Syrien: Verfolgung für die einen, Integration für die anderen
Wie die selbsternannte Interimsführung Syriens versucht, Autorität zu beweisen. Während in vielen Orten der syrischen Küstenregion die Menschen ihre Angehörigen zu Grabe tragen, richten internationale Medien ihre Aufmerksamkeit auf Damaskus, wo ein Abkommen zwischen den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) und der von Hayat Tahrir al-Sham (HTS) ernannten Interimsführung für Aufmerksamkeit sorgt. Von KarinWeiterlesen

Wie die selbsternannte Interimsführung Syriens versucht, Autorität zu beweisen. Während in vielen Orten der syrischen Küstenregion die Menschen ihre Angehörigen zu Grabe tragen, richten internationale Medien ihre Aufmerksamkeit auf Damaskus, wo ein Abkommen zwischen den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) und der von Hayat Tahrir al-Sham (HTS) ernannten Interimsführung für Aufmerksamkeit sorgt. Von Karin Leukefeld.
Am Montagabend (10. März 2025) unterzeichneten der SDF-Oberkommandierende Mazlum Abdi und der von HTS ernannte Interimspräsident Ahmed al-Sharaa ein Abkommen, das acht Eckpunkte einer zukünftigen Zusammenarbeit umfasst. Vereinbart wurde ein Waffenstillstand in allen Gebieten Syriens und die „Anerkennung der kurdischen Komponente als integraler Bestandteil des syrischen Staates, Gewährleistung ihrer Bürgerrechte und aller verfassungsmäßigen Ansprüche“, wie es in einer von der kurdischen Nachrichtenagentur ANF verbreiteten Übersetzung heißt.
Punkt 4 bestätigt die „Integration aller zivilen und militärischen Institutionen Nordostsyriens in die Verwaltung des syrischen Staates, einschließlich Grenzübergängen, Flughäfen und Öl- und Gasfeldern.“ Die SDF-geführte Autonomiebehörde im Nordosten Syriens soll in die syrischen staatlichen Institutionen einschließlich einer neuen syrischen Armee integriert werden. Das Abkommen soll bis Ende des Jahres 2025 umgesetzt werden, darauf sollen „Exekutivausschüsse“ hinarbeiten. Berichten zufolge sollen beide Seiten seit Wochen über eine zukünftige Zusammenarbeit verhandelt haben.
Vor wenigen Tagen hatte der SDF-Führer Mazlum Abdi in einem Interview mit der britischen BBC erklärt: „Wir würden jede Hilfe begrüßen, die dazu beiträgt, Angriffe auf uns zu verhindern und das Morden an unserer Bevölkerung zu stoppen.“
Auf eine entsprechende Frage des BBC-Journalisten erklärte Abdi, auch die Hilfe Israels sei willkommen. Israel sei „eine Kraft mit Einfluss in den USA, im Westen und in der Region“ (des Mittleren Ostens), wird Abdi in verschiedenen Medien zitiert.
Beobachter sehen in der für viele überraschenden Vereinbarung eine Reaktion der HTS-Interimsführung und deren Berater auf das mörderische Geschehen in der Küstenregion. Sharaa müsse demnach dringend einen Erfolg vorweisen und gleichzeitig versuchen, bewaffnete Verbände in Syrien einzubinden. Die Massaker hätten Al Sharaa geschwächt, so der Militäranalytiker Aron Lund gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Lund ist Analyst für den Mittleren Osten bei der schwedischen Forschungsagentur für Verteidigung (FOI) und Mitarbeiter der US-Denkfabrik Century International. Al Sharaa habe „intern und mit den Vereinigten Staaten eine Menge Ärger. Es könnte ihm helfen zu zeigen, dass er nicht allen Minderheiten gegenüber feindlich gesinnt ist.“ Die Vereinbarung sei allerdings vage.
Charles Lister, Mitarbeiter des Middle East Institute in Washington, sagte der US-amerikanischen Tageszeitung The Wall Street Journal, das Abkommen sei ein großer Erfolg für die Interimsregierung.
