Die Midlife-Crisis von Ethereum

Der Kursverfall von Ethereum gegen Bitcoin setzt sich fort. Mit einem Preis von 0,019 Bitcoin erreicht Ethereum seinen tiefsten Punkt seit 2019 - und es gibt derzeit wenig, das Hoffnung auf eine Trendumkehr gibt.

Apr 14, 2025 - 15:28
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Die Midlife-Crisis von Ethereum

Der Kursverfall von Ethereum gegen Bitcoin setzt sich fort. Mit einem Preis von 0,019 Bitcoin erreicht Ethereum seinen tiefsten Punkt seit 2019 – und es gibt derzeit wenig, das Hoffnung auf eine Trendumkehr gibt.

Ethereum schlägt sich in dieser Marktphase so schlecht, dass schon die Banker spotten. Ethereum sei, sagte etwa Geoff Kendrick von Standard Chartered, in einer „Midlife-Crisis“. Was, genau genommen, eine eher optimistische Einschätzung ist, da eine Midlife-Krise üblicherweise abflaut, sobald man die 50 überschritten hat.

Bei Ethereum ist derzeit nicht zu erkennen, ab wann die Krise endet. Die Kryptowährung hatte 2017 mit 0,146 Bitcoin ihren Höhepunkt erreicht und hat nun, mit 0.019 BTC, fast 90 Prozent abgegeben.

Ethereum-Preis in BTC nach coinmarketcap.com

Und nein, in Dollar gesehen sieht es nicht sehr viel schöner aus. Zwar sitzt Ethereum immer noch deutlich über den Dollar-Preisen, die bis 2020 üblich waren. Doch den Höhepunkt von 4.666 Dollar hat der Coin in dieser Marktphase nicht wieder erreicht. Nun ist er mit 1.633 Dollar meilenweit von ihm entfernt, und selbst in einer sehr weiten Perspektive braucht man viel Phantasie, um den rasanten Kursverfall in diesem Jahr als Korrektur in einem langwährenden Aufwärtstrends zu lesen.

… und in Dollar.

Vielleicht drückt nichts deutlicher die Krise von Ethereum aus, als die Kurse der beiden Hauptkonkurrenten Solana und BNB in ETH. Solana ist derzeit auf einem Allzeithoch von 0,08 ETH, der Wert in ETH hat sich seit Anfang 2023 etwa verzehnfacht; BNB ist mit 0,36 ETH ebenfalls auf einem Allzeithoch und hat sich, seit Anfang 2021, verzehnfacht.

Solana-Preis in ETH nach coinmarketcap.com.

Dass Ethereum in der Blüte seiner Jahre so dermaßen gegen seine Konkurrenten abschmiert, kann man nicht ignorieren. Aber kann man benennen, was genau los ist?

Eigentlich läuft es richtig gut!

Fangen wir mit dem an, was nicht kaputt ist. Der Vergleich mit der Midlife-Crisis trifft auch dabei zu. Viele Männer scheinen aus heiterem Himmel in der Blüte ihres Lebens in eine Krise zu stürzen.

Sie führen eine erfolgreiche, stabile Ehe mit Kindern, ihre Talente und Fähigkeiten haben sie in eine gute Karriere geführt, in der sie frei von materiellen Nöten Ansehen genießen. Sie haben alles richtig gemacht und dürfen nun eigentlich gar keine Krise haben.

So auch Ethereum:

Ethereum hat seine Roadmap perfekt abgearbeitet:

  • Der Wechsel zu Proof of Stake ist gelungen.
  • Die Kernarchitektur einer Beacon-Chain und den darum liegenden Rollups kommt auf dem Markt an. Mit einem „Skalierungs-Faktor“ von fast 16 hat Ethereum das Ziel einer „Skalierung in Schichten“ besser verwirklicht als jede andere Blockchain.
  • Mit Account Abstraction erlaubt Ethereum eine fantastische Verbesserungen der Nutzerfreundlichkeit,
  • mit Verkle-Trees werden derzeit die Grundlagen für eine ansonsten unerreichbare Kombination von Dezentralisierung und Skalierbarkeit geschaffen.

Ethereum ist weiterhin die beliebteste Kryptowährung von Entwicklern:

Entwickler-Aktivität der verschiedenen Blockchains nach santiment.net

  • Die Entwickler-Aktivität auf Ethereum ist mehr als doppelt so groß wie auf jeder anderen Blockchain, einschließlich Bitcoin, Solana, BNB und andere.
  • Der Chart separiert Ethereum von seinen Rollups wie Arbitrum, Optimism oder Base. Würde man sie dazu zählen, wären die Entwickler auf Ethereum eher vier bis fünf Mal so aktiv wie auf anderen Blockchains.

