Acht Nächte in sechs verschiedenen Betten zwischen Hannover und Bilbao

Aus der Ermita | Die vergangenen acht Nächte habe ich in sechs verschiedenen Betten verbracht. Allerdings immer mit demselben Mann, mitunter auch gänzlich ohne Begleitung. Deshalb habe ich eine Menge zu erzählen. Schnallen Sie sich an, es geht los. Aktuell sitze ich am Fenster der Ermita de San Bartolomé und schaue in den Regen. Hinter den […] The post Acht Nächte in sechs verschiedenen Betten zwischen Hannover und Bilbao first appeared on Draußen nur Kännchen.

Apr 13, 2025 - 22:43
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Acht Nächte in sechs verschiedenen Betten zwischen Hannover und Bilbao

Aus der Ermita | Die vergangenen acht Nächte habe ich in sechs verschiedenen Betten verbracht. Allerdings immer mit demselben Mann, mitunter auch gänzlich ohne Begleitung. Deshalb habe ich eine Menge zu erzählen. Schnallen Sie sich an, es geht los.

Aktuell sitze ich am Fenster der Ermita de San Bartolomé und schaue in den Regen.

Im Vordergrund das Dach eine kleinen Hauses und ein Baum mit blauen Blüten, im Hintergrund regen- und nebenverhangene, bewaldete Berge

Hinter den Bergen und hinter dem Nebel ist das Meer, eine Bucht im Dorf Ea an der spanischen Biskaya. Das Dorf hat einen Friedhof, zwei Kirchen und sechs Tavernen, aber keinen Arzt und keinen Bäcker. Für Lebensmittel muss man dreißig Minuten über kurvige Landstraßen fahren.

Aber beginnen wir von vorn. Das macht es einfacher.


Ein Bett in Hannover | Die erste der vergangenen sechs Nächte, die ich in einem der unterschiedlichen Betten schlief, verbrachte ich fernab von Spanien in Hannover – Arbeitswochenende meines Agora Club Tangent. Einmal im Jahr geht zu für zwei Tage irgendwohin, um die Freundschaft untereinander zu pflegen, Kultur zu genießen und gegebenenfalls andere Clubs zu treffen. Ziel des Agora Club Tangent ist die Vertiefung von Kontakten unter Frauen, national und international.

Dieses Jahr war ich die Organisatorin des Ausflugs. Ich buchte uns in die Gästeresidenz im Hannoveraner Pelikanviertel ein und organisierte eine Führung zur Firmengeschichte von Pelikan. Das Thema stand mir nahe, denn ich hatte damals mit einem roten Pelikano schreiben gelernt – zu einer Zeit, in der es noch keines Füllerführerschein bedurfte. Die Damen des Clubs, mich eingeschlossen, sind alle in einem Alter, in dem wir gerne in Reminiszenzen an unsere Kindheit schwelgen. Eine Reise ins eigene Federmäppchen sollte also grad das Richtige sein.

In der Tat war es ein interessanter Rundgang – speziell in Hinblick auf die Wirtschaftsgeschichte der vergangenen eineinhalb Jahrhunderte. Pelikan, so lernte ich, wurde einst mit der Industrialisierung groß. Als zunehmend Stahl, Maschinen und Chemieprodukte hergestellt wurden, brauchte es gleichermaßen Tinte, Schreibbänder und Kohlepapier, um die Korrespondenz abzuwickeln. Die Firma wuchs und wuchs – und mit ihr der Platzbedarf: Der Bau des Firmensitzes in der Hannoveraner List war damals die größte Stahlbetonbaustelle Europas.

Backsteinfassade des Pelikangebäude ins Hannover

Man erfand die dokumentenechte Tinte (4001), kleckssichere Tintenleiter und die Kolbenfüllmechanik mit Differentialgetriebe. Die Produkte von Pelikan entwickelten sich allerdings nicht nur mit der Industrialisierung, sondern auch mit dem Zeitgeist. Der Tuschkasten, den ich auch in der Schule benutzte, gab es seit den 1930er Jahren. Es war der erste Wasserfarbkasten speziell für Kinder. Sämtliche Modelle davor richteten sich ausschließlich an professionelle Maler. Mit meinem Farbkasten setzte Pelikan auf eine pädagogische Idee, die damals neu war: Dass Kindheit eine Lebensphase ist, die frei von Arbeit sein soll und ausschließlich dem Lernen und der Entfaltung dient. Mit dem Malkasten für Kinder kamen auch die Wachsmalstifte im Metallkasten.

1. Farbenkasten mit Deckfarben 1930

Halten wir fest: Ich bin nun also in einem Alter, in dem Alltagsgegenstände aus meiner Kindheit in Museen ausgestellt werden.

Heute gibt es in Hannover nur noch einen kleinen Werksverkauf im Pelikan-Tintenturm und die Führungen durch den geschichtsträchtigen Saal, in dem erst die Lateinische und dann die Vereinfachte Ausgangsschrift entwickelt wurden. Die Firma Pelikan gehört nach turbulenten Zeiten zur französischen Groupe Hamelin, die auch den gesamten Vertrieb übernommen hat.