Menschenjagd und Massaker im syrischen Küstengebiet
Die HTS-Interimsführung in Damaskus reagierte mit der Vereinbarung auf Ereignisse in den syrischen Provinzen Latakia und Tartus, die wenige Tage vorher am 6. März begonnen hatten. Berichten zufolge wurden bis zu 1.500 Menschen getötet, bis zu 1.000 waren unbewaffnete Zivilisten. Ganze Familien wurden ausgelöscht. Ziel der Menschenjagd waren überwiegend Personen, die der religiösen Gemeinschaft der Alawiten angehören, einer Strömung des schiitischen Islam. Unter den Opfern waren zudem zahlreiche christliche Familien. Die Massaker weiteten sich bis in die Orte des Wadi al-Nasarah, dem Tal der Christen, aus.
Das UN-Koordinierungsbüro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) spricht von 111 verifizierten Todesfällen, doch die Zahl der getöteten Zivilisten sei vermutlich „bedeutend höher“. Die Angreifer seien in Häuser eingedrungen und hätten die Bewohner gefragt, ob sie Alawiten oder Sunniten seien. Alawiten wurden getötet, Sunniten seien verschont worden.
Die Operation gegen „Überbleibsel des Assad-Regimes“ wurde mittlerweile (10. März) vom Verteidigungsministerium in Damaskus für beendet erklärt, die Truppen wurden abgezogen. Augenzeugen berichten dennoch, dass weiterhin Menschen wahllos getötet würden. Mindestens 6.000 Personen sollen in den Norden des Libanon geflohen sein. Zudem sollen bis zu 8000 Menschen auf der russischen Luftwaffenbasis Hmeimin (Latakia) Schutz gesucht haben.
Seit dem politischen Umbruch in Syrien Anfang Dezember 2024 und der Machtübernahme von Abu Mustafa al Jolani, heute Ahmad al-Sharaa, und der von ihm geführten Allianz zur Befreiung der Levante (Hayat Tahrir al-Sham, HTS) in Damaskus wurden der Schutz von Minderheiten und ein geeintes Syrien beschworen. In jedem Gespräch, das Al-Sharaa seit Anfang Dezember 2024 mit den zahlreich angereisten ausländischen Politikern führte, betonte der von HTS selbst ernannte Interimspräsident die Einheit des Landes. Die Aufhebung einseitiger wirtschaftlicher Strafmaßnahmen von EU und USA gegen Syrien wurde von diesen davon abhängig gemacht, dass die HTS-Führung diese Zusagen einhalten würde.
Rache an „Unterstützern“ der Regierung Assad
Berichte von Übergriffen und Morden bewaffneter Gruppen gegen Alawiten im Küstengebiet und in der Umgebung von Homs sowie gegen Christen in den Orten Mahardeh und Skelbieh im Grenzgebiet der Provinzen von Hama und Idlib wurden in Medien und Stellungnahmen westlicher Regierungen wenig beachtet. Schon im Januar warnten türkische Aleviten Verbände in Deutschland vor Massakern an den syrischen Alawiten in der Küstenregion. Besonders aufgefallen waren gewalttätige „ausländische“ Kämpfer aus Zentralasiatischen Staaten und Uiguren (China), aber auch extremistische Salafisten aus nordafrikanischen Staaten. Alle richteten ihre Gewalt auch gegen Christen. Diese Verbände sind weiterhin Teil der HTS-Allianz, die aus mindestens 60 verschiedenen Kampfgruppen besteht. Alle bewaffneten Gruppen, die im Küstengebiet im Einsatz sind oder waren, stehen seit Ende Januar unter dem Kommando des HTS-geführten Verteidigungsministeriums in Damaskus.
