US-Zollpolitik: Peter Navarro – Trumps radikaler Handelskrieger

Auf Peter Navarro kann Donald Trump sich verlassen. Der glühende Zollanhänger tut alles, damit der Präsident seinen Handelskrieg kämpfen kann – auch wenn er dafür die Realität verbiegen muss

Apr 29, 2025 - 10:11
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US-Zollpolitik: Peter Navarro – Trumps radikaler Handelskrieger

Auf Peter Navarro kann Donald Trump sich verlassen. Der glühende Zollanhänger tut alles, damit der Präsident seinen Handelskrieg kämpfen kann – auch wenn er dafür die Realität verbiegen muss

Als die Finanzmärkte am Morgen des 9. April crashten, gab es für US-Finanzminister Scott Bessent und US-Handelsminister Howard Lutnick nur ein Ziel: Sie mussten den richtigen Moment abpassen. Eine Woche zuvor hatte Donald Trump am „Liberation Day“ die größte US-Zollerhöhung seit den 30er-Jahren verkündet. Die Börsen erlebten einen der größten Abstürze seit dem Zweiten Weltkrieg. Investoren flüchteten aus dem Dollar und aus US-Staatsanleihen. Bessent und Lutnick wollten Trump überreden, den Zollkrieg wenigstens vorübergehend auszusetzen. Es gab nur ein Problem: Peter Navarro, der Trump zu der Attacke geritten hatte, wich einfach nicht von seiner Seite.

Laut „Wall Street Journal“ lungerte der wichtigste Handelsberater des Präsidenten an diesem Morgen pausenlos vor dem Oval Office herum. Seit Trump den Startschuss zum weltweiten Handelskrieg gegeben hatte, schien es fast, als wolle der Ökonom den Präsidenten bewachen, damit ihm niemand gegenläufige Ratschläge erteilt. Bessent und Lutnick warteten geduldig, bis Navarro gegangen war, weil Trump zu einem Treffen in einem anderen Teil des Weißen Hauses aufbrechen wollte. Dann stürmten sie das Oval Office.

Viel Zeit blieb nicht, weil sie keinen offiziellen Termin für ihre Intervention beim mächtigsten Mann der Welt hatten. Aber am Ende überzeugten sie Trump, den Zollkrieg mit dem Rest der Welt vorübergehend auszusetzen, um die Panik an den Märkten in den Griff zu kriegen. Laut Lutnick blieben Bessent und er so lange an Trumps Seite, bis der Präsident den Truth-Social-Post fertig getippt hatte, in dem er seine plötzliche Kehrtwende verkündete.

„Ein Idiot“, der das Ohr des Präsidenten hat

Die Episode zeigt, welche Macht Peter Navarro als Trumps Chefberater in Handelsfragen hat. Und wie entschlossen er ist, den Zollkrieg gegen alle Widerstände durchzukämpfen. „Trump hat keine ökonomische Theorie hinter dem, was er tut“, sagt der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. Das stimmt nicht ganz: Trump folgt dem Plan von Peter Navarro. Er war schon in Trumps erster Amtszeit sein wichtigster Einflüsterer in Handelsfragen und ist nun wieder der Cheftheoretiker seines Wirtschaftskriegs mit dem Rest der Welt. Auch wenn seine Theorie mit der Realität an vielen Stellen nichts zu tun hat.

Selbst einige von Trumps engsten Verbündeten können Navarros Ideen wenig abgewinnen. Elon Musk hat ihn auf X als „dümmer als ein Sack Ziegelsteine“ und „wirklich ein Idiot“ beschimpft. Weniger deshalb, weil das seine tatsächliche Intelligenz beschreibt. Sondern wohl mehr aus Frust darüber, dass Navarro Trumps Denken so stark prägt, dass selbst der reichste Mann der Welt ihn nicht vom Zoll-Harakiri abbringen kann, das Tesla und Musks anderen internationalen Konzernen schweren Schaden zufügt.

Navarro ist ein glühender Verfechter des Protektionismus. Seit Jahren wirbt er für die Abkehr von der Globalisierung und der Nachkriegsordnung, die als Lehre aus der Großen Depression und dem Zweiten Weltkrieg auf offene Grenzen und Freihandel setzte. Mit horrenden Zöllen will er die Amerikaner zwingen, weniger in China und mehr zu Hause einzukaufen, um das Handelsdefizit mit Peking herunterzuprügeln. Es ist genau der Plan, den Trump jetzt in die Tat umsetzt.

„Amerika, das Sparschwein wird weiter geplündert“

Unfaire Handelspraktiken der Chinesen prangern auch viele andere Ökonomen zu Recht an. Aber mit seinen radikalen Vorschlägen steht der 75-jährige Navarro weitgehend allein da. Seit der britische Ökonom David Ricardo im 19. Jahrhundert die Theorie des komparativen Kostenvorteils entwickelt hat, haben renommierte Wirtschaftsforscher immer wieder bestätigt, dass Handel und globale Arbeitsteilung den Wohlstand der Nationen insgesamt erhöhen. Weil sich jedes Land auf das spezialisiert, was es mit den geringsten Opportunitätskosten herstellen kann – auch wenn dabei überall einige Branchen und Beschäftigte verlieren.

