Bundesliga: Die Radio-Abstiegskonferenz von 1999 im O-Ton – „Wir melden uns vom Abgrund“

Heute ist Welttag des Radios. Das vielleicht größte Highlight dieses Mediums? Das legendäre Abstiegsfinale 1999. Hier ist das O-Ton-Protokoll.

Feb 13, 2025 - 16:14
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Bundesliga: Die Radio-Abstiegskonferenz von 1999 im O-Ton – „Wir melden uns vom Abgrund“

29. Mai 1999. Vor dem letzten Spieltag der Saison 1998/99 können noch fünf Mannschaften absteigen: Nürnberg, Stuttgart, Freiburg, Rostock und Eintracht Frankfurt. Nürnberg auf Platz 12 hat die besten Chancen, Frankfurt auf Rang 16 die schlechtesten. Jedenfalls auf dem Papier.

Stuttgart führt gegen Bremen schnell mit 1:0, das Spiel ist vorzeitig entschieden. Frankfurt, Rostock, Freiburg und der 1. Nürnberg kämpfen weiter um den Klassenerhalt. Die letzte Viertelstunde dieses Spieltags wird zu einem Drama. Die ARD-Radiokonferenz hat die entscheidenden Partien mit folgenden Kommentatoren besetzt:
VfL Bochum - Hansa Rostock: Manni Breuckmann
Eintracht Frankfurt - 1. FC Kaiserslautern: Dirk Schmitt
1. FC Nürnberg - SC Freiburg: Günther Koch

Die letzten Minuten in Schrift und Wort...

Günther Koch, warnend
„Harmlos, gelähmt, unsicher, nervös, mit wackligen Knien. Der FC Wackelknie, der FC Nürnberg, die Clubberer, ja was ist denn, wo denn, da muss man doch kämpfen, wenn es gegen den Abstieg geht, und der Sportclub, frei, locker, der FC Lockerburg spielt hier, muss sich nicht einmal anstrengen. Es gab einen Schuss der Clubberer - es sei geklagt, es sei gesagt - von Ciric in der 60. Minute, nach tollem Einsatz von Kuka, aber: Richard Golz hat den Ball festgehalten.“


Manni Breuckmann, brüllt plötzlich
„Tooor in Bochum! Tooor in Bochum! 2:1-Führung für den VfL Bochum. Ein Freistoß. Ich glaube, es ist Peter Peschel gewesen. Wir sind in der 73. Minute. Und es kann sein, dass sich jetzt allmählich das Schicksal von Hansa Rostock zum Schlechten wendet. Denn nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge ist Hansa Rostock draußen. Wir geben weiter nach Frankfurt.“

Dirk Schmitt, selig
„...und hier liegt sich wirklich alles in den Armen. Rechts von mir die gesamte Polit-Prominenz. Petra Roth liegt Roland Koch in den Armen. Aus Gründen des Parteiproporzes sei auch Hans Eichel, der Bundesfinanzminister, genannt, der sitzt direkt davor. Der hat zwar Petra Roth nicht umarmt, sich aber nicht minder gefreut.... Freistoß für die Eintracht, die es jetzt natürlich ganz ruhig angehen lässt, die natürlich weiß, wie es auf den anderen Plätzen und vor allem beim VfL Bochum steht. Und es ist immer wieder faszinierend, wenn man die Reaktionen in einem Stadion sieht, obgleich überhaupt nichts passiert. Aber es wird halt Radio gehört.“

Koch, kopfnickend, innerlich gebrochen
„Radio, Radio, Radio, das schnellste Medium der Welt. Aber sie tun mir leid, die Rostocker, wenn es dabei bleiben sollte, haben wir keinen Verein mehr in der Bundesliga aus dem Osten. Hansa Rostock, im Moment um 17.05 Uhr in der zweiten Liga. Darüber kann man sich, darüber darf man sich nicht freuen. Im Moment in Nürnberg der Spielstand 0:2, gebanntes Hören an den Radios, aber nichts zu sehen von den Clubberern. Wo bleibt eure Ehre, was habt ihr eurem Publikum zu bieten. Kämpfen, kämpfen heißt es. Sie wackeln mit den Knien und sie haben keine Chance und Freiburg hält das 2:0.“

Breuckmann, schon wieder unterbrechend
„Tor in Bochum. Tor Tooor in Bochum. Ausgleich für Rostock. Agali hat es gemacht. Und es ist die 77. Spielminute. Hansa Rostock bäumt sich noch einmal auf. Obwohl auch dieses Unentschieden nach den Spielständen, die wir kennen, nichts nützt. Aber die Hoffnung für die Ostseestädter ist noch nicht vorbei. Und dieses Spiel ist noch nicht gelaufen.“