Eine Gruppe ehemaliger Militärs der syrischen Armee hatte am vergangenen Donnerstag (6. März) Stützpunkte des Geheimdienstes der HTS-Übergangsverwaltung in der Küstenregion angegriffen. Die Soldaten und Offiziere, erklärte Gegner der HTS-Interimsführung, waren von dieser Ende 2024 entlassen und die Armee war aufgelöst worden. Der Angriff mit dem Namen „Küstenschutz“ sollte nun ein Signal zum Aufstand an andere bewaffnete Gruppen in Syrien – u.a. Drusen und Kurden – sein, wie einem verbreiteten Aufruf zu entnehmen war. Die Razzien, Plünderungen und Morde an Zivilisten müssten gestoppt werden.
HTS-Interimsführung schickt Truppen in die Küstenregion
Der Angriff blieb nicht ohne Antwort. Noch in der gleichen Nacht wurden Truppen des HTS-Innenministeriums und des HTS-Verteidigungsministeriums in die Küstenregion entsandt. Mit Artilleriegeschützen, Panzern und Raketenwerfern wurden vermutete Stellungen der Aufständischen bombardiert. Dabei wurde zivile Infrastruktur wie Wohnhäuser, Läden und öffentliche Gebäude ganz und teilweise zerstört, weite Teile der Küstenregion zwischen Tartus und Jablah wurden in Schutt und Asche gebombt. Offiziellen HTS-Angaben (am Montag) zufolge wurden bei den Kämpfen am Donnerstag und Freitag (6./7. März) rund 80 Angehörige der HTS-Sicherheitskräfte und 380 Zivilisten getötet.
In einer Erklärung des UN-Koordinierungsbüros für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) heißt es, die bewaffneten Kräfte der ehemaligen syrischen Armee hätten Berichten zufolge Krankenhäuser in Latakia, Tartous und Banias überfallen. In Kämpfen mit den HTS-sicherheitskräften seien „Dutzende Zivilisten“ getötet worden, „darunter Patienten, Ärzte und Medizinstudierende“. Die Kliniken seien dabei beschädigt worden.
In der Erklärung wird auch auf „von Hass erfüllte Reden“ hingewiesen, die die Kämpfe verschärft hätten. Gesprächspartner der Autorin in Damaskus verwiesen auf den derzeitigen Fastenmonat Ramadan. In manchen Moscheen selbst in Damaskus hätten Prediger (Scheichs) dazu aufgerufen, gegen die „Ungläubigen“ in der Küstenregion zu kämpfen.
Am Freitag (7. März) folgte ein weiterer Sturm auf die Küstenregion. Bewaffnete Verbände rückten aus Idlib in die Dörfer des Küstengebirges vor und begannen, die Zivilbevölkerung anzugreifen. Videoaufnahmen zeigten, wie Männer unterschiedlichen Alters in ziviler Kleidung auf dem Boden kriechen mussten, während sie von Kämpfern mit Gewehrläufen und Fußtritten traktiert wurden. Sie seien „Hunde“ und sollten bellen, wurden die Kriechenden beschimpft, dann wurden sie erschossen. Andere Aufnahmen zeigen, wie Männer in ziviler Kleidung, jung und alt, zusammengetrieben werden und als „Hunde“ oder „Tiere“ beschimpft und geschlagen werden. Zu sehen war, wie die Männer unter dem Grölen von Umstehenden und unter Schlägen und Tritten aufgefordert wurden zu sagen: „Ich bin ein Schwein“. Dieses Tier gilt als „unrein“ im Islam. Zahlreiche Bilder zeigen zumeist männliche Leichen in Blutlachen. In verschiedenen Videos, die offenbar von den Kämpfern selbst aufgenommen und veröffentlicht wurden, ist zu sehen, wie fliehende Männer niedergestoßen und getreten und dann erschossen werden. Manche Szenen erinnerten an das Videospiel „Counter-Strike“ (hergestellt in den USA), in dem es um Terroristenjagd geht, sagte ein Gesprächspartner aus Damaskus. „Sie sind wie Roboter, im Blutrausch.“
Massive Fluchtwelle
Das Vorgehen der HTS-Sicherheitskräfte löste eine massive Fluchtwelle aus. Eine Vielzahl von Augenzeugenberichten von Frauen wurden der Autorin bei Telefonaten mit Gesprächspartnerinnen in Damaskus mitgeteilt. Darin berichten die Frauen aus unterschiedlichen Orten, wie die Kämpfer in ihre Häuser eingedrungen seien. Die Männer seien verschleppt oder direkt erschossen worden, Frauen und Kinder wurden aus ihren Häusern gejagt. Dann hätten die Kämpfer sich dort einquartiert und aus den Häusern gefeuert. Eine Lehrerin, die an einer Schule in Damaskus arbeitet, erzählte, aus ihrer großen Familie habe sie 17 Angehörige verloren. Die Schule ist der Autorin bekannt, wird aber aus Sicherheitsgründen nicht genannt.