Im Anschluss führte uns der Weg zu Feinkunst e.V. und dort zur Austellung der Malerin Lillien Grupe. Die Bilder gefielen mir außerordentlich gut. Nicht nur, weil ich realistische Malerei mag, sondern weil ihre Bilder Themen unserer Zeit aufgreifen und viel Interpretationsspielraum lassen.


Ein Bett in Haltern und eins in Köln | Nachdem ich in Hannover war, verbrachte ich zwei Nächte daheim. Dann brachen der Reiseleiter und ich nach Köln auf, für eine Nacht im Hotel Ibis im Bahnhof. Am nächsten Morgen wollten wir sehr früh am Bahngleis sein.

Die Nachtruhe war begleitet von den Lebensäußerungen vielfältiger Trunkenbolde. Als mir morgens um Fünf das Hotelduschgel „Rock you Body!“ entgegenschrie, lag mir nichts ferner. Im Zug aß ich ein Birchermüsli mit der Aufschrift „Funk’n’Fit“ und schlief danach sofort ein. Kein Rock, kein Funk, nur ein nach vorne kippender Kopf in den engen Sitzreihen des Eurostar nach Paris.

In Paris wechselten wir den Bahnhof und fuhren weiter Richtung französisch-spanische Grenze. Erst 600 Kilometer bis Bordeaux – eine Fahrt von lediglich zweieinviertel Stunden, sehr beeindruckend -, dann weiter bis nach Biarritz, wo wir außerplanmäßig aus dem Zug entlassen wurden: Durch einen Oberleitungsschaden hatte er zu viel Verspätung eingefahren. Als geübte Bahnfahrer fühlten wir uns ganz wie zuhause. Die Pofalla-Wende – man praktiziert sie also auch in Frankreich.

Blick unter Bedachung eines Gleises hervor auf Häuser und eine Straße, im Vordergrund das Bahnhofsspild von Biarritz

Mit dem Regionalzug ging es weiter.


Ein Bett in Irún | Auf der Fahrt durch Frankreich war ich mehrmals eingenickt, so dass ich funk’n’fit am Ziel in Hendaye ankam. Wir gingen zu Fuß hinüber nach Spanien – man muss lediglich eine Brücke über den Grenzfluss Bidasoa überqueren -, schauten in einer Taverne die Niederlage des BVB beim FC Barcelona und übernachteten in einem historischen Hotel in Irún.


Ein Bett in Bilbao | Am nächsten Tag ging es weiter nach Bilbao. Falls ich in Zukunft je wieder auf die Idee kommen sollte, mit einem Fernbus fahren zu wollen, erinnern Sie mich bitte an die Busfahrt dorthin. Sie dauerte zwei Stunden, und ich verbrachte sie größtenteils liegend, denn mein Sitz war defekt. Immer, wenn ich die Rückenlehne hochstellte, senkte sie sich schleichend wieder nach hinten, bis ich dalag wie ein gestrandeter See-Elefant. Meine Fußspitzen waren in der Enge der Sitzreihe verkeilt, in meine Kniescheibe bohrte sich ein Haltegriff.

Es war ein Doppelstockbus. Wir hatten den Platz oben, direkt vorne hinter der großen Frontscheibe. Dennoch sahen wir nichts: Die Scheibe war flächig bedeckt mit Insektenleichen vergangener Jahrzehnte. So lag ich also im schwankenden Bus, festgeklemmt und die Augen geschlossen, denn zu sehen gab es ja nichts. Man fuhr mich durch baskische Industriegebiete, und ich wartete, zart reisekrank, dass die Fahrt vorüberging.

Die nächsten zwei Tage verbrachten wir in Bilbao. Die Stadt erinnerte mich erheblich an Wuppertal: ein Tal, ein Fluss und tiefe, sich am Wasser entlang ziehende Häuserschluchten.

Blick von einem Hügel auf Bilbao

In Bilbao sieht man allerdings, was in Wuppertal möglich wäre, wenn es nicht Wuppertal wäre, sondern in Spanien läge, wenn es ein paar mehr Palmen gäbe und wenn Norman Foster und die Guggenheim-Stiftung vorbeikämen. Erstaunlicherweise nimmt der Wikipedia-Artikel über Bilbao sogar Bezug zu Wuppertal:

Allerdings gelang es der Stadt nach dem Höhepunkt der Krise im Jahr 1985, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten zu diversifizieren und seit Anfang der 1990er Jahre vom Image einer hässlichen, grauen, schmutzigen Industriestadt loszukommen, das ihr jahrzehntelang anhing.

Der inzwischen Bilbao-Effekt (auch: „Guggenheim-Effekt“) genannte Boom versetzte die durch eine hohe Arbeitslosigkeit belastete Industriestadt Bilbao in prosperierenden Taumel und wirkte sich auch auf das ganze Land aus. Voraussetzung war die Integration der sich über 15 Kilometer entlang der Trichtermündung des Nervión hinziehenden heterogenen Stadtteile, die zusammenhanglos wie in Wuppertal vor dem Bau der Schwebebahn kaum urbane Identität stifteten. 

