Zollstreit: EU rüstet sich zum Gegenschlag – welche Reaktionen Brüssel diskutiert
Wie reagiert die EU auf Trumps Zölle in Höhe von 20 Prozent? In Brüssel werden schon Ideen ventiliert, die Liste der Gegenmaßnahmen ist lang – bis hin zur „Bazooka“

Wie reagiert die EU auf Trumps Zölle in Höhe von 20 Prozent? In Brüssel werden schon Ideen ventiliert, die Liste der Gegenmaßnahmen ist lang – bis hin zur „Bazooka“
Am Ende sprach Ursula von der Leyen (CDU) direkt zu den Menschen. „Ich weiß, dass sich viele von Ihnen von unserem ältesten Verbündeten im Stich gelassen fühlen“, sagte die EU-Kommissionspräsidentin in die Kamera. „Ja, wir müssen uns auf die Auswirkungen einstellen, die dies unweigerlich haben wird. Europa hat alles, was es braucht, um diesen Sturm zu überstehen.“ In ihrem Statement sprach von der Leyen den Europäerinnen und Europäern Mut zu – und möglicherweise auch sich selbst.
Kurz zuvor hatte US-Präsident Donald Trump Zölle gegen „die ganze Welt“ verhängt. Insbesondere die Europäische Union hat Trump im Visier, sie bekam Importzölle in Höhe von 20 Prozent auferlegt. „Sie zocken uns ab. Es ist so traurig, das zu sehen. Es ist so erbärmlich“, sagte Trump bei einer Veranstaltung im Rosengarten des Weißen Hauses. Laut Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln kosten die Zölle über Trumps gesamte Amtszeit allein die Bundesrepublik 200 Mrd. Euro – eine „ökonomische Katastrophe“, schreiben die Wissenschaftler. Der Handelskrieg ist endgültig entfesselt.
Die EU rüstet sich zum Gegenschlag. „Wir sind bereits dabei, ein erstes Paket von Gegenmaßnahmen als Reaktion auf die Stahlzölle zu schnüren“, sagte von der Leyen. „Und wir bereiten uns jetzt auf weitere Gegenmaßnahmen vor, um unsere Interessen und unsere Unternehmen zu schützen, falls Verhandlungen scheitern.“ Wie genau diese Gegenmaßnahmen aussehen, ist bisher unklar – doch kann die EU-Kommission aus einer Fülle an Möglichkeiten schöpfen.
Zoll um Zoll
Schon in Trumps erster Amtszeit überzogen sich die USA und Europa mit Zöllen. Damals reagierte die Kommission mit Aufschlägen auf Jeans, Whiskey und Motorräder. Als Trump vor einigen Wochen Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte verkündete, holte auch die EU diese Maßnahmen wieder aus dem Keller – sie sollen Mitte April in Kraft treten.
Die neuen US-Zölle gehen aber deutlich über das bisherige Niveau hinaus. Es gilt daher als sicher, dass auch die EU weitere Zölle verhängen wird. Die Beamten in Brüssel haben bereits eine mehrere Din-A4-Seiten lange Liste mit Produkten vorbereitet, auf die Gegenzölle fällig werden könnten. Welche Produkte darauf stehen und wie hoch die Aufschläge ausfallen, ist noch geheim. Der geschäftsführende Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hielt zwar vor der Presse eine Liste hoch, doch dabei soll es sich um eine andere Aufstellung gehandelt haben. Der Vorsitzende des EU-Handelsausschusses Bernd Lange (SPD) sagte zu Capital, es gehe um Produkte aus den Bereichen Stahl, Agrar, Textilien und Industrie. Beschlossen werden sollen die Maßnahmen in der kommenden Woche, am 14. April könnten sie in Kraft treten.
Viel lieber würde Brüssel aber mit Trumps Leuten verhandeln. „Ich hoffe, dass diese Regierung wirklich an einem Dialog mit der EU interessiert ist, aber sicher bin ich mir dessen nicht“, sagte Lange. Auch die Besuche von EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič in Washington seien ohne Erfolg geblieben.
EU könnte Amazon, Apple und Co. mit Digitalsteuer anpacken
Je nach Ausgestaltung würden die Importzölle der Europäischen Union wohl vor allem die klassische Industrie in den USA treffen. Deren Einfluss auf die US-Regierung hat allerdings abgenommen. Deshalb fordern einige EU-Parlamentarier, sich den US-Dienstleistungssektor vorzunehmen. „Unsere Gegenmaßnahmen werden den größten Effekt haben, wenn wir uns auf die Dienstleistungen konzentrieren“, sagte Anna Cavazzini (Grüne), Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz im EU-Parlament zu Capital. Tatsächlich hat die EU hier gegenüber den USA laut Eurostat-Daten ein Handelsdefizit von 109 Mrd. Euro. „Dieser Sektor verdient in Europa viel Geld, vor allem die Digitalkonzerne wie Google, Meta oder Amazon. Gleichzeitig haben sie großen Einfluss auf Donald Trump. Hier können wir ihn unter Druck setzen.“

