Handwerk statt Hektik: Töpfern als Therapie: Warum Arbeiten mit Ton so angesagt ist
Pottery-Videos im Netz, schicke Studios, volle Kurse: Töpfern liegt schon länger im Trend. Doch woher kommt die Begeisterung für eine der ältesten Handwerkskünste?

Pottery-Videos im Netz, schicke Studios, volle Kurse: Töpfern liegt schon länger im Trend. Doch woher kommt die Begeisterung für eine der ältesten Handwerkskünste?
Tonklumpen, aus denen in kurzer Zeit klare Formen entstehen. Matschige Hände und verdreckte Schürzen an Drehscheiben. Vasen, Becher und Figuren in den verschiedensten Farben. Das Netz ist voll mit Fotos und Videos zum Thema Töpfern.
Nicht nur in Metropolen wie London, Barcelona und Berlin gibt es hippe Studios. Und die "New York Times" schrieb schon vor einigen Jahren: "Pottery Is the New Pilates". Aber woher kommt die Renaissance einer der ältesten Handwerkskünste?
Besuch bei Viola Beuscher: Die 32-Jährige steht in ihrem hellen Studio am Rande des Frankfurter Bahnhofviertels. Zwölf Mitarbeitende sind dort beschäftigt, etwa eine Tonne Ton aus dem Westerwald wird hier im Monat verarbeitet. "Pottery ist ein Riesenthema geworden", sagt sie. Immer mehr Leute würden Wert darauf legen, woher ihre Produkte kommen, sei es beim Essen oder eben bei der handgemachten Keramik aus der Region.
Trend zum Töpfern hat auch mit der digitalen Gesellschaft zu tun
Was sie persönlich am Töpfern liebe? "Die Struktur, die Ordnung und die Klarheit", sagt Beuscher. Das zeigt sich auch in ihren minimalistischen Produkten, die sie vor allem für gehobenere Gastronomie, aber auch Privatpersonen anfertigt. Auf Instagram hat sie rund 32.000 Follower, über die Plattform kam auch ihr aktueller Auftrag aus einer Kaffee-Rösterei in New York.
Auch Marianne Kassamba vom Bundesverband Kunsthandwerk in Frankfurt sieht bei vielen den Wunsch, "wieder etwas mit den Händen zu machen, zurück zu den Wurzeln zu gehen". Natürlich habe das auch mit der schnelllebigen und digitalen Gesellschaft zu tun. So setze das Töpfern voraus, sich Zeit zu nehmen und sich bewusst damit zu beschäftigen. Vielleicht gehe es auch darum, sich im wahrsten Sinne des Wortes wieder zu erden.
Hippe Studios und Pottery-Show im britischen Fernsehen
Manche Pottery-Studios bieten mehr an als klassische Töpfer-Kurse. Der "Clay Room" in Münster lädt einmal im Monat zum "after breakfast clay", eine Art offene Werkstatt, bei denen Interessierte mit Erfahrung eigenständig töpfern können. Ein Studio in Mainz hat regelmäßig "Yoga und Töpfern" im Angebot.
In London sah man neulich Menschen mit niedlichen Hunden auf einem Markt, bei dem Künstlerinnen und Künstler ihre getöpferten Produkte verkauften. Tassen, Teller, getöpferte Zigarettenstummel. Bei Instagram wird das gerne ästhetisch in Szene gesetzt. Und das britische Fernsehen setzt auf die Sendung "The Great Pottery Throwdown", bei der Leute um die Wette töpfern.
Aber wie ist die Situation im klassischen Töpferhandwerk?
Kassamba beobachtet ebenfalls den Trend - und betont zugleich: Die Situation im traditionellen Töpferhandwerk sei dagegen oftmals angespannt. "Das Problem ist einfach, es gibt immer weniger wirklich traditionelle Töpferbetriebe oder Keramiker, die ausbilden, das schrumpft ganz dramatisch." Viele jüngere Mitglieder des Bundesverbands seien zum Teil gar nicht mehr im klassischen dualen Handwerk ausgebildet worden, sondern hätten Design studiert und dann ihren Schwerpunkt auf Keramik, auf Glas oder andere Gewerke gelegt.
© Boris Roessler / dpa
Auch Beuscher hat nie eine klassische Ausbildung absolviert, sondern sich das Töpfern größtenteils selbst beigebracht. Ursprünglich hatte sie mal einen ganz anderen Lebensplan. Während des Studiums in Wien (Politik und Journalismus) arbeitete sie als Stewardess. Auf einem Flug sei es zu einem Unfall gekommen, bei dem sie schwer verletzt worden sei, erzählt Beuscher.
Mit gerade mal 22 Jahren habe sie sich mit einer posttraumatischen Belastungsstörung in einer Klinik wiedergefunden, erzählt sie. Im Zuge der Ergotherapie wurde dort auch Töpfern angeboten. "Beim Töpfern muss man sich unheimlich konzentrieren. Und dieser neue Fokus und die Struktur haben mit tatsächlich geholfen, wieder gesund zu werden."
Als sie aus der Klinik kam, hat die Mutter ihres Freundes und heutigen Mannes eine alte Töpferscheibe aus dem Keller geholt und ihr geschenkt. Später eröffnet sie dann ihr eigenes Studio, bekommt über Freunde erste Aufträge aus der Gastro. "Es ist bis heute meine Passion, zwei Handwerke, also das Kochen und das Töpfern, zusammenzubringen."
"Beim Töpfern kann man nicht Multitasken."
Auch in Beuschers Studio werden regelmäßig Kurse angeboten - und die Nachfrage sei groß. Da seien Studierende, aber auch Werber oder Banker, "die hier abends noch im Anzug hinkommen und sich schnell umziehen". Viele seien am Anfang regelrecht geschockt und sagten: "Gott, das sieht so einfach aus, aber ist es gar nicht."
Mit der verbreiteten Einschätzung, dass Töpfern vor allem entschleunigt, kann Beuscher selbst recht wenig anfangen. Vielmehr gehe es um Präzision, Disziplin, Genauigkeit und Geduld - und vielleicht um eine Akzeptanz, wenn es mal schiefgeht. Was allerdings entschleunigen könne - so räumt sie ein: "Beim Töpfern kann man nicht Multitasken. Das ist wie beim Schwimmen, da kannst du auch nicht nebenbei aufs Handy schauen."