Die vernetzte Angebotswelt: Kompaktes Wissen aus 15 Jahren Commerce Report Schweiz
Wie wirkt sich die Digitalisierung auf den Vertrieb an private Konsumenten und auf die Strukturen der Branche aus? Das war die übergeordnete Frage der 15-jährigen Studienreihe Commerce Report Schweiz. Der Titel eines abschliessenden, kleinen Büchleins bringt die Antwort auf den Punkt: «Die vernetzten Angebotswelt». Mehr dazu im Gastbeitrag von Ralf Wölfle. Der Beitrag Die vernetzte Angebotswelt: Kompaktes Wissen aus 15 Jahren Commerce Report Schweiz erschien zuerst auf Carpathia: E-Business, E-Commerce, Cross-/Omni-Channel, Digital-Transformation Blog.

Wie wirkt sich die Digitalisierung auf den Vertrieb an private Konsumenten und auf die Strukturen der Branche aus? Das war die übergeordnete Frage der 15-jährigen Studienreihe Commerce Report Schweiz. Der Titel eines abschliessenden, kleinen Büchleins bringt die Antwort auf den Punkt: «Die vernetzten Angebotswelt».
Über den Autor: Ralf Wölfle ist der verantwortliche Autor der Studienreihe Commerce Report Schweiz. Von 2009 bis 2023 untersuchte sie den Einfluss der Digitalisierung auf die Entwicklung von Branchenstrukturen und Geschäftsmodellen im Vertrieb an private Konsumenten. Als Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW leitete er bis zu seiner Pensionierung im Frühjahr 2025 den Kompetenzschwerpunkt E-Business.
Ein Kondensat aus 450 Interviews
Rund 100 Entscheider aus marktprägenden Unternehmen haben in langen und oft herausfordernden Interviews ihre Sicht auf die Transformation im Konsumgüterhandel geteilt. Die Ergebnisse sind in 15 Studienberichten unter diesem Link frei zugänglich. Was aber ist die Essenz? Eine Grafik genügt, um die wichtigsten Erkenntnisse darzustellen:
Wie genau wirken sich die Innovationen der IT aus?
Distanzen zu überbrücken war immer eine zentrale Aufgabe des Handels. Durch das Internet spielt die Distanz in der Kaufanbahnung und Vereinbarung kaum noch eine Rolle. Hinzu kommt, dass innovative digitale Interaktionsformen viel differenziertere und effektivere Verkaufsformen zulassen. Neue Geschäftsmodelle machen sich das zunutze. Sie bieten Konsumenten eine viel grössere Vielfalt an Kauf- oder Nutzungsmöglichkeiten.
Das Internet sprengt Branchensilos
Schon länger als 50 Jahre prägt IT die Distribution von Konsumgütern. Zunächst waren es die EDI-Technologien, die der Distribution enorme Produktivitätsfortschritte einbrachten. Aber mit ihren strikt standardisierten Prozessen und starren Rollenbildern – Hersteller, Gross- und Einzelhandel – führten sie auch zu unflexiblen Branchensilos. Als moderne Internettechnologien ab 1995 hinzukamen, brach die starre, lineare Distribution auf. Dabei gingen dem stationären Handel wichtige USPs verloren.
Neue Formen der Nähe
In dem Mass, in dem Konsumenten mit dem Einkaufen im Internet und der Nutzung des Smartphones vertraut wurden, verlor der Einzelhandel seine Exklusivität als Touchpoint zu Konsumenten. Egal ob Händler oder Marke: Nähe zum Kunden bemisst sich nicht mehr nach der räumlichen Entfernung, sondern nach der ersten Assoziation im Bedarfsfall. Ist ein Einkauf nicht in festen Gewohnheiten verankert, ist oft das Handy mit seinen Apps die erste Wahl.
Mit der Überdistribution rücken die Konsumenten ins Zentrum
Indem das Angebot der Welt mit wenigen Klicks bestellbar wird, entsteht Überdistribution – es gibt zu viele Kaufmöglichkeiten für aus Kundensicht gleichwertige Ware. Das drückt auf den Preis. Für Anbieter wird der Zugang zu Kunden zum kritischen Erfolgsfaktor. Alle richten sich jetzt auf die Konsumenten aus, so direkt wie möglich. Die alte Distribution war primär Supply-orientiert, heute stehen definitiv die Konsumenten im Zentrum.
Spezialisierung und flexiblere Zusammenarbeit im B2B
Sich in der Überdistribution zu unterscheiden erfordert, für Kunden in bestimmten Situationen die beste Handlungsoption zu sein. Dazu müssen Anbieter auf die Funktionen fokussieren, in denen sie spitze sind. Andere Funktionen können in der vernetzten Angebotswelt von anderen Anbietern abgedeckt werden. Im B2B entsteht eine Fülle unterschiedlicher Konstellationen der Zusammenarbeit – in der Grafik durch die Vielfalt im äusseren Kreis dargestellt.