Schmitt, heiser
„Tor in Frankfurt. Tor in Frankfurt. 3:1 für die Eintracht. Von der linken Seite dringt Marko Gebhardt in den Strafraum ein und so als habe es die ersten 30 Spiele dieser Saison nicht gegeben, schießt dann Marko Gebhardt aus einem ganz spitzen Winkel mit dem linken Fuß den Rall unter die Latte. Es heißt 3:1 und jetzt müsste wenigstens die Eintracht hier im Waldstadion den Sieg nach Hause schaukeln. Bitte Bochum.“

Breuckmann, gehetzt
„Jetzt kommt es darauf an. Sollte Hansa jetzt noch ein Tor machen, wäre Rostock nicht im Keller, wäre Rostock nicht unten. Alles werden sie jetzt daran setzen in den letzten elf Minuten noch einmal alle Kräfte zu mobilisieren. Weiter jetzt mal mit Günther Koch in Nürnberg.“

Koch, abgründig (#1)
„Freiburg hat es in der Hand, die Bundesliga zu entscheiden, wenn Freiburg noch einen Treffer macht, denn die Clubberer werden keinen machen, so wie es aussieht, dann ist Frankfurt drin und der Club draußen. Nur noch zehn Zentimeter bestenfalls steht der Club vor dem Abgrund...“

Schmitt, leise aus dem Off
„...Tor in Frankfurt, Günther Koch, Tor in Frankfurt!“

Koch, begreift langsam die drohende Gefahr
„...der Club liegt hinten mit 0:2 gegen Freiburg, das ist Alibi-Fußball - wer hat geschrien?“

Schmitt, jetzt aber
„Tor in Frankfurt. 4:1 für die Eintracht. Bernd Schneider macht den Treffer, Günther, und was heißt das? Das heißt, dass Frankfurt jetzt eine Tordifferenz von minus elf hat wie Nürnberg, aber die Emtracht hat mehr Tore erzielt, und nach meiner Rechnung - und ich bin kein großer Mathematiker - ist damit der FC Nürnberg wieder in noch größere Abstiegsgefahr geraten. Also das ist kein Zweikampf mehr, das ist jetzt ein glasharter Dreikampf.“

Koch, abgründig (#2)
„Du hast alles gesagt. Im Moment, es ist 17.11 Uhr, ist der Club fast abgestiegen. Alles hängt jetzt von Bochum gegen Hansa Rostock ab. Frankfurt ist besser, der Club taumelt, der Club hängt am Abgrund.“

Breuckmann, krakelend
„...und Toooooor! Tor für Rostock!
 Majak, der eingewechselte Majak, macht ein Kopfballtor. Und 7000 Fans aus Rostock, sie sind aus dem Häuschen. Hansa Rostock führt um 17.12 Uhr mit 3:2 und alles kann gut werden.“

Koch, kreischend, enthusiastisch, völlig aufgelöst
„Tooor! Tooor! Tooor! Tor in Nürnberg! Ich pack das nicht. Ich halt das nicht mehr aus. Ich will das nicht mehr sehen. Aber sie haben ein Tor gemacht. Ich glaube es nicht. Aber der Ball ist drin. Ich weiß nicht wie. Kopfball von Nikl. Die Leute haben es gehört, dass Frankfurt vorne liegt, dass Rostock vorne liegt, jetzt liegt der Ball im Netz. Nur noch 1:2. Ich halt das nicht mehr aus. Nein, es tut mir leid. 1:2, Nikl per Kopf, Flanke von Kuka. Treffer für die Clubberer Es ist nicht zu fassen, wir waren in Bochum, wir waren in Frankfurt, wir sind in Nürnberg. Was gibt`s neues in Bochum?“

Breuckmann, wie von der Kanzel
„Welch ein Abstiegsdrama, Und die Sache ist ja vielleicht noch gar nicht gelaufen. 3:2 führt Hansa Rostock. Dabei waren sie schon einmal weg in der 73. Minute. Aber der VfL Bochum, der will es jetzt noch einmal wissen. Der spielt schlicht und einfach mit. Der denkt nicht daran, dass morgen Urlaub ist. Die Bochumer sind zwar abgestiegen, aber sie verabschieden sich würdig aus der Fußball-Bundesliga. Jetzt Hansa Rostock noch einmal mit einer Art Konter. Und Oliver Neuville, er spielt auch in der zweiten Halbzeit noch mit, er lässt Schmerzen Schmerzen sein. Wahrscheinlich ist die blutende Wunde an seinem linken Ohr gestillt worden. Er ist jedenfalls ein vollwertiger Profi an diesem Nachmittag und hat mitgeholfen, dass seine Mannschaft hier dem fußballerischen Tod in der ersten Liga möglicherweise noch einmal von der Schippe springt. Frankfurt, bitte, Frankfurt.“