Diesen Konsens lehnt Navarro ab: „Ricardo ist tot“, donnerte er schon 2019 den Zuhörern bei einem Vortrag an seiner Alma Mater Harvard entgegen. Denn dessen Theorie würde nicht berücksichtigen, dass in der realen Handelswelt andere Länder „lügen, spionieren, betrügen, oder stehlen“. Für Navarro ist Handel kein Wachstumsgarant, durch den alle gewinnen, sondern ein Nullsummenspiel, bei dem immer nur einer verliert: „Amerika, das Sparschwein, wird weiter geplündert werden durch ein Handelsdefizit, das pro Jahr mehr als eine halbe Billion Dollar amerikanischen Wohlstands in ausländische Hände transferiert.“

Jahrzehntelang lehrte Navarro Wirtschaft an der Universität von San Diego, kandidierte erfolglos für die Demokraten als Bürgermeister der südkalifornischen Stadt und für den US-Kongress. Seinen Hang zum Extremen, der auch seine Handelstheorie prägt, hat er schon als Aktivist in den 90er-Jahren entwickelt, der die ausufernde Zersiedelung der Millionenstadt durch Immobilienhaie, Baulöwen und Einwanderer anprangerte: „Beides sind fundamental populistische Botschaften, die von der Annahme ausgehen, dass jemand darauf aus ist, uns abzuzocken und dass wir etwas Drastisches tun müssen, um dieses Unrecht zu beseitigen“, zitiert das US-Portal „Axios“ einen von Navarros damaligen Gegnern.

China-Hass ist die Eintrittskarte zu Trumps Zoll-Team

Dennoch deutete wenig darauf hin, dass Navarro einmal zum wichtigsten Handelskrieger der Maga-Bewegung werden würde. Vor zehn Jahren war er noch ein kaum bekannter Professor kurz vor dem Ruhestand. Dann katapultierte ihn der Zufall in Trumps Orbit: 2016 suchte der händeringend nach Experten für sein Wahlkampfteam. Trumps Schwiegersohn Jared Kushner soll daraufhin einfach auf Amazon nach passenden Büchern gesucht haben, und dabei auf Navarros Werk gestoßen sein: „Tod durch China“. Es war seine Eintrittskarte ins Weiße Haus.

Navarro passte perfekt ins Profil: Abschlüsse in Harvard, hohe Glaubwürdigkeit als Professor, felsenfeste Überzeugungen. Er bestätigte Trump in all seinen Ansichten über China. Und lieferte ihm ein halbwissenschaftliches Fundament, um die Wut seiner Anhänger zu schüren. In seinem Buch hetzt Navarro, man müsse „dem Drachen entgegentreten“, der den USA Millionen Jobs stehle, indem er Umweltschutz und Arbeiterrechte mit Füßen trete, Löhne drücke, Patente klaue, US-Technologie hacke, seine Märkte abschotte und mit gesundheitsschädlichen und gefälschten Billigmist „unsere Babys in ihren Betten erwürgt“.

Über den Hass auf China hinaus ist Navarros Beziehung zu Trump inzwischen zur persönlichen Verbindung gewachsen. Trump soll laut „WSJ“ mehrfach gegenüber anderen gelobt haben, dass Navarro für ihn ins Gefängnis gegangen sei. In den Ermittlungen zu Trumps gescheiterten Putschversuch und dem Sturm seiner Anhänger aufs Kapitol am 6. Januar 2021 hatte der US-Kongress Navarro als Zeugen vorgeladen. Doch Navarro verweigerte eisern die Aussage – und saß dafür vier Monate im Knast. Zuvor hatte er im Fernsehen die Lüge verbreitet, Trump habe die Wahl gewonnen.

Ein Experte, der die Realität verbiegt

Sich die Wahrheit zurechtzubiegen, ist für Navarro keine neue Übung. In seinen Büchern zitiert Trumps Chefberater zum Beweis für seine Theorien mehr als ein Dutzend Mal einen vermeintlichen Experten: Ron Vara, Militär-Veteran, Investor und Harvard-Ökonom wie Navarro selbst. Um Navarros Ideen vom Zollkrieg bekannt zu machen, verschickte Vara Memos in Washington, und legte eigens dafür eine E-Mail-Adresse an. Sein Name ergibt sich, wenn man Navarros Familiennamen zu einem neuen Anagramm durchschüttelt.

Als eine australische Professorin stutzig wurde und Nachforschungen anstellte, musste Navarro zugeben, dass er sich „Ron Vara“ einfach ausgedacht hatte. Den akademischen Betrug tat Navarro gegenüber US-Medien lapidar als „Insider-Witz“ ab. „Wie Ron Vara sagen würde: Machen sie sich locker und viel Spaß beim Lesen der Bücher“.

Mit Navarro als Berater macht sich Trump nun weiter die Handelswelt, wie sie ihm gefällt. Der US-Präsident hat offensichtlich kein Problem damit. Schließlich telefonierte er selbst schon in den 1980ern unter dem Pseudonym „John Baron“ mit der Finanzpresse, um seinen angeschlagenen Ruf aufzupolieren. Doch die Realität könnte Trump und seinen Handelskrieger womöglich bald einholen.

Denn China ist heute längst nicht mehr das Entwicklungsland, von dem Navarro vor 15 Jahren in seinen Büchern schrieb. Die Volksrepublik habe sich den Weg an die Weltspitze zwar auch durch Produktpiraterie und Technologieklau erschlichen, schreibt Tom Friedman in der „New York Times“. In vielen Branchen sei die Volksrepublik aber inzwischen technologisch überlegen: „Was Chinas Fertigungsmaschinerie heute so mächtig macht, ist nicht, dass sie Dinge bloß billiger herstellt. Sie produziert sie billiger, schneller, besser, smarter und zunehmend mit KI.“ Gut möglich also, dass der Handelskrieg, den Trump und Navarro vom Zaun gebrochen haben, so endet, wie sie es sich nicht vorstellen können: mit einer Niederlage der USA.

Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen. Das Nachrichtenportal gehört wie Capital zu RTL Deutschland.