© Joerg Carstensen
Die Idee: Eine Digitalsteuer soll die Tech-Milliardäre unter Druck setzen, die sich dann deswegen beim US-Präsidenten für geringere Zölle starkmachen. Tatsächlich ist Europa für Techkonzerne ein wichtiger Markt, allein Facebook hat über 260 Millionen monatliche Nutzer in der EU. Eine Studie im Auftrag der Grünen-Fraktion im Europaparlament berechnet, dass die EU mit einer 5-prozentigen Digitalsteuer 37,5 Mrd. Euro einnehmen könnte.
Eine solche Steuer oder andere Maßnahmen gegen die Techkonzerne im Rahmen bereits existierender europäischer Gesetze gelten nicht als erste Wahl. Doch als Möglichkeit liegen sie auf dem Tisch, sollte sich die Eskalationsspirale weiterdrehen.
Eine „Bazooka“ auf dem Tisch
Angesichts der Situation fordert die Grünen-Politikerin Cavazzini, auch das sogenannte Anti-Zwangs-Instrument in die Hand zu nehmen. Diese Verordnung gibt der EU-Kommission eine ganze Reihe an Möglichkeiten in die Hand, um sich zu wehren. Damit das Instrument zum Einsatz kommen kann, müsste die Trump-Regierung ökonomischen Zwang ausüben, also mit den Zöllen die „Aufhebung, Änderung oder Annahme“ von Rechtsakten erreichen wollen. Denkbar wären zum Beispiel Millionenstrafen gegen Meta.
Cavazzini sieht den Moment jedenfalls gekommen: „Was gestern passiert ist, ist ökonomischer Zwang. Die Zölle sind komplett willkürlich und unrechtmäßig.“ Käme das Instrument zum Einsatz, könnte die Kommission zum Beispiel US-Unternehmen von öffentlichen Ausschreibungen ausschließen oder den Zugang zu europäischen Banken-, Versicherungs- und Kapitalmärkten beschränken.
„Das ist natürlich die Bazooka“, sagte Bernd Lange dazu in einer Pressekonferenz. „Wir müssen vorsichtig sein, weil es unser schärfstes Instrument ist. Aber natürlich liegt es auf dem Tisch.“ Anna Cavazzini hält es für unausweichlich, darauf zurückzugreifen: „Solche Maßnahmen sind nicht schön und sie sind auch nicht das, was wir uns gewünscht haben.“ Man habe versucht zu verhandeln, aber die Trump-Regierung habe nicht gewollt. „Uns bleibt also gar nichts anderes übrig, als jetzt Gegenmaßnahmen auf den Weg zu bringen.“
Heimische Wirtschaft stärken
Allerdings dürfe man sich nicht nur auf die Gegenschläge konzentrieren, sondern müsse auch betroffene Unternehmen unterstützen. „Einige Branchen in Deutschland exportieren sehr viel in die USA, sind stark vom amerikanischen Markt abhängig. Die werden von den Zöllen sehr betroffen sein“, sagt Cavazzini. Der europäischen Autoindustrie könne man zum Beispiel mit Kaufanreizen helfen.

© POOL UNION EUROPEENNE / AGENCE HANS LUCAS
Auch in der konservativen Parteienfamilie gibt es für diesen Ansatz Sympathien. Jetzt brauche es massive Entlastungen für europäische Unternehmen, schreibt Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament in einem Statement. „Als Europäer muss unsere Agenda klar sein: Wir brauchen schnell eine umfassende Entbürokratisierung, die Vollendung des Binnenmarkts in Europa und neue Handelsabkommen, um unseren Unternehmen Perspektiven und neue Wachstumsfelder zu erschließen.“
Zusammen ist man weniger allein
Als wahrscheinlich gilt, dass die EU-Kommission noch einige Tage abwartet, bevor die konkreten Gegenmaßnahmen verkündet werden. Dafür gibt es auch Rückhalt. „Ich halte es für richtig, dass die Kommission jetzt erst einmal die Lage analysiert, sodass wir dann gezielt antworten können“, so Cavazzini.
Die Grünen-Politikerin und der Sozialdemokrat Lange fordern außerdem, nicht nur auf Europa zu schauen. „Wir müssen auch in sehr engen Austausch mit den anderen betroffenen Ländern bleiben“, sagte Cavazzini. „Denn am Ende ist es ein Kampf von Trump gegen die ganze Welt, er ruiniert Beziehungen mit fast allen anderen Ländern. Wenn wir uns da zusammenschließen, entfaltet das eine große Verhandlungsmacht.“ Immerhin schaffen die Zölle eine Art Schicksalsgemeinschaft betroffener Staaten. Und Trump, der stehe ganz allein da.