Schmitt, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen...
„Wo die Eintracht hier natürlich nach wie vor Druck macht. Sie weiß: Ein Tor könnte wieder den 1. FC Nürnberg in den Abgrund stoßen, überhaupt keine Frage. Und sie kommen jetzt wieder mit Christoph Westertaler in der zentralen Position. Nur Sforza hat er noch vor sich. Dann ist es Fjoerthoft, der ist im Strafraum. Und er trifft. Tooorr, Tooooooor, für die Frankfurter Eintracht, 5:1. Herrjeh! Welche Leistung! Und damit ist wieder der 1. FC Nürnberg in der zweiten Liga!“



Koch, abgründig (#3)
„Hallo, hier ist Nürnberg, wir melden uns vom Abgrund. Nürnberg 1:2. So wie Bayern wegen des linken Torpfostens in Barcelona verloren hat, steigt der Club ab, wenn er absteigt, wegen des linken Torpfostens vor der Nordkurve. Nikl drosch den Ball an den Pfosten. Er war nicht zu erreichen. Torhüter Golz flog durch die Luft. Der Ball klatscht vom Pfosten zurück und ging nicht ins Tor. sondern vor die Füße von Frank Baumann. Frank Baumann bringt dann aus sechs Metern den Ball nicht im Tor unter und so steht es nach wie vor nur 1:2. Der Club ist im Moment abgestiegen. Denn das Spiel hier ist aus. Ade, liebe Freunde. Es ist nicht zu fassen, was der Club seinen Fans, was er seinen Anhängern und was er seinem treuen Publikum zumutet. Der Club verliert mit 1:2 und er hat wenig Haltung bewiesen. Erst in der Schlussminute, in den Schlussminuten, hat er gekämpft. Liebe Clubberer, es tut mir leid. Das musste nicht sein. Das musste nicht sein. Respekt und Anerkennung an die Adresse der anderen Vereine, der Spieler und der Offiziellen, wenn es denn dabei bleibt. Ich rufe noch einmal Manni Breuckmann in Bochum.“

Breuckmann, mitfühlend
„Und Günther, du tust mir auch leid. Erlaube mir dieses persönliche Wort an dieser Stelle. Die Clubberer, möglichwerweise im Abgrund. Hier ist noch eine Minute zu spielen und der VfL Bochum setzt alles daran, noch ein Tor zu machen.“



Schmitt, zusammentragend
„Frankfurt ist aus. Das Spiel in Frankfurt ist aus. Grenzenloser Jubel. Die Frankfurter Eintracht hat den Klassenerhalt in der ersten Fußball-Bundesliga gepackt .... Bundesliga, Manni Breuckmann...“

Breuckmann, routiniert
„Hier sind wir in der 90. Minute. Und der VfL Bochum ist in Ballbesitz. Und dort unten stehen die Rostocker an der Außenlinie, signalisieren Markus Merk: ´Nu pfeif doch endlich ab!´ Das muss der aber noch nicht. Gerade ist die 91. Minute erreicht und Ballbesitz für Hansa Rostock. Nur ein Tor des VfL Bochum kann jetzt den Club aus Nürnberg noch retten vor dem Abstieg. ´Macht Schluss´, sagen die Rostocker Aber Markus Merk weiß ganz genau, dass er noch ein bisschen spielen lassen muss. Vielleicht der letzte Angriff des VfL Bochum. Ein Steilpaß, aber es ist der Steilpaß ins Nirgendwo, ins Nirwana, und da ist nur Torhüter Pieckenhagen. Und der geht jetzt gaaanz langsam, mit dem Ball am Fuß durch den Strafraum und wartet, dass diese quälenden Sekunden zu Ende gehen. Da ist es vorbei. Hansa Rostock hat mit 3:2 gewonnen. Grenzenloser Jubel bei den 7000 Fans, bei den Spielern, bei den Offiziellen. Hansa Rostock bleibt in der Bundesliga. Ein schlimmes Schicksal für den 1. FC Nürnberg!“