Dürfen Eltern ihren Arbeitsplatz verlassen, wenn ihr Kind krank ist?
Für Eltern von kleinen Kindern eine typische Situation: Die Kita ruft an, das Kind ist krank und muss sofort abgeholt werden. „In so einem Fall darf der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin den Arbeitsplatz verlassen, um sich um das kranke Kind zu kümmern – wenn keine andere im Haushalt lebende Person die Betreuung übernehmen kann“, sagt Kathrin Bürger, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partnerin bei der Kanzlei Seitz. Die Mitarbeitenden müssen ihre Vorgesetzten natürlich darüber informieren, dass sie nach Hause gehen.
Gibt es dabei eine Altersgrenze für die Kinder?
Da ist die Gesetzgebung nicht eindeutig. Paragraf 45 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), der die Zahlung von Krankengeld regelt, zielt nur auf Kinder ab, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben (oder behindert und auf Hilfe angewiesen sind).
Eltern können sich laut Bürger aber auch auf Paragraf 275 Absatz 3 in Verbindung mit Paragraf 616 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) beziehen: Darin wird geregelt, wann Arbeitnehmer aufgrund einer „vorübergehenden Verhinderung“ bezahlt von der Arbeit freigestellt werden müssen – und dort findet sich keine Altersbegrenzung.
„Das Problem ist, dass die Ansprüche aus dem SGB V und dem BGB nebeneinander stehen und keine der Regelungen vorrangig ist“, erklärt Arbeitsrechtlerin Bürger. Man müsse beide Normen stets zusammen lesen – und das führe immer wieder zu Unklarheiten und beschäftige die Gerichte.
Die elterliche Fürsorgepflicht habe aber in aller Regel Vorrang. Mütter und Väter dürfen also gehen, wenn es die Erkrankung ihres Kindes dringend erforderlich macht – etwa, wenn die Kita oder die Schule anruft und darum bittet, das kranke Kind abzuholen. Auch dann, wenn das Kind über zwölf ist.
Wie viele Kinderkrankentage stehen Eltern zu?
Auch hier muss man unterscheiden.
Kinderkrankentage-Regelung nach Paragraf 45 SGB V
Beziehen sich Angestellte auf Paragraf 45 SGB V, ist genau geregelt, wie lange der Arbeitgeber sie unbezahlt freistellen muss – sofern das Kind jünger als zwölf ist. Für diese Zeit können gesetzlich versicherte Angestellte dann Kinderkrankengeld beantragen (mehr dazu weiter unten). Für die Kalenderjahre 2024 und 2025 gilt:
Jedes Elternteil hat pro Kind einen Anspruch auf 15 Kinderkrankentage im Jahr.
Eltern von zwei kleinen Kindern kommen so also auf jeweils 30 Tage im Jahr.
Bei mehr als zwei Kindern ist der Anspruch auf maximal 35 Tage im Jahr pro Elternteil gedeckelt.
Alleinerziehenden stehen längstens 30 Tage pro Kind zu. Bei mehreren Kindern haben Alleinerziehende insgesamt einen Anspruch auf maximal 70 Kinderkrankentage.
Wichtig: Wenn Eltern Kinderkrankentage nehmen, haben sie einen Anspruch auf Freistellung. Arbeitgeber dürfen also nicht verlangen, dass sie stattdessen angesammelte Überstunden oder Zeitguthaben abbummeln.
Zum Hintergrund: Im Zuge der Corona-Pandemie war der Anspruch auf Kinderkrankentage mehrfach erhöht worden, in Zeiten von strengen Quarantäne-Regelungen und geschlossenen Schulen und Kitas standen jedem Elternteil zwischenzeitlich bis zu 30 Tage pro Kind zu. Ende 2023 liefen diese Corona-Sonderregeln aus. Ohne ein neues Gesetz hätten ab 2024 wieder die Sätze aus vorpandemischer Zeit gegolten, also 10 Tage im Jahr pro Kind. Im Pflegestudiumstärkungsgesetz wurde daher der neue, höhere Satz für gesetzlich versicherte Eltern festgelegt, der für 2024 und 2025 gilt.
Wie viele Kinderkrankentage bekommen Beschäftigte in Teilzeit?
