They’ve all come to look for America

Das sei jetzt der Teil, wo sich der Interviewpartner hinsetzen würde, mit der Crew spräche und nicht wisse, dass das Material dann später an den Anfang der Dokumentation geschnitten werde, sagt Will Ferrell zur Crew, als er sich hinsetzt, am Anfang des Films. Mehr Meta-Ebene wird’s danach nicht mehr, auch wenn die Frage nach der […]

Mär 19, 2025 - 14:55
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They’ve all come to look for America

Das sei jetzt der Teil, wo sich der Interviewpartner hinsetzen würde, mit der Crew spräche und nicht wisse, dass das Material dann später an den Anfang der Dokumentation geschnitten werde, sagt Will Ferrell zur Crew, als er sich hinsetzt, am Anfang des Films. Mehr Meta-Ebene wird’s danach nicht mehr, auch wenn die Frage nach der Authentizität dieser (und eigentlich jeder) Dokumentation ab da mietfrei im Unterbewusstsein des Publikums wohnt.

Der Schauspieler („Anchorman“, „Buddy der Weihnachtself“, „Stiefbrüder“, „Stranger Than Fiction“, „Eurovision Song Contest“) hat eine E‑Mail bekommen von der Person, die er als Mann kennengelernt hatte, als Autor bei „Saturday Night Life“, wo ihre beiden Karrieren begannen, und als langjährigen Freund. Diese Person lebt jetzt, nach Jahrzehnten des inneren Ringens, offiziell als Frau, wie sie Will Ferrell in der E‑Mail mitteilt. Einen neuen Namen suche sie noch.

Als sich die beiden wiedersehen, ist die Entscheidung auf Harper gefallen, nach der berühmten Schriftstellerin Harper Lee („Wer die Nachtigall stört“), die mit Harpers Mutter zur Schule gegangen war. Will und Harper wollen herausfinden, ob Harpers Transition etwas geändert hat an ihrer Freundschaft. Sie tun dies vor laufenden Kameras, bei einem der amerikanischsten Bräuche überhaupt: dem road trip.

Begleitet von einem phantastischen Folk/Americana/Country-Soundtrack fahren Will und Harper durch die USA, stellen ihre Camping-Stühle irgendwo hin und trinken Light Beer. Es ist das Frühjahr 2023; die Spaltung des Landes, die eigentlich seit seiner Gründung Teil seiner Identität ist, ist durch die erste Trump-Regierung und die COVID-19-Pandemie mal wieder besonders sichtbar geworden. Trans-Personen werden als Spielball benutzt in einem „Kulturkampf“, auf dessen einer Seite um reine Existenzrechte gekämpft wird und auf der anderen gegen ein Feindbild, auf das man alle einschwören kann: Weiße und people of color, Männer und Frauen, Reiche und Arme.

Wo Will und Harper auf einzelne Personen treffen, geht es eigentlich immer recht harmonisch zu. Ferrells Prominenz spielt quasi keine Rolle, Steeles Transsexualität wird entweder höflich ignoriert oder interessiert bis positiv aufgenommen. Doch in großen Menschenmengen, bei einem Basketball-Spiel und in einem Freizeitpark-ähnlichen Steakhaus, wo sofort Dutzende Smartphones auf die beiden gerichtet werden, wo content online geht und Social-Media-Reaktionen hervorrufen kann, wird Harper verlässlich Opfer eines digitalen Mobs.

Das deckt sich zwar mit meinen eigenen Eindrücken von Wirklichkeit und Internet, aber es passiert in „Will & Harper“ derart deutlich, dass die vorab im Unterbewusstsein abgelegte Frage wieder hochschreckt: Inwiefern bildet dieser Film das ab, was tatsächlich geschehen ist, als die beiden mit ihrem Kamerateam durch das Land gefahren sind? Lief im direkten Kontakt tatsächlich alles so glatt? Wie haben sie manche Szenen überhaupt gedreht und wie haben sie das mit den Rechten all jener Personen geregelt, die zu sehen und zu hören sind?

Diese Momente haben mich kurz aus dem Film herausgeholt, was ich aber als positiv betrachte: Sie stellen das fertige Produkt in Frage, das eben bei allen dokumentarischen Ansätzen ein editierter und redigierter Film ist und somit niemals Abbild einer Wirklichkeit sein kann.

„Will & Harper“ (Szenenbild)

Die verschiedenen Wirklichkeiten sind: Die Freundschaft von Will und Harper hat sich schnell an die veränderten äußeren Umstände angepasst; die beiden machen ihre Witze, wie sie es vermutlich immer getan haben. Will und andere müssen sich mehr Sorgen um Harpers Wohlergehen machen, wenn sie irgendwo hingeht — nicht nur, weil Frauen in Fernfahrerkneipen und bei Autorennen anders behandelt werden als Männer, sondern insbesondere, wenn sie Trans-Frauen sind. Auch im 21. Jahrhundert verändern anwesende Kameras noch die Situationen, die sie abzubilden versuchen. Es gibt jede Menge Menschen, die, vielleicht mit einigen Vorurteilen und Hemmungen, aber generell offen und interessiert auf Trans-Personen zugehen und die im besten und einfachsten Sinne Menschenfreunde sind. Und es gibt Arschlöcher, die sich online oder in der Wirklichkeit über andere erheben; weil sie nicht weiter nachdenken, weil sie keine Empathie haben, weil sie von Fox News und anderer Propaganda zu Menschenfeinden erzogen wurden.

All das kann gleichzeitig wahr sein und „Will & Harper“ kann und will insofern kein reines Feelgood-Movie sein, auch wenn er über weite Strecken ein warmes, herzliches Gefühl erzeugt; immer wieder verbunden mit einem fassungslosen „Wie kann man Menschen aufgrund ihrer reinen Existenz so sehr hassen?“ und dem Gedanken, wie viel schlimmer die Situation heute, nur zwei Jahre später, unter der neuen Trump-Regierung sein muss.

Der Film kann wahrscheinlich Gespräche in Familien eröffnen und Menschen, die bisher gar nichts mit dem Thema Transsexualität und Transgender zu tun hatten, an die Hand nehmen, weil Will Ferrell so großartig als Platzhalter für das Publikum fungiert: Interessiert, aufgeschlossen, mit den besten Absichten, aber manchmal steht er sich selbst und dem Austausch auf Augenhöhe im Weg, manchmal stellt er eine Frage, die unangemessen ist, und die ihm Harper Steele dennoch sofort verzeiht.

„Will & Harper“ ist insofern ein buddy movie und meinetwegen das, was man ein „niedrigschwelliges Bildungsangebot“ nennt. Es ist ein Film über unsere Zeit und über ein verwirrtes Land. Ein Statement und ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit. Aber im Grunde genommen auch und vor allem: Die Geschichte der Freundschaft zweier Menschen.

„Will & Harper“ bei Netflix