Die HTS-geführte „Interimsführung“ in Damaskus reagierte auf einer Webseite, die über den Telegram-Kanal abzurufen ist. Veröffentlicht wurden wissenschaftliche Informationen über die Hintergründe von Racheaktionen. Man habe ein Komitee eingesetzt, dass „Die Vorkommnisse in den Provinzen am Meer“ untersuchen soll. Dem Komitee gehören sieben Richter, Rechtsanwälte, Juristen an. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen sollen sie in 30 Tagen vorlegen. „Ausländische“ Akteure seien für die Massaker an der Zivilbevölkerung verantwortlich, hieß es auf dem HTS-Telegram-Kanal. Genannt wurden konkret der Iran, der Irak und die libanesische Hisbollah. Alle genannten Länder und die Hisbollah wiesen die Aussagen zurück. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Damaskus kündigte an, dass „Überbleibsel und Offiziere des nicht mehr bestehenden Assad-Regimes auf dem Land und in den Bergen“ verfolgt würden.
Nichtbeachtung im Westen
In den ersten Tagen herrschte Schweigen in westlichen Medien über das Geschehen. Nach der Erklärung des UN-Sonderbeauftragten für Syrien Geir Pedersen meldeten sich auch andere zu Wort. Die Außenministerien in Washington, den europäischen Hauptstädten und Brüssel verurteilten in allgemeinen, zumeist knappen Erklärungen die Gewalt und forderten die Achtung der Menschenrechte. In einer Erklärung der Europäischen Union am 8. März wurden „pro-Assad Elemente“ für die Gewalt verantwortlich gemacht.
Die Vereinten Nationen sandten eine Delegation in die Region. Auf Antrag der USA und Russlands trat am Montag der UN-Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Das Treffen fand hinter verschlossenen Türen statt. Der Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen Volker Türk erklärte, die Gewalt, die den koordinierten Angriffen durch ehemalige Militärs der syrischen Armee gefolgt sei, müsse sofort eingestellt werden. „Wir erhalten extrem verstörende Berichte darüber, dass ganze Familien, auch Frauen und Kinder (…) getötet wurden“, so Türk in einer Stellungnahme. Er sprach von Berichten über „Massenexekutionen auf sektiererischer Grundlage“. Die Angriffe richteten sich „gegen die Alawiten und gegen die Bevölkerung in den Provinzen Latakia, Tartus, Banias, Homs und Hama“.
Aktiv wurden Organisationen von Aleviten/Alawiten weltweit
Aleviten (Türkei) und syrischen Alawiten (sprachliche Unterscheidung in Türkisch bzw. Arabisch) organisierten in Berlin und anderen Städten Demonstrationen. Mitglieder des Syrischen Komitees des Alawiten-Vereins (Frankfurt) versammelten sich vor dem Funkhaus des Hessischen Rundfunks und forderten ein Gespräch mit der Redaktion (HR 1), um über das Geschehen in Syrien zu berichten. Sie konnten Material an die Redaktion übergeben, berichtete eine Beteiligte der Autorin. Videomaterial und Augenzeugenberichte wurden Redaktionsvertretern übergeben. Eine Delegation von Alawiten sei demnach auch nach Mainz gefahren, um ein Gespräch mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) zu führen und Video- und Beweismaterial zu übergeben.
Die Union der Aleviten in Europa kritisierte die öffentliche Darstellung und politische Haltung insbesondere auch der Europäischen Union als „irreführend und inkonsequent“.
