„Süddeutsche Zeitung“ und „taz“ in Not: In der Ukraine droht Frieden auszubrechen
Mainstream-Medien in Deutschland müssen sich jetzt umstellen – ihre Positionen zum Ukrainekrieg sind fast alle der Realität zum Opfer gefallen. Bei dieser Umstellung von emotionaler Meinungsmache auf die Anerkennung der bitteren Fakten sind bei Journalisten nun verschiedene Wege zu beobachten: Die einen schlagen umso wilder um sich, die anderen fügen sich langsam den Tatsachen. BeispielhaftWeiterlesen
Mainstream-Medien in Deutschland müssen sich jetzt umstellen – ihre Positionen zum Ukrainekrieg sind fast alle der Realität zum Opfer gefallen. Bei dieser Umstellung von emotionaler Meinungsmache auf die Anerkennung der bitteren Fakten sind bei Journalisten nun verschiedene Wege zu beobachten: Die einen schlagen umso wilder um sich, die anderen fügen sich langsam den Tatsachen. Beispielhaft sollen hier ein Text in der Süddeutschen Zeitung und ein Text in der taz zum Thema Ukrainekrieg betrachtet werden. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Sowohl die Süddeutsche Zeitung (SZ) als auch die taz haben meiner Meinung nach einen großen Einfluss auf die Kriegspropaganda in Deutschland, unter anderem weil beide Medien trotz ihrer zum Teil radikalen kriegstreiberischen Inhalte bei vielen Bürgern immer noch (irrtümlich) als irgendwie „linksliberal“ gelten und ein dementsprechend sich selbst als „die Guten“ wahrnehmendes Publikum erreichen.
Das Übliche bei der SZ: Putin ist „Gangster“ und „erpresserischer Diktator“
Während in einem taz-Kommentar zum Ukrainekrieg nun (für taz-Verhältnisse) auch konstruktive und vernünftige Töne anklingen, verharrt ein aktueller SZ-Kommentar sprachlich und inhaltlich in der gewohnt harten Ideologie. Unter dem Titel „Gangster und Narzisst“ schreibt die SZ am 24. April in verrohtem Stil, der russische Präsident Wladimir Putin sei ein „erpresserischer Diktator, der Krieg, Mord und Vergewaltigung für legitime Mittel hält“. Und weiter:
„In Wahrheit aber ist Wladimir Putin ein Gangster. Und zwar nicht nur irgendein hütchenspielender Kleinkrimineller oder Straßenschläger von der Ecke, sondern ein Verbrecher von globalen Dimensionen, noch dazu ein sehr erfolgreicher.“
Zu den aktuellen Verhandlungen heißt es:
„Demnach soll das Opfer der Aggression dem Aggressor de jure und/oder de facto große Teile der besetzten Gebiete überlassen, die USA sollen eine Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato für immer verhindern und die gegen Russland verhängten Wirtschaftssanktionen aufheben. Die Ukraine bekommt im Gegenzug für diese Zugeständnisse – eigentlich nichts.“
Mögliche Gebietsabtretungen wären problematisch, über sie wird auch noch lange zu reden sein – aber die auch dadurch ermöglichte Rettung tausender Menschenleben ist trotzdem nicht „nichts“, wie die SZ unterstellt. Und: Hätte man die absehbaren schlimmen Folgen des provozierten und darum lange und total voraussehbaren Ukrainekriegs verhindern wollen, hätte man sich früher anders verhalten müssen – etwa während der NATO-Osterweiterung, während des Maidan-Putsches oder während der von westlicher Seite torpedierten Friedensverhandlungen von Istanbul 2022. Da die SZ in den letzten Jahren die aggressive westliche Ukrainepolitik stark gestützt hat, ist sie meiner Meinung nach mitverantwortlich für die unnötig zerstörerische Entwicklung des Konflikts.
