Mütter-Diskriminierung bei der Jobsuche: "In Teilzeit werden Sie unter mir niemals Karriere machen!"

Vorurteile, Erpressung, Ghosting. Was muss sich ändern, damit Teilzeit-Mütter im Bewerbungsprozess endlich nicht mehr diskriminiert werden? Wir haben bei Führungskräften, HRs und Karriere-Coachinnen nachgefragt.

Apr 15, 2025 - 21:10
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Mütter-Diskriminierung bei der Jobsuche: "In Teilzeit werden Sie unter mir niemals Karriere machen!"

Vorurteile, Erpressung, Ghosting. Was muss sich ändern, damit Teilzeit-Mütter im Bewerbungsprozess endlich nicht mehr diskriminiert werden? Wir haben bei Führungskräften, HRs und Karriere-Coachinnen nachgefragt.

Anna*, 37, ist die perfekte Bewerberin für den Job: zehn Jahre Berufserfahrung, zum Teil in leitender Position, starkes Auftreten, überzeugende Antworten. Das finden auch die Personalerin und die Führungskraft. Trotzdem entscheiden sie sich am Ende für eine andere – ohne Kinder. Anna hingegen ist Mutter, will "nur" 25 Stunden machen. Und vermutet, dass sie genau deshalb schon mehrfach gescheitert ist bei ihrer jüngten Jobsuche. Eine Karriere-Coachin hat Anna nun geraten, ihre Kinder im Lebenslauf einfach mal wegzulassen und das Thema Teilzeit erst kurz vor Vertragsunterzeichnung anzuschneiden. 

Was muss sich ändern, damit Teilzeit kein Karriere-Killer mehr ist? 

Annas Selbstwert ist mittlerweile angeknackst. Und sie ist wütend. Warum braucht es Tricks, um das Schönste, was ihr je passiert ist, zu kaschieren? Wieso gibt es in Zeiten, in denen 72 Prozent der deutschen Frauen arbeiten, immer noch so wenig familienfreundliche Unternehmen, die ganz selbstverständlich flexible Arbeitsmodelle für die 20,3 Millionen Mütter in Deutschland anbieten, von denen viele gerne auch in anspruchsvollen Jobs arbeiten wollen, für die 40 Stunden aber einfach (noch) nicht machbar sind? Was muss sich ändern, damit Teilzeit endlich kein Karriere-Killer mehr ist? 

Aktuell arbeitet die Hälfte der berufstätigen Frauen in Deutschland in Teilzeit. Einige davon tun es wohl zähneknirschend, weil ihr Partner besser verdient und es deshalb "vernünftiger" ist, wenn er mehr Stunden macht. Andere Mütter würden lieber weniger arbeiten, um mehr Zeit für ihre Kinder zu haben – aber ihr Unternehmen lässt ihnen keine Wahl, weil sie ihren Job nur (weiter-)machen können, wenn sie mindestens 80 Prozent arbeiten. 

Flexible, familienfreundliche Arbeitsmodelle? Fehlanzeige! "Viele Unternehmen sind durch starre Strukturen blockiert, die überwiegend nur in Vollzeit-Stellen und festen Prozessen denken", sagt Business-Coachin Jana Wieskötter zu BRIGITTE. Viele hätten noch nicht erkannt, dass Mütter durch Fähigkeiten wie Multitasking, Organisation, Flexibilität und hohe Produktivität wertvolle "Change Enabler" für Unternehmen sein können. 

Ghosting oder plötzliche Stellenstreichungen

Ausgerechnet diese Frauen werden häufig im Bewerbungsprozess vor den Kopf gestoßen. "Es ist nicht unüblich, dass Müttern nach bis zu vier oder fünf Vorstellungsrunden gesagt wird, dass die Stelle gecancelt wurde, plötzlich Einstellungsstopp herrscht oder die Stelle geändert wird. Meistens ist das eine Ausrede, um einen Teilzeitmodus zu umgehen, ohne sich eine Diskriminierungsklage einzufangen", erzählt Alisha Felkle, Gründerin von Mom.Career Jobcoaching. Zusammen mit Julia Ludwig hilft sie Müttern nach der Elternzeit dabei, ihren Traumjob zu finden.

