Psychologin erklärt: Warum manche Menschen nicht um Entschuldigung bitten

Einige Menschen entschuldigen sich zu oft, andere so gut wie nie. Was wissen wir über Letztere? Bleibt uns etwas anderes übrig, als uns über sie zu ärgern? Wir haben die Psychologin Alexandra Zäuner gefragt.

Apr 6, 2025 - 09:14
 0
Psychologin erklärt: Warum manche Menschen nicht um Entschuldigung bitten

Einige Menschen entschuldigen sich zu oft, andere so gut wie nie. Was wissen wir über Letztere? Bleibt uns etwas anderes übrig, als uns über sie zu ärgern? Wir haben die Psychologin Alexandra Zäuner gefragt.

Zwei meiner Freundinnen haben zurzeit Streit. Seit Wochen sprechen sie nicht miteinander. Über die Zeit ist der Konflikt gewachsen, angestoßen hatte ihn aber ein vermeintlich kleines Problem: Die eine Freundin war verletzt, hat das geäußert und sich eine Entschuldigung gewünscht. Diesen Wunsch erfüllte ihr die andere Freundin nicht, weil sie nicht fand, dass sie das müsste. Von mir hatte sich die verletzte Freundin ebenfalls eine Entschuldigung gewünscht, aus demselben Grund wie von der anderen Freundin. Ich hatte damit kein Problem. Ich konnte meine Freundin verstehen und habe ihr gesagt, dass es mir leid tut. Damit war die Sache für sie erledigt, zwischen uns ist seither alles gut. Wieso fiel es der anderen Freundin so schwer, um Verzeihung zu bitten?

"Psychologisch betrachtet bieten uns Entschuldigungen eigentlich Erleichterung", sagt die Psychologin Alexandra Zäuner. Mit einer ausgesprochenen Entschuldigung befreien wir uns von einer Last, von etwas Unangenehmen. Deshalb müssten Menschen nach einem wahrgenommenen Fehltritt prinzipiell ein Bedürfnis verspüren, sich zu entschuldigen. Tun sie das nicht oder gehen sie nicht darauf ein, können wir das also durchaus bemerkenswert einstufen und uns für die Gründe interessieren.

7 Geheimnisse von Menschen, die sich nicht entschuldigen

Modelllernen: In einer Nicht-Entschuldigen-Kultur sozialisiert

"Vieles lernen wir in unserer Familie, etwa am Modell unserer Eltern", sagt die Psychologin. Seien etwa Konflikte stets gemieden worden, werden wir als Erwachsene nicht über intuitive Strategien verfügen, Auseinandersetzungen zu begegnen – und ihnen vorzugsweise ausweichen. Seien Gefühle kein Thema gewesen oder nicht relevant, mögen Emotionen eher mit Unbehagen bei uns verknüpft sein. Und wenn sich beispielsweise unser Vater nicht dafür entschuldigt hat, dass er zu spät zum Abendessen gekommen ist, oder unsere Mutter dafür, dass sie uns hat warten lassen, während sie mit ihrer Freundin telefonierte, werden wir in vergleichbaren Situationen auch nicht auf die Idee kommen, dass eine Entschuldigung nett bis angebracht sein könnte. "Natürlich können wir solche Dinge im Erwachsenenleben anders handhaben als in unserer Ursprungsfamilie", sagt Alexandra Zäuner. "Aber manchmal übernehmen wir Verhaltens- oder Reaktionsweisen, ohne es zu merken."

Gesellschaftliche Fehlerkultur: Bloß keine Mängel zugeben

"Fehler werden in unserer Gesellschaft grundsätzlich negativ bewertet", sagt die Psychologin. Dass Lehrkräfte beispielsweise schon in der Grundschule im Diktat die Fehler rot anstrichen, anstatt an die richtigen Wörter einen Haken zu setzen, verdeutliche, dass wir Fehler nicht als etwas Selbstverständliches begreifen. Wir betrachten sie als etwas Abweichendes, als etwas, das es zu vermeiden gilt. "Viele Menschen glauben, es ist am besten, erst gar keine Fehler zu machen", sagt Alexandra Zäuner. "Mit einer Entschuldigung geben wir einen Fehler allerdings ausdrücklich zu, lenken womöglich noch gesonderte Aufmerksamkeit darauf." Deshalb sparen sich einige Leute die Entschuldigung: Um sich und andere im besten Fall über ihre Fehler hinwegsehen zu lassen.