Was es in Wuppertal auch nicht gibt – im Gegensatz zu Bilbao -, sind Aufzüge und Rolltreppen, um die irrwitzigen Höhenunterschiede zu überwinden. Das ist ein überaus guter Service. Besonders von der Rolltreppe im dritten Bild machten wir rege Gebrauch, denn sie führte zu unserer Wohnung.

Die Wohnung war eine Wohlfühloase – für Maulwürfe: kalt, klamm und ohne Tageslicht, mit einer Aussicht auf ein Baugerüst und eine dunkle Gasse. Zwar gab es mehrere Raumluftentfeuchter, und in allen Zimmern waren Duftspender verteiler. Doch all das half nichts, um die feuchte Tristesse zu lindern. Wir hielten uns vor allem draußen auf.

Draußen – das sind die vielen Straßen und Gassen, die Parks, der Grünstreifen entlang des Nervións, das sind die Restaurants und die Tavernen allerorten in der Stadt. Die Gassen münden auf Plätze, auf denen Kinder bis in den Abend hinein Fußball spielen. Mit wilder Ernsthaftigkeit dribbeln und schießen sie und fegen den Erwachsenen in den umliegenden Bars vino und cerveza von den Tischen. Niemand nimmt es ihnen übel. Es ist laut, es ist voll, und es ist voller Leben. Man möchte stundenlang sitzen und die Leute anschauen. Haben wir auch getan.

Zu guter Letzt: das Guggenheim-Museum. Wenn Sie mich fragen, genügt ein Blick von außen und ein Betreten des Foyers. Denn auf den Etagen: sehr viel Raum für mäßig viel Kunst, die mir wenig gegeben hat. Wahrscheinlich liegt es an mir. Ich bin nicht für moderne Kunst geschaffen; ich erkenne gerne etwas – so wie bei Lillien Grupe.

Protagonist ist jedenfalls das Gebäude. Ein wahrlich beeindruckendes Werk.


Ein Bett in Ea |  Nach zwei Tagen in Bilbao haben wir nach Ea verlegt. Wir wohnen auf einer kleinen Gehöft in den Bergen südöstlich des Dorfes. Die Unterkunft ist warm und hat Tageslicht, wir sind total begeistert.

Wohn-Schlafraum mit Bett, einem Regal, einem Sofa und einem Ofen. Es ist hell und freundlich, viel Holz, Teppich und Fliesen.

Auf dem Weg nach Ea hielten wir in Gernika. In Gernika hat die deutsche Luftwaffe für den Zweiten Weltkrieg geübt: Am 26. April 1937, während des Spanischen Bürgerkriegs, kam sie den Franco-Faschisten zur Hilfe und warf alles ab, was verprobt werden musste, vor allem Spreng-, Splitter- und Brandbomben. Die Toten waren nahezu alle Zivilisten: Männer, Frauen und Kinder in Gernika. Der Angriff hat das Dorf tief geprägt: Auf dem zentralen Platz des Ortes erinnern historische Bilder an die Zerstörung.

Noch im Jahr des Angriffs schuf Pablo Picasso das Gemälde Guernica oder die Schrecken des Krieges – eine Nachbildung aus Keramik ist in der Stadt zu sehen.

Heute hat Gernika ein Friedensmuseum, und als wir ankamen, feierte die Schule gerade ihre Abschlussklasse: Junge Menschen in Motto-T-Shirts aßen, tranken und hörten laut Musik. Wir aßen Pintxos im Stadtzentrum – eine kulinarische Tradition, die Deutschland unbedingt importieren sollte: kleine Häppchen, ausgestellt auf der Theke einer Taverne. Man bekommt einen Teller und bezahlt, was man sich nimmt. Sehr gut, sehr sättigend.

Im Museum des Baskenlandes lernte ich anschließend: Die Basken sind mit Bertsolaritza quasi die Erfinder des Poetry Slams. Na sowas!


Bettenstop für die nächsten vier Tage | Das waren nun wahrlich viele Betten in kurzer Zeit. In den nächsten Tagen bleiben wir hier vor Ort, wandern und essen Pintxos. Ich werde zu gegebener Zeit Weiteres berichten.


Gelesen | Nach vielen Wochen hat Frau Herzbruch aufgeschrieben, was ihr widerfahren ist.


Schweine | Keine Meerschweinfotos aus Spanien, dafür eine Katze. Sie wohnt hier im Haus und ist die ganze Zeit in unserer Nähe, möchte aber auf keinen Fall den Eindruck erwecken, uns irgendwie nett zu finden.

Schwarze Katze auf einer Fensterbank

Heute Nacht stand sie plötzlich in unserem Zimmer, hereingesprungen durchs gekippte Fenster, und setzte gerade an, zu uns ins warme Bett zu kommen, als wir erwachten und sie bemerkten. Mit einem dramatisch-versnobten „Ich will gar nicht hier sein, ich bin nur versehentlich durchs Fenster gefallen“-Gestus wandte sich ab in Richtung Tür und wartete missbilligend, dass wir sie hinausließen. The post Acht Nächte in sechs verschiedenen Betten zwischen Hannover und Bilbao first appeared on Draußen nur Kännchen.