Der Bedarf ist riesig. "Wir hören immer wieder, dass Frauen plötzlich geghostet werden oder sich Einstellungsverfahren monatelang ziehen, weil sich das Unternehmen wegen wirtschaftlicher Unsicherheiten nicht traut zu unterzeichnen", erzählen die Mom.Career-Coachinnen. Gerade sei die Marktlage ein erschwerender Faktor. "Häufig bewerben sich Frauen auf eine unbefristete Teilzeit-Stelle und dann schaltet sich im letzten Moment doch noch zum Beispiel der Vorstand ein: Warte, das ist eine junge Frau mit einem Kind, da könnte ja jederzeit ein zweites Kind kommen! Dann ist die Stelle jetzt doch auf zwei Jahre befristet."

Zwischen 25 und 45 stehen Frauen unter Generalverdacht

Zwischen 25 und 45 stünden Frauen sowieso unter Generalverdacht, was Nachwuchs angeht. Eine neue Studie habe ergeben, dass Frauen, die als kinderlos eingestuft werden, die niedrigsten Chancen haben, in die nächste Bewerbungsrunde zu kommen – "weil man befürchtet, dass sie noch schwanger werden können", sagen die Coachinnen.

Auch scheint es so, als würde der Faktor "krankes Kind" von vielen Unternehmen ziemlich überbewertet. "Eine Klientin bekam nach ihrer Elternzeit eine Zusage für eine hohe Managementposition", berichten die Mom.Career-Coachinnen. "Plötzlich hieß es aber, man würde beim Gehalt noch mal 15.000 Euro abziehen, weil man ja berücksichtigen müsse, dass sie drei Jahre raus war und der Arbeitgeber jetzt das Risiko der Kinderkrankentage mit trage. Sie hat die Stelle dann abgelehnt." Übrigens: Laut einer Analyse der Barmer haben 2023 insgesamt 292.962 Frauen Kinderkrankengeld beantragt und dieses im Durchschnitt 2,24 Tage in Anspruch genommen. 

Die Mom.Career-Coachinnen berichten zudem von einer Klientin, die sich auf eine hohe Position im öffentlichen Dienst beworben hatte, die als Teilzeit- oder Vollzeitstelle ausgeschrieben war. Als sie den Vertrag zugeschickt bekam, waren darin plötzlich ein anderer Titel und weniger Gehalt aufgeführt. Außerdem hatte man ihre Teilzeit- und Vereinbarkeitswünsche nicht verschriftlicht. "Wir haben dann mit Anwälten aus unserem Netzwerk gesprochen. Die Bewerberin ist standhaft geblieben", so die Coachinnen, die trotz der Widerstände tolle Ergebnisse mit ihren Klientinnen erzielen. 

Eine andere Klientin hätte erlebt, wie sich ihre theoretische Führungskraft und ein Personaler im Bewerbungsgespräch vor ihren Augen stritten, als sie ihren Teilzeitwunsch äußerte. Der Personaler hielt die Mutter für die beste Bewerberin, die Chefin flippte völlig aus, warum man ihr ihre Zeit stehlen würde – eine Mutter würde sich sowieso ständig krankmelden und sei unzuverlässig”, sagen die Mom.Career-Coachinnen.

Führungskräfte verraten: Wie hinderlich ist Teilzeit wirklich? 

Ähnliches schildert auch eine Teamleiterin* aus einem großen Münchner Medienkonzern. "Vor Corona wurde gar nicht darüber nachgedacht, ob eine Bewerberin, die 30 oder 35 Stunden machen will, für eine Vollzeitstelle infrage kommt. Es hieß: Das passt hier nicht hin. Damals fehlte noch viel mehr das Verständnis für flexible Arbeitsmodelle. Wenn man aus der Elternzeit zurückkam, konnte man gut Stunden reduzieren. Später wieder aufstocken war schwierig."

Eine Führungskraft* aus einer Hamburger Werbeagentur, die selbst Mutter ist, bestätigt: "Es hängt vom Workload ab. Wenn mein Team völlig untergeht in Arbeit und ich das Budget für eine Vollzeit-Stelle habe, würde ich mich für die Zweitbeste entscheiden, wenn sie im Gegensatz zur Topbewerberin hundert Prozent arbeiten kann." Sie habe aber auch noch nie einen Lebenslauf beiseite gelegt, weil jemand in Teilzeit arbeiten wollte." 

