Paläontologie: Der Saurier mit den Scherenhänden – Wer war "Duonychus tsogtbaatari"?
Bei Bauarbeiten in der Mongolei werden Fossilien gefunden, die sich als Überreste einer unbekannten Dinosaurier-Art entpuppen. Deren merkwürdiges Aussehen verblüfft selbst Forschende

Bei Bauarbeiten in der Mongolei werden Fossilien gefunden, die sich als Überreste einer unbekannten Dinosaurier-Art entpuppen. Deren merkwürdiges Aussehen verblüfft selbst Forschende
Fast scheint es, als hätte die Natur den Zufallsgenerator angeworfen, um die Körperteile dieses merkwürdigen Dinosauriers zusammenzuwürfeln: ein kleiner Kopf, der auf einem langen Hals und einem runden Rumpf sitzt. Ein gefiederter Körper und massive Klauen mit zwei Fingern, an denen 30 Zentimeter lange, gebogene Krallen sitzen. Und zwei Beine, auf denen der Saurier vor 90 bis 95 Millionen Jahren im aufrechten Gang entlang der Flussläufe der heutigen Mongolei stapfte.
Keine Frage: Duonychus tsogtbaatari ist einer der seltsamsten Dinosaurier, von deren Existenz wir bislang wissen. Gefunden wurde sein Skelett zufällig beim Bau einer Wasserleitung in der mongolischen Wüste Gobi. Die neu entdeckte Art gehört zur Gruppe der Therizinosaurier, die während der Kreidezeit in Asien und Nordamerika lebten, schreibt ein internationales Forschungsteam in einer Studie im Fachmagazin "iScience".
Dennoch unterschied sich der rund drei Meter lange und 260 Kilogramm schwere Saurier deutlich von seinen bereits bekannten Verwandten: Aus seiner Hand ragten nur zwei statt der typischen drei Krallenfinger – auf die "zwei Krallen" bezieht sich auch sein griechischer Namensbestandteil "Duonychus". So oder so verleihen die Krallen den Therizinosauriern ein skurriles Äußeres. In Anlehnung an den bekannten Hollywoodfilm werden sie auch als "Dinosaurier mit den Scherenhänden" bezeichnet.
© Yoshitsugu Kobayashi et al. / Elsevier
"Therizinosaurier gehören zu den seltsamsten Dinosauriern überhaupt. Sie waren Theropoden – also mit Fleischfressern verwandt –, sahen aber aus wie riesige, gefiederte Faultiere", sagte der Paläontologe und Hauptautor der Studie, Yoshitsugu Kobayashi vom Hokkaido University Museum in Japan, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. "Duonychus treibt diese Merkwürdigkeit noch weiter. Er hatte eine kurze, zweifingrige Hand mit Krallen wie ein Raptor, nutzte sie aber, um Pflanzen zu fressen. Es ist, als hätte die Evolution gesagt: Lasst uns etwas völlig Neues ausprobieren. Und es hat funktioniert."
Spezialisierter Pflanzenfresser
Besonders ist der Fund auch deshalb, weil Arme und Hände des Skeletts außergewöhnlich gut erhalten sind, während Schädel und Beine fehlen. Die Klaue des Dinosauriers ist die größte vollständig erhaltene Kralle, die je gefunden wurde: An einem Finger ist die Ummantelung aus Keratin noch intakt, was darauf hindeutet, dass die eigentliche Kralle um mehr als 40 Prozent länger war als der darunter liegende Knochen. Insbesondere mit Blick auf die Körpergröße des Sauriers ist dieses Ausmaß enorm.
Die Klauen scheinen – neben der Verteidigung vor Angreifern – vor allem bei der Nahrungsbeschaffung hilfreich gewesen sein. Während sich einige Therizonosaurier auch omnivor ernährten, scheint sich Duonychus tsogtbaatari auf Pflanzen spezialisiert zu haben. "Die starke Krümmung dieser großen Klaue und die starke Beugung des Handgelenks deuten darauf hin, dass Duonychus wahrscheinlich amplektorisch, also greifend, war und effektiv nach Pflanzen greifen konnte, obwohl er nur zwei funktionale Finger hatte", schreiben die Forschenden in ihrer Studie. Der Saurier war damit vermutlich in der Lage, Äste mit einem Durchmesser von bis zu zehn Zentimetern zu greifen.
Der fehlende Finger scheint den Dinosaurier dabei nicht behindert zu haben. Im Gegenteil: Der Verlust von Fingern scheint bei Theropoden evolutionär bedingt zu sein. Der bekannteste Vertreter, der seinen dritten Finger verlor, ist der berühmte Tyrannosaurus rex. Angesichts seines großen Kopfes und dem massiven Gebiss brauchte er seine Hände wohl schlicht nicht mehr zur Jagd, sodass diese nach und nach verkümmerten. Innerhalb der Therizinosaurier aber ist Duonychustsogtbaatari der erste bekannte Vertreter mit nur zwei Fingern. Warum der auf das Greifen von Pflanzen spezialisierte Saurier einen Finger verlor, ist noch nicht endgültig geklärt. Die Forschenden vermuten aber, dass er bei der Nahrungssuche selektiv vorging und sich auf ganz bestimmte Pflanzen spezialisierte. Und schon wirkt das Äußere des Sauriers nicht mehr ganz so zufällig, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.