DeFi wird Wirklichkeit – und ist bombastischer als erwartet:

Die „Dezentralen Finanzen“, also die Abbildung von eher traditionellen, eigentlich zentralisierten Finanzoperationen durch Smart Contracts, sind seit 2021 einer der fulminantesten Trends des Ökosystems der Kryptowährungen.

Volumen auf dezentralen Börsen nach defillama.com

DeFi erlaubt es, ohne Mittelsmann zu handeln, zu leihen, zu verleihen, Optionen und Derivate zu bilden und mehr. Mit DeFi hat Ethereum ein machtvolles Ökosystem erschaffen und führt es weiterhin an. Ethereum sollte damit eine starke, handfeste Wertgrundlage haben.

  • Das Volumen der Dezentralen Börsen ist höher als je zuvor.
  • Das „Total Value Locked“ (TVL), also das gesamte in Smart Contracts eingesetzte Vermögen, hat zwar seinen Höhepunktz von 2022 nicht wieder erreicht, steht aber sehr viel höher als 2021 und hat auch seine Talsohle 2023 längst durchschnitten.
  • Mehr als 50 Prozent des TVLs ist auf Ethereum. Dieser Wert blieb während der letzten drei Jahre mit Schwankungen relativ stabil.

DeFi auf verschiedenen Blockchains nach defillama.com

Die Banken und sogar Trump lieben DeFi und Ethereum

Als erste Wahl aller Smart-Contract-Blockchains findet Ethereum ein seit Jahren wachsendes Interesse von Finanzinstitutionen.

Stablecoins auf den verschiedenen Blockchains. Chart nach einem Dashboard auf dune.com

  • Wenn Finanzinstitutionen einen Stablecoin herausgeben, steuern sie zunächst Ethereum an. Wenn dort die Gebühren zu hoch sind, wandern sie in der Regel zu Rollups wie Arbitrum oder Base oder der Polygon-Sidechain weiter, womit sie weiterhin im Ethereum-Ökosystem bleiben.
  • Mehr als 130 Milliarden Dollar in Stablecoins sind auf Ethereum. Das allein ist schon mehr als die Hälfte der insgesamt 239 Milliarden Dollar Stablecoins. Und dabei sind Rollups wie Arbitrum noch gar nicht eingerechnet. Gerade die beiden Konkurrenten Solana und BNB sind im Vergleich mit Ethereum hier vollkommen bedeutungslos.
  • Auch „World Liberty Financial“ (WLF), die DeFi-Initiative von Donald Trumps Unternehmen, ist auf Ethereum. Der allergrößte Teil der Token in der WLF-Schatzkammer läuft auf Ethereum.

WLF-Schatzkammer nach Arkham

Eigentlich ist also alles gut. Technisch hat sich Ethereum exakt so entwickelt, wie geplant. Dabei entstand ein beeindruckendes Ökosystem, das auch durchaus das Gefallen von Finanzinstitutionen findet.

Alles richtig gemacht – und dennoch ist der Wurm drin. Aber wieso?

Woran hakt es?

Es gibt ein paar mögliche Antworten, und vermutlich wird am Ende eine Mischung aus allen zutreffen.

Kein DeFi-Siegeszug

  • DeFi hat sich prächtig entwickelt, aber eine Übernahme des Finanzwesens durch Ethereum liegt noch in weiter Ferne. Falls es jemals passieren wird. Zu groß sind die Beharrungskräfte etablierter Institutionen, die etwa in Deutschland mit dem Kryptowertpapier geschlossene Blockchains bevorzugen.
  • Ether selbst konnten sich als Zahlungsmittel oder Wertspeicher niemals durchsetzen Sie sind „Gas“, um Smart Contracts zu betreiben, und Staking-Token, um die Blockchain zu sichern. Wenn man „auf“ Ethereum bezahlt, bezahlt man nicht „mit“ Ether, sondern mit Stablecoins.
  • Es hätte eine Chance gegeben, Ethereum als Wertspeicher zu etablieren, indem es dezentrale Stablecoins wie die DAI-Dollar deckt. Doch sowohl der Markt auch auch die Regulierer bevorzugen zentralisierte, durch Dollar selbst gedeckte Stablecoins.

