solche wortlosen Momente interessierten sich Forschende der University of Reading. In einer Studie im Fachjournal Motivation and Emotion untersuchten die Psychologinnen, welche Arten von Schweigen es in Paarbeziehungen gibt – und welche davon guttun.
Das überraschende Ergebnis: Schweigen kann ein Ausdruck von tiefer Verbundenheit sein. Dann, wenn es aus einem inneren Wunsch heraus entsteht, den Moment gemeinsam still zu erleben. Die Forschenden sprechen von "intrinsisch motiviertem Schweigen". Paare, die aus dieser Motivation Momente der Stille erleben, berichten von sehr positiven Emotionen, größerer Nähe, höherer Zufriedenheit in ihrer Beziehung. Anders sieht es aus, wenn das Schweigen von Schuldgefühlen oder sozialem Druck geprägt ist – also nicht freiwillig, sondern aus Unsicherheit oder Konfliktscheu entsteht. Diese Form, so die Studie, geht oft mit negativen Gefühlen und einer geringeren Beziehungsqualität einher. Das Forschungsteam unterscheidet drei Hauptformen des Schweigens in Paarbeziehungen.
Intrinsisch motiviertes Schweigen erwächst aus positiven inneren Impulsen. Daraus, dass sich die Partner im wechselseitigen Einvernehmen befinden: Sie möchten mit- und beieinander sein, aber den Moment nicht zerreden. Man sitzt zum Beispiel nach einem langen Tag gemeinsam auf dem Sofa – und braucht keine Worte, um sich verstanden und aufgehoben zu fühlen. Es ist ein Innehalten, das keiner Verlegenheit oder Anspannung entspringt. Sie ist einfach da. Und fühlt sich natürlich und gut an.
Introjiziertes Schweigen dagegen entsteht aus Druck, Unsicherheit, Angst. Etwa wenn einer der Partner das Gespräch meidet aus der Befürchtung heraus, den Partner andernfalls zu belasten, zu stören, etwas Falsches zu sagen. Schweigen, um Erwartungen zu erfüllen, Konflikte zu vermeiden, nicht zu enttäuschen. Es ist eine Verstummen, das mit innerer Anspannung einhergeht. Oft fühlt sich der oder die Schweigende dabei unverstanden. Und trotz physischer Nähe zum Partner einsam.
Extern motiviertes Schweigen wiederum wird als Werkzeug im Zusammenspiel mit dem Partner eingesetzt. Es kann ein Akt sozialer Kontrolle sein, eine disziplinierende Geste, ein stiller Protest. Es füllt den Raum, wenn ein Partner den Eindruck hat, zum Schweigen gebracht zu werden. Oder wenn ein Partner, eine Partnerin die Wortlosigkeit bewusst wählt, um Distanz zu schaffen, Macht zu demonstrieren, Liebe zu entziehen, zu bestrafen. Es ist eine feindselige Form der Stille.
In westlichen Kulturen wird Stille oft als unangenehme Leerstelle wahrgenommen
Die Studie zeigt, wie unterschiedlich wir Schweigen wahrnehmen, je nachdem, welches Motiv sich dahinter verbirgt. Intrinsisch motiviert ist Stille erfüllt von Zufriedenheit, Geborgenheit, Intimität. "Wir müssen nicht immer jede Lücke mit Worten füllen", so Netta Weinstein, Erstautorin der Studie. "Stille Momente können eine kraftvolle Form der Verbundenheit sein."
Doch warum fällt es uns eigentlich so schwer, einfach mal zu schweigen – auch mit Menschen, die uns nahestehen, in Situationen voller Harmonie? In vielen westlichen Kulturen gilt Stille als Leerstelle, als Raum, der mit Worten geflutet werden muss. Nicht zufällig erzeugt Schweigen ein gewisses Unbehagen.
In asiatischen Kulturen ist das zum Teil anders. In Japan gilt Stille in der Kommunikation als Zeichen von Respekt, Achtsamkeit, emotionaler Ausgeglichenheit. Auch in China oder Korea gilt: Wer schweigt, hört zu. Wer nichts sagt, kann dennoch viel sagen. Man könnte auch von einer "Stillekompetenz" sprechen – also der Fähigkeit, Stille nicht als Leere, sondern als Möglichkeit zu begreifen. Schweigen zuzulassen, als Mittel der Kommunikation zu nutzen. In westlichen Gesellschaften hingegen herrscht oft das Ideal des permanenten Austauschs: Nähe braucht Worte.
Wer aber gelernt hat, auch die Stille miteinander zu genießen, braucht nicht immer die Vermittlung und Vergewisserung durch Sprache. Das Schweigen ist Ausdruck von Vertrauen. So kennen und schätzen manche Paare die tonlosen Momente ganz selbstverständlich: seien es die stillen Minuten beim Frühstück, das gemeinsame Schlürfen des Cappucinos im Café, der Spaziergang, bei dem kein Wort fällt – und doch alles gut ist.
Natürlich muss niemand, der nicht möchte, seinen Mund halten. Und doch lohnt es sich für Paare mitunter, die Stille zu üben. Und sich so auf ungewohnte und neue Art zu begegnen. Vielleicht kann man vereinbaren, beim nächsten Spaziergang oder während einer Autofahrt einmal zu schweigen. Dabei geht es weniger darum, die Stille aushalten, sondern darum, zu bemerken, was sie mit einem macht.
Auch Rituale – ein ruhiges Zusammensitzen am Morgen oder ein abendlicher Blick in den Himmel – können einen Rahmen bieten, in dem Nähe ohne Worte entsteht. Durch Blicke, Berührungen, die Haltung des Körpers. Solche Momente stärken das Gefühl: Wir müssen nicht immer etwas sagen, um verbunden zu sein.
In der Stille gewinnt man bisweilen auch verblüffende Erkenntnisse über sich selbst
Wer die eigene Unruhe in der Stille bemerkt, kann darin auch etwas über sich erfahren. Womöglich liegt hinter dem Wunsch nach ständiger Kommunikation eine Angst – etwa nicht gesehen, gehört zu werden, keine Bestätigung zu erfahren oder gar den Partner zu verlieren. Erkenntnisse, die helfen können, innere Muster zu verstehen.
In einer Zeit schier überbordender Kommunikation wirkt Schweigen fast radikal. Doch gerade in Paarbeziehungen kann es ein wertvolles Gegengewicht zur Kakophonie der Moderne sein. Ein Ruhepol, ein Entspannungsraum. Und beizeiten kann gerade die Stille eine Einsicht bergen: dass wahre Nähe nicht immer dort entsteht, wo Worte fließen – sondern auch dort, wo sie überflüssig werden.