Bemerkenswert: Es „droht“ jetzt in der Ukraine, ein bitterer, aber immerhin ein Frieden „auszubrechen“ – und die SZ nennt das „Zertrümmerung der Friedensordnung“:
„Hoffentlich merken die Europäer das, die sich seit drei Jahren aus guten Gründen gegen alles sperren, was Trump und Putin da gerade verhandeln. Es ist die Friedensordnung auf ihrem eigenen Kontinent, die da zertrümmert wird.“
Die folgende, von der SZ eingeforderte Weitsicht kombiniert mit Geschichtsbewusstsein hätte man sich ebenfalls vor der NATO-Osterweiterung, vor dem Maidan-Putsch und vor dem jahrelang geduldeten Beschuss der Bürger des Donbass durch ukrainische Nazi-Batallione gewünscht:
„Schon ein kurzer Blick auf die europäische Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts reicht, um eine Ahnung davon zu bekommen, wohin solche Ansichten führen.“
Wenn die aktuellen Verhandlungen zwischen USA und Russland also des Teufels sind und gar nicht zu einem Frieden führen – muss dann der Krieg immer weiter gehen? Die SZ behauptet:
„Denn wenn ein Gangster belohnt wird, indem man ihm die Beute schenkt, vor den Augen der Beraubten, dann folgt danach eins mit großer Sicherheit nicht: Frieden.“
Es bleibt dabei: Die SZ torpediert in einer harten Sprache jeden realistischen Ansatz für Friedensgespräche. Die Zeitung kann aber außer abwegigen Szenarien von einer Niederringung Russlands null Alternativen anbieten – wie viele Ukrainer sollen für diesen unhaltbaren Standpunkt, der den sinnlosen Stellungskrieg offenbar einfach weiter verlängern will, noch geopfert werden?
Neue Töne bei der taz
Erheblich rationaler klingt das im Kommentar in der taz mit dem Titel „Die Ukraine muss sich auf Gebietsverluste einstellen“, auch wenn so manche Stelle im Text zweifelhaft formuliert ist, etwa zu den Verhandlungen in Istanbul. Zu Durchhalteparolen und der fortgesetzten Forderung, man müsse Russland „besiegen“, heißt es aber zutreffend:
„Wer diese Eskalation möchte, soll bitte auch sagen, welchen Preis er oder sie zu bezahlen bereit ist: Sind es Tausende Tote, Zehntausende oder Hunderttausende?“
Diese Frage könnte etwa an den oben zitierten Autor der SZ gerichtet werden. Da diese Opfer aber niemand rechtfertigen kann, stellt der taz-Kommentar fest:
„Selenskyj sollte das Verhandlungsverbot aufheben und sehr bald Gespräche mit Moskau führen. Je länger er wartet, desto härter werden die russischen Forderungen.“
Es folgt ein Kompromissvorschlag, der in seinen Formulierungen teils kritikwürdig ist und der sicherlich beide Seiten unbefriedigt lassen würde – aber immerhin wird hier mal (für taz-Verhältnisse) ein pragmatischer und kein billig-emotionaler Ansatz verfolgt, um das Sterben zu stoppen:
„Soll die Ukraine die von Russland annektierten Gebiete als zu Russland gehörend anerkennen? Nein, eine Anerkennung dieser von Russland vorgenommenen Grenzveränderung darf es nicht geben. Diese Gebiete wurden völkerrechtswidrig annektiert, eine De-jure-Anerkennung würde das Unrecht zementieren. Aber die Ukraine könnte zu erkennen geben, dass sie mit einer De-facto-Anerkennung der Front als Trennlinie einverstanden ist, und zugleich erklären, dass sie keine Versuche unternehmen wird, die Gebiete zurückzuerobern.“
Der Ukraine-Krieg hätte verhindert werden können
Der Ukraine-Krieg hätte verhindert werden können – bei Verzicht auf die den Absprachen mit den Russen widersprechende NATO-Osterweiterung, den Maidan-Putsch, die extreme Aufrüstung der Ukraine, die antirussische Propaganda in Medien und Politik, den uns selbst schädigenden Wirtschaftskrieg und vieles mehr. Vor allem hätte es von offizieller und medialer westlicher Seite eine Verurteilung der Angriffe der Nazi-Bataillone gegen die Bürger des Donbass im Rahmen der von Kiew angeordneten „Anti-Terror-Aktion“ ab 2014 geben müssen – diese Angriffe gegen die Zivilbevölkerung, auf die Russland in Teilen der Ostukraine dann schützend reagiert hat, sind als realer Beginn des Ukrainekriegs zu bezeichnen.