Ob die 15 Kinderkrankentage auch Beschäftigten in Teilzeit voll zustehen oder nur für Vollzeitbeschäftigte gelten, lässt sich laut Bürger nicht so leicht beantworten. Es gibt dazu unterschiedliche Sichtweisen: In der arbeitsrechtlichen Literatur wird dieses Problem überhaupt nicht behandelt, was dafür spricht, dass man den Anspruch auf 15 Tage unabhängig von der Arbeitszeit hat. Allerdings gibt es laut der Arbeitsrechtlerin Nachweise öffentlicher Behörden, die für eine Kürzung plädieren – entsprechend der Arbeitstage, an denen die Teilzeitkraft im Unternehmen ist. Dann würden die Regelungen im Bundesurlaubgesetz gelten und der Anspruch anteilig berechnet werden.
Was bedeutet das für eine Mitarbeiterin in Teilzeit, die vier Tage in der Woche arbeitet? Das Kinderkrankengeld wird von den Krankenkassen laut Bürger nur für Tage gewährt, an denen die Versicherte ohne das kranke Kind tatsächlich gearbeitet hätte. Fällt die Krankheit des Kindes hingegen auf einen Tag, an dem die Versicherte ohnehin frei gehabt hätte, besteht für diesen Tag auch kein Anspruch auf Kinderkrankengeld. Da es jedoch keine aktive Kürzungsregel gibt, könne laut der Expertin unterstellt werden, dass auch für Mitarbeiter in Teilzeit insgesamt der volle Anspruch auf Kinderkrankengeld für 15 Tage bestehe.
Dürfen Angestellte ihre Ansprüche auf Kinderkrankentage auf das andere Elternteil übertragen?
Man kann den Anspruch auf Kinderkrankentage auch an seinen Partner oder seine Partnerin abgeben. Ein Beispiel: Hat ein Paar ein Kind, kann sich ein Elternteil theoretisch die kompletten 15 Tage des anderen Elternteils übertragen lassen und könnte so insgesamt 30 Tage im Jahr freigestellt werden. Das geht aber nur, wenn beide Arbeitgeber dieser Übertragung zustimmen. Der Arbeitgeber des Elternteils, das die Tage übernehmen möchte, darf das auch ablehnen.
Kinderkrankentage-Regelung nach Paragraf 616 BGB
In Paragraf 616 BGB gibt es keine klare Aussage, wie lange Arbeitnehmer zur Pflege kranker Kinder zuhause bleiben können. Es heißt: „Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird.“
„Was als verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit angesehen wird, ist Auslegungssache“, sagt Bürger. „Man hat versucht, da die zehn beziehungsweise 15 Tage aus dem SGB V hineinzulesen – aber das ist nicht eindeutig.“
In vielen Arbeitsverhältnissen ist deshalb explizit geregelt, ob und wie lange Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Pflege eines kranken Kindes zu Hause bleiben können und dabei weiter das volle Gehalt bekommen. Laut Paragraf 29 im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) müssen Arbeitgeber zum Beispiel bis zu vier Tage Sonderurlaub im Jahr für die Pflege eines kranken Kindes unter zwölf Jahren gewähren, sofern Paragraf 45 SGB V nicht greift.
Woher bekommt der Mitarbeiter dann sein Geld, vom Arbeitgeber oder der Krankenkasse?
Auch hier ist es kompliziert. Im Prinzip wird der Arbeitgeber durch Paragraf 616 BGB dazu angehalten, den Mitarbeiter bei vollen Bezügen freizustellen. Aber dazu verpflichtet ist er nicht.
Arbeitgeber dürfen deshalb individuelle Regelungen festlegen und beispielsweise sagen, dass sie die Mitarbeiter nur für drei Tage bezahlt freistellen – oder auch für 10 oder 15. Das regeln häufig Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen.
Gibt es eine solche Regelung, muss der Arbeitgeber der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter laut Bürger tatsächlich die vollen Bezüge zahlen. War ein Mitarbeiter beispielsweise für eine Nachtschicht eingeteilt und konnte sie nicht antreten, weil er sich um sein Kind kümmern musste, bekommt er auch den Nachtzuschlag.