Branchenfremde Intermediäre: Digitale Plattformen
Digitale Plattformen sind das neue Geschäftsmodell mit dem grössten Disruptionspotenzial. Sie basieren auf indirekten Netzwerkeffekten zwischen einer konsumierenden und einer bezahlenden Rolle. Die Plattformen erbringen die Funktion der Kontaktvermittlung. Davon abgesehen hat ihr Geschäftsmodell keine Berührung mit den primären Funktionen des Handels, mit Absatzrisiken oder physischen Aufgaben. Beschränkt man die Plattformen auf das Vermittlungsgeschäft, sind sie autonome, branchenfremde Instanzen, aber mit disruptivem Potenzial.
Kundenzugangsdienstleister versus Onlinemarktplätze
Im Detail ist die Bandbreite der Geschäftsmodelle auf Basis digitaler Plattformen sehr gross. In der Konsumgüterdistribution ist die Unterscheidung von Kundenzugangsdienstleistern und Onlinemarktplätzen sinnvoll. Zusammengefasst kann man sagen: Kundenzugangsdienstleister verkaufen den Anbietern qualifizierte Leads mit den zugehörigen Kundendaten, Onlinemarktplätze verkaufen einzelne Bestellungen. Dank ihrer Apps sind beide Typen immer in Griffweite der Kunden.
Kundenzugangsdienstleister
Kundenzugangsdienstleister erzielen Reichweite, indem sie Konsumenten höchst attraktive, IT-basierte Services mit hoher Nutzungsfrequenz kostenlos bereitstellen. Diese Services müssen nichts mit der Konsumgüterbranche zu tun haben, was z. B. Whatsapp zeigt. Den dabei gewonnenen Datenschatz monetarisieren sie, indem sie Anbietern Kontakte zu detailliert abgegrenzten Zielgruppen verkaufen.
Kundenvermittlung auf Basis stark strukturierter Daten
Anhand der Art ihrer Informationen können Kundenzugangsdienstleister in zwei Gruppen unterteilt werden: Die erste sind Suchmaschinen und (Preis-)Vergleichsplattformen, in denen Produkte primär über eindeutig klassifizierbare Merkmale wie Funktionen, Leistung oder Grösse gesucht und gefunden werden. Sie bewirken eine Nivellierung des Angebots, weil differenzierende Merkmale in den Datenmodellen der Plattformen oft nicht abgebildet werden können.
Kundenvermittlung für wert- und serviceorientierte Angebote
Die zweite Gruppe sind Social Media und Videoplattformen, in denen persönliche, dafür aber weniger strukturierte Informationen, Meinungen und Empfehlungen vermittelt werden. Das ist für diejenigen Anbieter nützlich, die sich mit wert- und serviceorientierten Angebotsmerkmalen im Wettbewerb unterscheiden wollen. Jede Nische kann dort ihre Meinungsführer haben. Sie gewinnen Aufmerksamkeit für ihr Thema, beeinflussen Kaufentscheidungen mit ihren Statements, ihrer Produktauswahl und Empfehlungen.
Onlinemarktplätze
Die grössten Onlineanbieter in der Schweiz sind Marktplätze wie Ricardo oder hybride Anbieter wie Galaxus, Zalando oder Amazon. Hybride nehmen gleichzeitig zwei Rollen ein: die des Betreibers eines Onlinemarktplatzes und die eines darauf anbietenden Händlers. Beide Typen sind sehr effektive Market Maker. Wegen ihrer hohen Vermittlungskosten verlieren sie für Einzelhändler an Bedeutung. Direktvertreibende Marken haben es da leichter: Sie sparen die Marge der übersprungenen Händler.
Vom offenen zum Plattform-dominierten Markt?
Die Transformation ist keineswegs zu Ende und wird den Handel weiter herausfordern, egal ob stationär oder online. Dass es die hiesigen Branchenakteure als gegeben hinnehmen, dass sich die Steuerung der Marktprozesse zunehmend auf intransparente, internationale Plattformen verlagert, ist beunruhigend. Indem nicht einmal die Datenbasis für diese Dienste im Zugriff der Schweizer Anbieter liegt, droht ihnen der Abstieg: Während die Plattformen allein mit ihrer Vermittlungsfunktion das Ertragspotenzial aus dem B2C-Geschäft substanziell abschöpfen, verbleiben das Warenrisiko und jegliche physische sowie personengebundene Operation bei den traditionellen Anbietern. Malte Polzins Szenario eines «Agentic Web» ist nur eine von vielen Möglichkeiten, wie das geschehen kann.
Buch «Die vernetzte Angebotswelt»
Die abgebildete Grafik macht viele Merkmale des Strukturwandels in der Konsumgüterdistribution auch visuell sichtbar. Die Leseprobe aus dem neu erschienenen Buch enthält tiefergehende Hinweise zu Ihrem Verständnis und zu den weitere Inhalten des Buches. Es ist erschienen in der edition gesowip. Dort kann es für Fr. 24.50 via info@gesowip bestellt werden, alternativ im Buchhandel.
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