Viele Unternehmer seien zwar wohlwollend und bemüht, aber dennoch Teil des Systems, das  in erster Linie Leistung und Lösungen brauche. Diese Bedürfnisse würden mit dem vermeintlichen Mutter-Image zusammenkrachen. Typische Vorbehalte seien: "Die fällt aus, die ist nicht immer da, wir haben aber viele Meetings, wenn jemand nur 25 Stunden macht, sitzt er 80 Prozent nur in Meetings", berichtet Jana Wieskötter. "Und wenn ein Tagesworkshop ansteht, dann ist schon ein Drittel ihrer Arbeitswoche weg." 

"Unter mir wirst du nie Oberärztin sein" 

Ein Umdenken findet nur langsam statt. Und das ist absurd, denn immerhin sind Frauen 50 Prozent der Menschheit. Trotzdem ist es auch 2025 immer noch ein flächendeckendes Problem, dass Mütter im Job diskriminiert und gemobbt werden – sogar in renommierten Vorzeige-Einrichtungen wie Kliniken, Kunstbetrieben oder Unternehmen, die eigentlich für Diversity stehen. 

BRIGITTE sprach auch mit einer Ärztin aus einer großen deutschen Klinik. Sie hat zwei Kinder, ist alleinerziehend und es war immer ihr größter Wunsch, Oberärztin zu werden. Der Klinikleiter machte ihr allerdings schnell klar, dass daraus nichts werde: "Unter mir wirst du nie Oberärztin sein, weil du nur Teilzeit arbeitest." Einige Zeit später kam ein neuer Chef, die Ärztin bewarb sich erneut – und schlug direkt ein Top-Sharing vor. (Wortkreation aus Topmanagement und Job-Sharing, bezeichnet ein Arbeitszeitmodell, bei dem eine Führungsposition mit zwei Leuten besetzt wird.) "Der neue Chef traute es mir zu – wenn ich 75 Prozent machen würde. Ich musste also ein paar Stunden aufstocken." Mittlerweile ist sie seit einem Jahr Oberärztin, wurde aber immer wieder Zeugin von Misogynie und Machtmissbrauch in der Klinik. "Häufig wurde Kolleginnen nach Vertragsunterzeichnung subtil gedroht: 'Wenn du im ersten Jahr schwanger wirst, zerstör' ich deine Karriere."

Führungskräfte, die 20 Stunden arbeiten? Gibt es!

Zum Glück gibt es Unternehmen, die bereits viel für Frauen tun. Etwa die Onlineyoga-Plattform YogaEasy: Mitarbeitende können ihren eigenen Zeitplan erstellen, um ihre Work-Life-Balance zu unterstützen, außerdem ist Flexibilität in Führungspositionen eine Selbstverständlichkeit. Viele von ihnen arbeiten laut Geschäftsführung 20 bis 25 Stunden, oft im Homeoffice. Musik in den Ohren einer jeden berufstätigen Mutter. Um sich Frust zu ersparen, ist es wichtig, sich schon vor der Bewerbung über die Unternehmenskultur zu informieren. Für welche Werte steht ein Unternehmen? Ist es familienfreundlich? Für welche Werte steht es? "Menschlichkeit, Flexibilität und Diversität könnten darauf hindeuten, dass man offener für Teilzeit ist", sagt Jana Wieskötter. "Tauscht euch mit anderen Müttern aus, schreibt Mitarbeitende auf LinkedIn an, findet heraus, wie es dort zugeht."

Echte Gleichstellung bedeutet, dass alle gleich viel Verantwortung für die Care-Arbeit übernehmen und Arbeitsstunden gerecht unter Müttern und Vätern aufgeteilt werden. Dadurch wäre Teilzeit nicht mehr vor allem ein Frauenthema, sondern die ganz normale Praxis für alle Eltern, den Unternehmen selbstverständlich in ihre Firmenpolitik integrieren müssen.

*Namen geändert, aber der Redaktion bekannt