Schutzstrategie: Angst vor Verantwortungsübernahme

Psychologie: Alexandra Zäuner
Alexandra Zäuner ist Psychologische Psychotherapeutin, Business-Coachin und Autorin des Buches "Leise Stimmen - Wie Sie auf sich selbst hören und in Ihrem Leben zufriedener werden können". Sie arbeitet in ihrer eigenen Praxis und ist zudem in Unternehmen mit den Themen " Resilienz", "Psychische Gesundheit" und "Gesunde Führung" tätig. Mehr Infos unter www.pucm.de
© Alexandra Zäuner
In manchen Situationen fürchten Menschen das Schuldgefühl, das sie empfinden würden, wenn sie sich zu der Verantwortung für eine Entscheidung bekannten. "Verantwortung zu übernehmen kann unter gewissen Umständen sehr schmerzhaft sein", sagt die Psychologin. So habe sie etwa bei Scheidungen häufiger erlebt, dass Elternteile sich eher gegenseitig Schuld zuwiesen, anstatt das eigene Fehlverhalten anzuerkennen und sich dafür zu entschuldigen. In solchen Fällen sei das Nicht-Entschuldigen eine psychologische Schutzstrategie, um sich Schmerz, Reue und Last zu ersparen.

Glaubenssätze: Von der eigenen Unfehlbarkeit überzeugt

"Alle Menschen haben bestimmte Glaubenssätze, die ihre Wahrnehmung beeinflussen", sagt Alexandra Zäuner. Und manchmal könnten Glaubenssätze dazu führen, dass eine Person nicht erkennen kann, dass ihrerseits eine Entschuldigung angebracht – oder sinnvoll – wäre. Ich darf keine Schwäche zeigen, könnte solch ein Satz sein, oder Ich weiß es besser als die anderen. Wenn sich also ein Mensch bei uns nicht entschuldigt, obwohl wir es erwarten würden, denkt er womöglich aufgrund seiner Glaubenssätze, dass er es nicht muss. 

Mangel an Selbstbewusstsein: Unrecht haben verunsichert

"Selbstbewussten Menschen fällt es tendenziell leichter, Fehler zuzugeben und sich zu entschuldigen als unsicheren Personen", so die Psychologin. Wer über einen schwachen Selbstwert verfüge, klammere sich meist an Kriterien wie alles richtig machen zu wollen. Eine Entschuldigung und damit das Zugeben eines Fehlers könne sich für solche Menschen wie eine Erniedrigung anfühlen – weshalb sie es im Zweifel eher vermieden.

Fehlende Empathie: Die Perspektive des anderen liegt im Nebel

"Empathie spielt eine große Rolle, um eigene Fehltritte wahrzunehmen, deren Auswirkung auf das Erleben einer anderen Person zu reflektieren und sich entsprechend zu entschuldigen", sagt Alexandra Zäuner. Manche Menschen könnten sich krankheitsbedingt nicht vorstellen, wie es ihrem Umfeld geht oder welche Wirkung sie auf andere ausüben. Bei einigen liege es in ihrer Persönlichkeitsstruktur. Falls fehlende Empathie hinter einer ausbleibenden Entschuldigung steckt, wird die betreffende Person vermutlich auch nicht besonders gut zuhören und Freundschaften knüpfen können. 

Schmerzhafte Erfahrungen: Entschuldigungen sind mit Strafe und Leid assoziiert 

Wer schon einmal oder wiederholt erlebt hat, dass auf eine Entschuldigung keine Erleichterung, sondern eine Verschärfung der Situation folgt, mag eher auf andere Wege ausweichen, um mit Fehltritten umzugehen. "Wenn sich eine Person in der Kindheit beispielsweise für Dinge entschuldigen musste, für die sie gar nichts konnte, oder wenn auf eine Entschuldigung erst recht Schläge folgten, kann sie als Erwachsene ein belastetes Verhältnis zum Entschuldigen haben", sagt die Psychologin. Worte beziehungsweise kommunikative Handlungen können unter Umständen unsere Erinnerungen in ähnlicher Weise wecken und uns in der Zeit zurückversetzen wie Gerüche oder Musik. Wurden wir in unserer Vergangenheit in Verbindung mit Entschuldigungen oft vorgeführt oder bestraft, kann das auch in unserem Erwachsenenleben unangenehme Gefühle in uns anstoßen.

Wir bekommen keine Entschuldigung: Was tun? 

Wenn wir uns eine Entschuldigung wünschen, diese aber nicht erfolgt, können wir uns das nun vielleicht ein wenig erklären – aber wir müssen es nicht entschuldigen. "Wir können eine Entschuldigung einfordern", sagt Alexandra Zäuner. Idealerweise kommunizierten wir dabei, wie wir die Situation erlebt haben, uns damit fühlen und dass wir uns eine Entschuldigung wünschen. "Falls das beim Gegenüber nichts bewirkt, können wir uns vor Augen halten, dass es an den Anteilen des anderen festzumachen ist, innerlich loslassen und damit unsere eigene Energie schonen", so die Psychologin. Vielleicht hilft das sogar fast genauso gut: Was die betreffende Person von einer Entschuldigung abhält, ist ihr Problem, nicht unseres. Ob diese Sichtweise auch meine zwei Freundinnen miteinander versöhnen kann, bleibt abzuwarten.