Mehr zum Anspruch auf Lohnfortzahlung: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall: Wer bekommt wie viel?
Können Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung ausschließen?
Das ist möglich. „Etwa, indem man Paragraf 616 BGB im Arbeitsvertrag explizit ausschließt. Oder man greift auf eine Formulierung zurück wie ‚Nur tatsächlich geleistete Arbeit wird auch vergütet'“, erklärt Bürger. Aber auch dann haben Arbeitnehmer das Recht, zu Hause zu bleiben. „Ist das Kind unter zwölf und der Arbeitnehmer gesetzlich versichert, fällt er auf die Regelung zurück, dass die Krankenkasse Krankengeld bezahlt.“
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Wie bekommen Angestellte Kinderkrankengeld?
Gesetzlich Versicherte haben unter den in Paragraf 45 SGB V beschriebenen Bedingungen Anspruch auf Kinderkrankengeld. Es beträgt in der Regel 70 Prozent des Bruttoverdienstes, maximal aber 90 Prozent des Nettoverdienstes. Um es zu beziehen, müssen die Versicherten den Krankenschein bei ihrer Krankenkasse einreichen.
Privat versicherte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben keinen Anspruch auf das sogenannte Kinderkrankengeld. Sie regeln die Situation häufig mit einer entsprechenden Zusatzversicherung. Gibt es auch keine anderslautende Vereinbarung im Arbeitsvertrag, zahlt der Arbeitgeber für die Zeit ihrer Abwesenheit nicht.
Was, wenn das Kind länger krank ist?
Gerade der erste Kita-Winter ist oft hart, kleine Kinder nehmen dann häufig jeden Infekt mit. Was tun, wenn sich eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter ständig Kind krank meldet? Fest steht: Mehr als die 15 Tage unbezahlter Freistellung pro Kalenderjahr und Kind stehen dem Vater oder der Mutter nicht zu.
„Wenn der Arbeitgeber verständnisvoll ist und es die Aufgaben erlauben, kann man sich darauf verständigen, dass der Mitarbeiter in dieser Zeit im Homeoffice arbeitet“, sagt Bürger. Geht das nicht, bleibt dem Arbeitnehmer keine andere Wahl, als Urlaub zu nehmen.
Und auch, wenn es für geplagte Eltern der einzige Ausweg erscheint: Sie dürfen in dieser Situation nicht krankfeiern, wenn sie selbst gesund sind. Hegen Arbeitgeber diesen Verdacht, dürfen sie ab dem ersten Krankheitstag ein Attest von der Mutter oder dem Vater verlangen.
Wenn sowohl Mutter als auch Kind krank sind, darf dann auch der Vater zuhause bleiben?
Es hat die halbe Familie erwischt? „Wenn die Mutter oder der Vater arbeitsunfähig erkrankt ist und das Kind aufgrund dieser Tatsache nicht betreuen kann, greifen die gesetzlichen Regelungen und das andere Elternteil hat Anspruch darauf, nach Hause zu gehen“, so Bürger. Ob die Person in diesem Fall auch bezahlt freigestellt werden muss, ist strittig. Man geht aber davon aus, dass Arbeitnehmer mit einer solchen Forderung gute Chancen haben.
Wie können sich Chefs auf Ausfälle wegen kranker Kinder einstellen?
„Wer Eltern von kleinen Kindern im Team hat, muss damit rechnen, dass die Kleinen häufiger mal krank sein können“, sagt die Arbeitsrechtlerin. Da sei es sinnvoll, mit einer gewissen Personalreserve zu planen und je nach Branche Springer oder Aushilfen in der Hinterhand zu haben. Hilfreich sei zudem, Übergabeprozesse gut zu planen und Mütter und Väter, die wegen ihrer Kinder ausfallen könnten, möglichst in Teams arbeiten zu lassen, damit die Kollegen die Aufgaben spontan übernehmen können.
Die Expertin
Dr. Kathrin Bürger ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partnerin der Kanzlei Seitz in Frankfurt am Main und München. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Universität Würzburg und machte in New York ihren Master. Seit 2021 wird die Arbeitsrechtlerin in der weltweiten Datenbank "Best Lawyers" geführt.
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