Interview: Tanker-Kollision vor England: War der Autopilot schuld?

Ulf Kaspera leitet die deutsche Behörde für Schiffsunglücke. Im stern-Interview erklärt er, wie es vermutlich zur fatalen Kollision der beiden Schiffe vor England kam. 

Mär 13, 2025 - 10:44
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Interview: Tanker-Kollision vor England: War der Autopilot schuld?

Ulf Kaspera leitet die deutsche Behörde für Schiffsunglücke. Im stern-Interview erklärt er, wie es vermutlich zur fatalen Kollision der beiden Schiffe vor England kam. 

Herr Kaspera, am Montag war das Containerschiff "Solong" vor der britischen Küste auf den mit Flugzeugbenzin beladenen Öltanker "Stena Immaculte" geprallt. Beide Schiffe fingen Feuer. Was wissen Sie über die Ursache des Unglücks?
Wir sind als deutsche Behörde nicht dafür zuständig, was in britischen Gewässern passiert, aber die Aufzeichnungen der Schiffsroute der "Solong" geben einen deutlichen Hinweis darauf, was vermutlich passiert sein könnte.

Und zwar?
Die Route verläuft schnurgerade. Sehr wahrscheinlich war auf der "Solong" der Autopilot eingeschaltet, zumindest fuhr sie offenbar ohne zu bremsen auf die "Stena Immaculte" auf. Vor zwei Jahren passierte mit dem Frachter "Petra L." in der Nordsee etwas ganz Ähnliches, wie unsere Untersuchungen ergeben haben. Das Schiff war mit voller Wucht auf eine Windenergieanlage vor Borkum geprallt. Und zuvor war der Kurs der Petra L. schnurgerade verlaufen, wie die Aufzeichnungen zeigen.

Ein Autopilot macht die Sache auf See also gefährlicher als ungefährlicher?
Der Autopilot hält das Schiff auf dem zuvor eingestellten Kurs, eine Rundumschau macht er jedoch nicht. Es gibt Annäherungsalarme in den elektronischen Seekarten auf den Schiffen, aber die sind nicht automatisch aktiviert, sondern müssen individuell eingestellt werden.

Schiffsunglücke: Warnsysteme werden oft deaktiviert

Warum werden Systeme, die vor Kollisionen warnen könnten, oft deaktiviert?
Die "Solong" ist mit 130 Metern ein relativ kleines Schiff, das vor allem Küstengewässer befährt. In solchen Gewässern fahren die Schiffe so dicht hinter- und nebeneinander, dass das Warnsystem ständig anschlagen würde. Daher deaktivieren es die Besatzungen oft. Sie verlassen sich dann darauf, das Gewässer um sie herum per Auge zu beobachten. 

Schiffsunglück Route der "Solong"
Die Route des Frachters "Solong" verlief vor dem Schiffsunglück schnurgerade, wie eine Aufzeichnung des Trackers Marine Traffic zeigt. Vermutlich lief er unter Autopilot auf den Tanker "Stena Immaculte" auf
© Broeg

Offenbar hat das ja nicht geklappt …
Auf der "Petra L." war die Wache eingeschlafen und hatte das Hindernis nicht gesehen. Vielleicht ist das auf der "Solong" auch passiert. Genaueres wird die Untersuchung ergeben. 

Wie kann das passieren?
Auf den sogenannten Kümos, den kleineren Küstenmotorschiffen, wechseln sich meist nur zwei Besatzungsmitglieder jeweils alle sechs Stunden mit der Wache ab. Manchmal ist einer der beiden auch noch der Kapitän. Wenn die Wache allein auf der Brücke ist und dann einschläft oder anderweitig abgelenkt ist, kann es leicht zu einem Unfall kommen. Auf großen Schiffen, die übers offene Meer fahren, wie etwa der "Stena Immaculate", gibt es 30 und mehr Besatzungsmitglieder, die sich bei der Wache besser abwechseln können. Denn auch die Besatzung des ankernden Schiffs ist verpflichtet, Wache zu gehen und bei aufkommender Gefahr Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. Dies können Warnsignale oder Anrufe per Funk sein, zur Not muss der Anker gehievt und das Gebiet verlassen werden – so denn die Zeit hierfür ausreicht.

Lässt sich ein Schiff denn im Zweifelsfall noch rechtzeitig stoppen?
Ein großes Containerschiff, das Höchstgeschwindigkeit fährt, hat einen Bremsweg von mehreren Kilometern, aber selbst bei kleineren sollten die Kapitäne im Ernstfall nach steuerbord, also rechts ausweichen, um eine Kollision zu verhindern.

Was lernen Sie aus solchen Unglücken?
Passiert ein solcher Unfall in unserem Zuständigkeitsbereich auf See, sind die Mitarbeiter des BSU innerhalb eines Tages vor Ort, damit die Untersucher die Schäden möglichst unverändert sehen und die Eindrücke der Besatzung noch möglichst frisch sind. Dann erstellen die Untersucher, manchmal auch mithilfe externer Fachleute, einen Untersuchungsbericht, der veröffentlicht wird. In manchen exemplarischen Fällen verfasst die BSU auch ein sogenanntes "Lessons-Learned-Papier", das beschreibt, wie sich ein solcher Unfall künftig vermeiden lässt. Darüber hinaus tauschen wir uns regelmäßig mit den Kollegen der Untersuchungsbehörden anderer Länder aus. Manchmal arbeiten wir auch direkt mit ihnen zusammen, etwa wenn die Schiffe unter den Flaggen zweier Nationen fahren.

Und die Konsequenzen?
Unsere Berichte haben keine rechtlichen Konsequenzen, aber sie können zum Beispiel durchaus die Versicherer dazu veranlassen, strengere Bedingungen von den Schiffseignern zu verlangen. Und wenn die Behörden aus mehreren Ländern gemeinsam Forderungen an die internationalen Schifffahrtsorganisationen stellen, kann dies auch dazu führen, dass diese neue, strengere Regeln veranlassen. Denn aus Kostengründen werden die Schiffseigner die bestehenden Regeln so anwenden, dass sie möglichst günstig fahren. Schifffahrt ist schließlich ein Wirtschaftszweig.

Welche Veränderungen fordern Sie?
Zum Beispiel sollte die Brücke in der Revierfahrt, also der Fahrt in Küstennähe, möglichst doppelt besetzt sein, falls die Wache doch einmal einschläft oder abgelenkt ist. Und der Kapitän sollte nicht auch noch Wache halten müssen, denn der hat ohnehin schon sehr viele Aufgaben, die ihn fordern.

Immer wieder gibt es schwere Unfälle auf See, anscheinend nimmt die Gefahr eher zu als ab.
Der Verkehr auf der Nord- und Ostsee nimmt immer stärker zu, gleichzeitig werden die zur Verfügung stehenden Fahrgewässer immer schmaler, etwa durch Windparks, dadurch steigt das Risiko für Unfälle. Im Gegensatz zu Zwischenfällen im Flugverkehr werden die meisten Unfälle auf See gar nicht in der Öffentlichkeit bekannt, selbst wenn es dabei Tote gibt. Dann muss es schon brennen, wie jetzt vor der englischen Küste.