Die Opfer des Massakers in der syrischen Küstenregion würden als „Assad-nahe Elemente“ bezeichnet. Es sei nicht akzeptabel, die gesamte alawitische Bevölkerung Syriens als „Unterstützer des Assad-Regimes zu stigmatisieren“, nur weil sie der gleichen Religionsgruppe angehörten. Es fehle bei der EU völlig die Distanz zu der aktuellen Interimsführung und Ahmad al-Sharaa, die der als Terrorgruppe gelisteten Hayat Tahrir al-Sham (HTS) angehörten, der vorherigen Nusra-Front, die sich als Zweig der Al-Qaida in Syrien bezeichnet hätten.
Dringlichkeitssitzung im UN-Sicherheitsrat
Am Montag trat auf Antrag von USA und Russland der UN-Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung „hinter verschlossenen Türen“ zusammen. Einzelheiten wurden nicht bekannt.
Erinnerungen
Bei vielen Menschen in den Dörfern der syrischen Küstenregion lösten die Ereignisse dieser Tage furchtbare Erinnerungen aus. Während des eskalierenden Syrienkrieges, der 2011 begann, wurden Anfang August 2013 Dörfer im gebirgigen Hinterland von Latakia und Jablah von bewaffneten Kampfverbänden aus Idlib überfallen. Dutzende Menschen wurden getötet, Frauen und Kinder verschleppt und erst nach Jahren von Verhandlungsbemühungen wieder freigelassen. Im Gegenzug ließ damals die Regierung von Bashar al Assad Kämpfer der bewaffneten Gruppen aus Idlib frei. Der Krieg ging weiter.
Ziel des damaligen Angriffs war es, schutzlose Dorfbewohner zu bestrafen, deren Angehörige – Cousins, Väter, Onkel, Söhne, Brüder, Ehemänner – in der syrischen Armee gegen bewaffnete Aufständische kämpften. Die Verhandlungen für die Freilassung der Verschleppten wurden damals wesentlich von dem „Russischen Komitee zur Versöhnung der verfeindeten Gruppen in Syrien“ und dem ehemaligen Ministerium für nationale Versöhnung geführt. Der damalige Minister für nationale Versöhnung (2011-2018), Ali Haidar, wurde von der EU mit einseitigen Wirtschaftlichen Strafmaßnahmen auf die Sanktionsliste gesetzt. Sein „Vergehen“? Als syrischer Politiker und Minister habe er Nähe zu Bashar al-Assad.
Titelbild: Berit Kessler/shutterstock.com
Hinweise der Autorin zur Sprachregelung
Bei der aktuell in Damaskus herrschenden „Interimsführung“ handelt es sich nicht um eine Regierung. Sie ist weder von einem Parlament bestätigt noch von einem durch allgemeine Wahlen vom Volk gewählten Präsidenten ernannt worden.
Die herrschende Gruppe ist die Allianz zur Befreiung der Levante, Hayat Tahrir al-Sham (HTS). Bei der Organisation handelt es sich um ein Bündnis von bis zu 60 bewaffneten Gruppen. Es ist die Nachfolgeorganisation der Nusra-Front, ehemals Vertretung von Al-Qaida in Syrien, gegründet von Abu Mustafa al Golani, der heute unter seinem bürgerlichen Namen Ahmad al-Sharaa bekannt ist. HTS übernahm die Regierungsinstitutionen u.a. Ministerien und kooperiert mit einer „Erlösungsregierung“, die sie bereits früher in Idlib eingesetzt hatte.
Ende Januar 2025 kam HTS zu einer Versammlung zusammen, in der Ahmad Al-Sharaa zum „Interimspräsidenten“ ernannt wurde. Er löste das syrische Parlament auf, verbot die darin vertretenen Parteien und setzte die Verfassung (aus dem Jahr 2012) außer Kraft.
HTS ist international – einschließlich Vereinte Nationen – als Terrororganisation gelistet. Ahmad al-Sharaa steht ebenfalls auf einer internationalen Terrorliste.