Inzwischen wird auch von manchen Mainstream-Journalisten 2014 als der eigentliche Startpunkt des Krieges genannt – allerdings immer mit dem geschichtsverfälschenden Beisatz, Russland habe bereits damals „die Ukraine“ angegriffen. Das stimmt nicht: Die damaligen Angriffe gegen die Zivilbevölkerung des Donbass wurden 2014 eingeleitet durch den Übergangspräsidenten in Kiew, Alexander Turtschinow, sie wurden dann fortgesetzt unter dem Präsidenten Petro Poroschenko und folgenden Regierungen.* Die anschließende westliche „Erlaubnis“ für die Ukraine, den Friedensprozess von Minsk einfach zu ignorieren und das Land statt dessen massiv aufzurüsten, ist ein weiterer Mosaikstein auf dem Weg zu einem Krieg, der hier nicht verteidigt wird, der aber hätte verhindert werden können.
Die aggressive und absolut voraussehbar in den Ukraine-Krieg mündende Strategie der NATO rechtfertigt auf der anderen Seite aber nicht automatisch die Handlungen, die Russland während des Ukraine-Kriegs vollzogen hat. Ich kann nicht abschließend beurteilen, wie akut die Bedrohungslage im Februar 2022 aus Sicht Russlands tatsächlich war. Ich will die russische Invasion und die möglichen Gebietsverluste der Ukraine darum nicht verteidigen – ich trage aber auch nicht die Verantwortung für die langfristige strategische Sicherheit Russlands. Meine Meinung ist hier außerdem irrelevant – denn wie auch immer das persönliche moralische Urteil über die russischen Handlungen der letzten Jahre ausfällt: Die russischen Reaktionen auf die oben aufgezählten harten westlichen Provokationen waren nun mal absolut voraussehbar, auch wenn man die Reaktionen selbst nicht gutheißt.
Der Verzicht auf solche Provokationen zugunsten einer dringend anzustrebenden gesamteuropäischen und Russland einschließenden Sicherheitsarchitektur bedeutet selbstverständlich nicht die Forderung nach einer Unterwerfung unter ein „russisches System“.
„Ich habe selten eine solche Wolke aus Lügen erlebt“
Sogar noch in den Tagen vor dem russischen Einmarsch im Februar 2022 hätte diese Invasion abgewendet werden können, wenn die Ukraine sich einen neutralen Status gegeben hätte und auf eine NATO-Mitgliedschaft verzichtet hätte. Damals wurde diese aus Sicht russischer Sicherheitsinteressen nachvollziehbare Forderung hierzulande verlacht und eine NATO-Mitgliedschaft geradezu in den Rang eines Menschenrechts erhoben, dessen Erfüllung wichtiger als die Verhinderung eines Krieges sei. Selbst kurz nach dem russischen Einmarsch hatte es während den Verhandlungen in Istanbul noch die Möglichkeit zum Waffenstillstand gegeben – verhindert wurde auch dies von westlicher Seite. Die seither getöteten Menschen haben auch westliche Kriegsverlängerer in Medien und Politik auf dem Gewissen, auch in Deutschland.
Wie gesagt: Die von vielen europäischen Mainstream-Medien über Jahre vertretenen Positionen zur Ukraine und das Verschweigen der Vorgeschichte des Krieges sind inzwischen auch mit größtem Propaganda-Aufwand nicht mehr zu halten. Eine regelrechte Flucht nach vorn tritt jetzt die britische Daily Mail an, in einem Artikel, den Thomas Röper hier übersetzt hat. Dort heißt es etwa:
„In meinem Beruf bin ich längst daran gewöhnt, wie Regierungen lügen und andere dazu bringen, für sie zu lügen. So ist es nun einmal. Aber ich habe selten eine solche Wolke aus Lügen erlebt wie jetzt. Kaum jemand in diesem Land kennt die Wahrheit über die Ukraine. So etwas gab es nicht mehr, seit wir alle mit dem Geschwätz über fiktive ‚Massenvernichtungswaffen‘ über die Irak-Invasion belogen wurden. Die Lügner wurden ertappt. Und sie haben daraus gelernt. Sie haben gelernt, geschickter zu lügen. (…) Wir haben nie eine Debatte über die Ukraine-Krise geführt, die am Anfang begann. Hat Ihnen jemals jemand, der an der Macht ist, wahrheitsgemäß gesagt, wie, wann oder warum dieser Krieg begann? Nein.“
*Aktualisierung 29. April 2025, 14:30 Uhr: In diesem Satz wurde ein Link ergänzt.
Titelbild: Symbolbild, erstellt mit Künstlicher Intelligenz/Grok