Kein guter Narrativ

  • Ethereum inszeniert sich vor allem durch einen technischen Narrativ – dadurch, dass die Entwickler einer ausgeklügelten Roadmap folgen. Das ist für Entwickler interessant, vielleicht auch für Finanzinstitutionen – aber für Investoren eher langweilig. In jedem Fall zieht es viel weniger als der Narrativ des digitalen Goldes von Bitcoin.
  • Ethereums Wertversprechen basiert auf technischer Nützlichkeit. Diese kann man, anders als einen Konsens darüber, dass Bitcoin digitales Gold ist, kopieren und replizieren. Ein guter Film bleibt immer aktuell, ein Fernsehgerät niemals. Technologien sind im Zeitalter rasanten Fortschritts keine Wertanlage.
  • Dies merkt man auch am Volumen der ETFs. Die Bitcoin-ETFs erreichen ein rund zehnmal höheres Handelsvolumen als die Ethereum-ETFs. Das Interesse der Anleger an Ethereum bleibt überschaubar.

Das Opfer des eigenen Erfolgs

  • Ethereums Skalierung über verschiedene Schichten funktioniert – hat aber ihren Preis. Denn je besser Ethereum skaliert, desto niedriger sind die Gebühren, und desto weniger ETH brauchen die User. Die durchschnittlichen Transaktionsgebühren und Gaspreise sind auf ein Mehrjahrestief gefallen. Ethereum wird zum Opfer des eigenen Erfolgs.

Gaspreise nach etherscan.io

  • Ein Teil der Transaktionsgebühren wird verbrannt. Dies sollte einmal dazu führen, dass Ethereum deflationär wird, zu „Ultra Sound Money„, weil bei einer entsprechenden Höhe der Gebühren mehr Ether aus dem Verkehr gezogen als geschöpft werden. Eine Zeitlang war dem tatsächlich so. Doch bei den derzeitigen tiefen Gebühren wächst die Geldmenge wieder. Nicht allzu rasant, aber genügend, um den Narrativ in Frage zu stellen.

Die aufstrebende Konkurrenz

  • Technische Nützlichkeit kann koüiert werden und wird kopiert. Mit Solana, BNB, Avalanche, Polygon, Tron, Cardano, Celo, Sui, Hedera, Polkadot und vielen mehr steht Ethereum eine ganze Flotte an Mitbewerbern mit solider Technik gegenüber. In einem blockchain-übergreifenden Ökosystem bleibt nicht viel Platz für eine Sonderstellung von Ethereum.
  • Blockchains wie Solana oder BNB opfern Dezentralisierung gegen einfache onchain-Skalierung. Dies kann bei manchen Anwendungen Vorteile haben. So kommt es, dass die anderen Blockchains, vor allem Solana und BNB, Ethereum immer mehr Marktanteile entreissen.
  • Gerade Solana hat sich in den letzten Jahren für viele Anwendungen, bei denen es weniger um Dezentralisierung als um Geschwindigkeit und Skalierung geht, etabliert. Im letzten Marktzyklus waren dies die Memecoins, die über Plattformen wie pump.fun die Blockchain zehntausendfach am Tag fluteten. Egal wie man zu solchen Trends steht – dass sie nicht auf Ethereum ablaufen, ist bezeichnend.
  • Stattdessen scheint der Teil von DeFi, den Ethereum weiterhin dominiert, sozusagen die „ernsthaften Anwendungen“, wie dezentrales Wechseln, Leihen und Verleihen, zu stagnieren. Hier hat sich eine gewisse Basis mit mächtigen Plattformen etabliert. Doch seit einigen Jahren kam nichts Neues dazu, das nachhaltig populär wird.

Risse im Gefüge

Es ist also relativ zutreffend, von einer Midlife-Krise von Ethereum zu sprechen. Die Blockchain hat alles richtig gemacht. Sie ging ihren Weg, brachte ihre Talente und Fähigkeiten zur Entfaltung, machte Karriere, etablierte sich und brachte mit den Rollups zahlreiche Kinder zur Welt, die weiterhin zu ihr halten.

Und doch zeigen sich Risse im Gefüge. Die Entwicklung stagniert auf hohem Niveau, andere, jüngere, mutigere, hungrigere, weniger gebundene Konkurrenten sägen am Stuhl, während die Investitionen und Errungenschaften nicht die erhofften Dividenden ausschütten, sondern teilweise sogar Kosten verursachen, eben weil alles wie geplant ausgeführt wurde.

Das Gute an einer Midlife-Crisis ist, dass sie schon per Definition vorübergeht. Bei Menschen beginnt sie irgendwann in den späten 30ern und läuft in der Regel ab 50 herum aus. Wenn es also gut läuft, wird auch die Krise von Ethereum einmal ihr Ende finden. Denn die Entwicklung schreitet weiter voran, das Produkt ist weiterhin gut, und es gibt weiter einen Bedarf des Marktes. Eine Trendwende ist derzeit aber dennoch nicht wirklich zu erkennen.