In Memoriam AnNa R.
Das erste Mal gehört hab ich von Rosenstolz am 26. Februar 1998, jenem Tag, an dem auch meine zweite ESC-Phase begann (meine erste verdanken wir bekanntlich der Münchener Freiheit, meine dritte, bis heute andauernde, Stefan Niggemeier). Das Duo trat damals beim deutschen Vorentscheid an und es hätte womöglich gewonnen, wenn da nicht auch ein Mann […]
Das erste Mal gehört hab ich von Rosenstolz am 26. Februar 1998, jenem Tag, an dem auch meine zweite ESC-Phase begann (meine erste verdanken wir bekanntlich der Münchener Freiheit, meine dritte, bis heute andauernde, Stefan Niggemeier). Das Duo trat damals beim deutschen Vorentscheid an und es hätte womöglich gewonnen, wenn da nicht auch ein Mann namens Guildo Horn im Wettbewerb gewesen wäre, dem Stefan Raab einen Song und Johannes Kram eine Kampagne geschneidert hatten, mit denen er diesen Abend für sich entscheiden konnte.
Menschen, die damals in der Bremer Stadthalle (Deutschland im letzten Stadium Helmut Kohl) dabei waren, berichteten noch Jahrzehnte später von einer aufgeheizten Stimmung zwischen den klassischen (also: schwulen) Grand-Prix-Anhängern und dem Horn/Raab-Lager. Ich kann mich nicht mehr erinnern, welches Adjektiv man damals für queer verwendete, aber ich weiß, dass es an Rosenstolz klebte. Man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen, aber es war damals eine Sache, dass eine Band eine explizit schwul-lesbische Fangemeinde hatte (beim ESC-Vorentscheid). Ich kann nicht sagen, dass ihr damaliger Wettbewerbsbeitrag „Herzensschöner“ bei mir bleibenden Eindruck hinterlassen hätte, aber ich ahnte auch mit 14, dass ihre Musik etwas anderes war als die … sagen wir mal drei Werke von Ralph Siegel und Bernd Meinunger, die Rosenstolz an jenem Abend hinter sich ließen.
Alles, was vom heteronormativen Weltbild abwich, galt 1998 noch als „seltsam“, „anders“ oder „pervers“, mindestens an kleinstädtischen Gymnasien, wahrscheinlich überall im Land. Der einzige Ort, wo „so etwas“ behandelt wurde (mit einem ostentativ interessierten Gestus, der es irgendwie noch verruchter machte), war „B. trifft“, eine Talkshow mit Bettina Böttinger im Dritten Programm des WDR. „Der bewegte Mann“ war 1994 ein Kinohit gewesen, aber da waren die meisten Schwulen von explizit heterosexuellen Schauspielern gespielt worden und das Publikum lachte, wenn ich mich knapp 30 Jahre später richtig erinnere, eher über sie als mit ihnen. Ausländische Popkultur war da vielleicht einen Schritt weiter, aber es sollte auch noch acht Monate dauern, bis George Michael das Video zu „Outside“ veröffentlichen sollte, eine der schillerndsten Selbstermächtigungen des ausgehenden Jahrzehnts.
Das also war der Kontext, in dem Rosenstolz auftraten, und das war es, was ich weiterhin mit Peter Plate und AnNa R. verband. Es war ein Stempel, der die Band aber immer auch interessanter machte als andere deutschsprachige Acts zu ihrer Zeit.
2004 erschien „Liebe ist alles“, ein Song, der mir in der Rückschau omnipräsent erscheint, auch wenn ich mich frage, wo er eigentlich gelaufen sein soll, und der von recht unterschiedlichen Acts wie Spice Girl Mel C., dem Klassik-/Pop-Crossover-Projekt Adoro und Schlager-Legende Roland Kaiser gecovert wurde. (Ich finde die Kaiser-Version übrigens auf eine ganz eigene Art anrührend und ich möchte da nicht weiter drüber sprechen!)
Ich weiß noch, wie im Frühjahr 2006 die damals neue Rosenstolz-Single „Ich bin ich (Wir sind wir)“ bei CT das radio in der Redaktion ankam und wir den Song als einziges Campusradio überhaupt auf Rotation nahmen — und zwar auf die mit dem Vornamen „Heavy“. Ich erinnere mich an eine Nacht, die ich im Studio verbrachte, weil ich abends die Punksensung „Rockaway Beach“ moderiert hatte, noch neue Songs aufspielen und morgens ab 7 wieder moderieren musste (und es immer hieß, jede*r müsste „mindestens ein Mal in der Redaktion übernachtet haben“), und dieser Song gefühlt einmal pro Stunde sehr leise, aber beständig aus den nicht komplett stumm geschalteten Kopfhörern zu der Couch herüberwehte, auf der ich schlief.
Dieses Klaviermotiv (das zumindest in meinem Kopf in unmittelbarer Nachbarschaft von PeterLichts „Alles, was Du siehst, gehört Dir“ und Ben Lees „Wake Up To America“ wohnt, was jetzt objektiv nur so mittel-belastbar ist) ist ja wohl auch unwiderstehlich! Und diese permanente Steigerung des Songs!
Viel mehr kann ich über Rosenstolz ehrlich gesagt gar nicht beitragen. Ich weiß, dass die Band 2012 eine „Pause“ eingelegt hat, und habe seitdem nicht oft an sie gedacht. (Außer bei der Veröffentlichung des Roland-Kaiser-Albums, über das wir ja nicht reden wollten.)
Aber als heute Nachmittag die Nachricht kam, dass Sängerin AnNa R. im Alter von nur 55 Jahren gestorben ist, hat mich das überraschend betroffen gemacht.