EU-Genehmigung: Mehlwürmer im Kuchen – warum denn nicht?
Seit heute sind Mehlwürmer EU-weit als Zutat zugelassen. Schokokekse mit Fleischeinlage? Das macht Sinn: Uns gehen die Protein-Lieferanten aus

Seit heute sind Mehlwürmer EU-weit als Zutat zugelassen. Schokokekse mit Fleischeinlage? Das macht Sinn: Uns gehen die Protein-Lieferanten aus
Ich interessiere mich für Essen und das Kochen schon seit Jahrzehnten, spätestens, seitdem ich zu Hause ausgezogen war und mein Essen nicht mehr von allein auf den Tisch kam. Aus einer Notwendigkeit wurde schnell großes Interesse, das sich dann zu einer mittelschweren Obsession auswuchs. Die sich auch so auswirkte, dass ich auf Reisen gezielt Dinge aß, die in Europa so nicht auf den Tisch kämen – auch, weil sie an Tabus rühren.
Als da beispielsweise wären: Rinderhoden in der Türkei. Waren in einer tomatigen Sauce geschmort, erinnerten an Kalbsbäckchen, durchaus lecker. Oder frittierte Heuschrecken in Thailand. Sahen merkwürdig aus und schmeckten glorreich: Scharf und pikant gewürzt, krachten im Mund wie Kartoffelchips – dass sie aussahen, wie sie aussehen, war mir schnell egal.
Nun lese ich, dass in der EU ab heute Mehlwurmpulver im Essen zugelassen ist, auch in Brötchen und Kuchen. Würmer auf dem Kaffeetisch? Wirklich?
Eintopf mit Madeneinlage – halbfingerdick
Maden lagen auch schon mal auf meinem Teller: Vor Jahren lernten wir im Frankreich-Urlaub eine reizende Familie aus Hamburg kennen. Alice, die Mutter, war Hanseatin, der Vater, Maurice, kam aus dem Senegal, zwei Kinder hatten sie, wir drei, das passte. Zurück in Hamburg luden uns die beiden zum Essen zu sich ein, und ich bat Maurice natürlich, etwas "Afrikanisches" zu machen. Als wir schließlich auf unsere Teller guckten, sahen wir: Einen Eintopf mit Kochbananen, Yam-Wurzel und Maden, zweizentimeterlang und halbfingerdick. Meine Frau, meine Kinder probierten, allerdings ohne die Würmer anzurühren. Ich Großmaul hatte vorher verkündet, dass mich nichts Essbares schrecken könne. Natürlich aß ich also meinen Teller leer, aber ehrlich: Der Geschmack war zwar nicht verkehrt, der Widerwillen aber groß, ich würd’s nicht noch mal probieren wollen.
Und deshalb: Maden im Schokokeks – bitte nein? Nein, so sehe ich das nicht: Denn die Mehlwürmer, nachhaltig und billig in großer Menge zu gewinnen, sollen ja in Pulverform verarbeitet werden, die knatschige Konsistenz der Tiere, die mir Maurices Essen vergällt hatte, ist also gar nicht zu befürchten. Dazu kommt: Die Würmer sind ein Proteinlieferant. Protein aber müssen wir essen, und unsere traditionellen Eiweißlieferanten sind in Misskredit geraten. Eier im Kuchen wollen die Veganer nicht, und auch vielen anderen Essern tun die Hühner in der Massentierhaltung leid. Ohnehin Fleisch: Ist wenigstens in unseren Breiten kaum nachhaltig herzustellen, und ohne Tierqual geht es nur, wenn man sich auf strengste Biovorschriften einlässt – was sich wiederum die wenigsten leisten können und wollen. Und weil vielen von uns auch Zuchtfische nicht geheuer sind (mir geht es nicht so), die Meere aber ansonsten bald leergefischt sind, geht uns weiteres tierisches Protein flöten. Genau deshalb wären Mehlwürmer physiologisch eine prima Ergänzung, in Afrika sind sie das ja schon lange.
Wir essen verdorbene Milch – und Tapetenkleister
Wer, wie ich damals bei Maurice, Widerwillen empfindet, der oder dem sei ins Gedächtnis gerufen: Auch wir essen durchaus Dinge, die anderswo erst mal nicht auf den Tisch kämen. Verdorbene Milch beispielsweise, die wir "Käse" nennen. Die meisten chinesischen Esserinnen kämen jedenfalls nicht auf die Idee, einen Blauschimmel-Roquefort anzurühren. Und unsere mit gehackten Schweineinnereien gefüllten Würste sind nicht nur der arabischen Welt ein Graus.
Und selbstredend sind in unserem Essen auch Zutaten enthalten, die nicht unbedingt "natürlich" sind: Ketchup beispielweise wird vor allem durch den beigefügten Mehrfachzucker Xanthan perfekt dickflüssig, ähnlich wie der Tapetenkleister, in dem der gesundheitlich unbedenkliche Stoff ebenfalls standardmäßig eingesetzt wird. Auch das "Trüffelöl", dass durchaus auch in ganz guten Restaurants zur Verfeinerung von Pürees benutzt wird, hat mit den sauteuren Erdknollen nichts zu tun. Das Öl wird vielmehr mit einem naturidentischen Aroma angereichert, dass meistens auf Sägespänen erbrütet wird.
Hausgrillen, Wanderheuschrecken, Mehlkäfer
Gegen Mehlwürmer ist im Lichte dieser Tatsachen rein gar nichts einzuwenden, gerade wenn sie Essen nahrhafter, billiger und jedenfalls nicht schlechter machen. Und in den Proteindrinks der Fitnessstudio-Jünger dürfen sie ja schon seit 2021 verwendet werden – diese Menschen legen großen Wert auf ordentliches Eiweiß, Mehlwürmer sind absolute Proteinbomben. Außerdem ist der Insektenbann im Essen schon lange gebrochen. In den letzten Jahren wurden, meist in Pulverform, in der EU zugelassen: Mehlkäfer. Hausgrillen. Wanderheuschrecken. Getreideschimmelkäfer.
Die aktuelle Zulassung erstreckt sich nun auf das Pulver von Mehlwürmern, die vorher mit UV-Strahlung behandelt wurden. Das klingt zunächst unangenehm künstlich, will uns da wer vergiften? Nein: Die UV-Behandlung tötet eventuelle Erreger ab, und viel wichtiger: Sie erhöht den Vitamin-D-Gehalt der Würmer. Vitamin D? Ja, genau jener Stoff, den wir zur Knochenfestigung dringend brauchen und von dem wir in den dunklen Wintermonaten regelmäßig zu wenig bilden – eben weil dann in unseren Breiten die UV-Strahlung besonders gering ist.
Deshalb: Willkommen, ihr Mehlwürmer. Wir nehmen Euch gerne in unserer Mitte auf. Gerade in unsere Mägen.