Plattenkritik: Whatever The Weather – Whatever The Weather II - Wann wird es wieder richtig Sommer?

Loraine James bringt ihr zweites Album als Whatever The Weather heraus, womit sie erneut beweist, dass sie eine der größten Elektronik-Künstlerinnen der Gegenwart ist. Dass Musik einem aus der Seele spricht, hat immer viel mit der eigenen Auslegung zu tun. Kitschige Liebeslieder können beliebig und allgemein sein, jemanden in ganz eigenen Momenten aber doch richtig hart treffen. Die elektronische Musik von Loraine James schaffte es schon mit ihrem letzten Solo-Album „Gentle Confrontation“ mich selig einzuhüllen. Selten habe ich minimale, elektronische Musik gehört, die mich derart berührt hat – auch weil sich die Künstlerin traut oder es gar ins Zentrum rückt, Geschichten zu erzählen und emotionale Narrative zu zeichnen. Anders als zu Hochzeiten von IDM, Clicks and Cuts und Glitches, in denen man sich oft um größtmögliche, reflektierende Abstraktion und digital dogmatische Kälte bemühte, bedient sich Loraine James zwar eben jenen stilistischen Mitteln, das Innere, die Seele darin will aber etwas anderes. Ihr Projekt Whatever The Weather startete James 2022. Nun ist das zweite Album unter dem Alias bei Ghostly International erschienen. Wie beim Vorgänger tragen die Songs Temperaturen als Titel. Von winterlichen „1°C“ bis zu sommerlichen „26°C“ geht es hier. Dabei ist das konzeptuell weniger wie bei Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ zu verstehen. Es sind vielmehr gefühlte Temperaturen. Oder wie die Musikerin selber sagt: „emotionale Temperaturen“. An diesem frischen Märzmorgen startet das Album mit dem Satz: „Ein bisschen kühl, oder … Kann’s kaum erwarten, bis Sommer wird.“ Wir können es alle kaum erwarten, aber welchen Sommer will ich eigentlich? Lieber den von 1993 oder wirklich den von 2025 mit all dem Wissen, dass wieder Wälder brennen werden, Extremwettersituationen die Nachrichten bestimmen und es eventuell schon wieder der heißeste Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen wird? Die Musik von Whatever The Weather ist warm und romantisch, aber nicht verklärend. Atmosphärische Field Recordings, dezente, teils barocke Chord-Progressionen lassen das Album naturalistisch (ohne Esoterik) und wie eine ungeplante Reise sein. Wenn es Beats gibt, dann steigen die Elemente im Headroom bis zur Stratosphäre auf. Es tropft, es raucht und rauscht, es kann klirrend kühl sein und dann wieder schwül und feucht. Die Musik ist intuitiv, wenig konstruiert, sie schafft Verbindungen und hypnotische Sichtachsen mit faszinierenden Räumen. Wie der Wald oder das Meer, die man nie kontrollieren werden wird, noch sollte. Uns gehört nicht die Welt, aber wir sollten zur Welt gehören und mehr auf sie hören.

Mär 23, 2025 - 11:37
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Plattenkritik: Whatever The Weather – Whatever The Weather II - Wann wird es wieder richtig Sommer?
Whatever The Weather II

Loraine James bringt ihr zweites Album als Whatever The Weather heraus, womit sie erneut beweist, dass sie eine der größten Elektronik-Künstlerinnen der Gegenwart ist.

Dass Musik einem aus der Seele spricht, hat immer viel mit der eigenen Auslegung zu tun. Kitschige Liebeslieder können beliebig und allgemein sein, jemanden in ganz eigenen Momenten aber doch richtig hart treffen. Die elektronische Musik von Loraine James schaffte es schon mit ihrem letzten Solo-Album „Gentle Confrontation“ mich selig einzuhüllen. Selten habe ich minimale, elektronische Musik gehört, die mich derart berührt hat – auch weil sich die Künstlerin traut oder es gar ins Zentrum rückt, Geschichten zu erzählen und emotionale Narrative zu zeichnen.

Anders als zu Hochzeiten von IDM, Clicks and Cuts und Glitches, in denen man sich oft um größtmögliche, reflektierende Abstraktion und digital dogmatische Kälte bemühte, bedient sich Loraine James zwar eben jenen stilistischen Mitteln, das Innere, die Seele darin will aber etwas anderes.

Ihr Projekt Whatever The Weather startete James 2022. Nun ist das zweite Album unter dem Alias bei Ghostly International erschienen. Wie beim Vorgänger tragen die Songs Temperaturen als Titel. Von winterlichen „1°C“ bis zu sommerlichen „26°C“ geht es hier. Dabei ist das konzeptuell weniger wie bei Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ zu verstehen. Es sind vielmehr gefühlte Temperaturen. Oder wie die Musikerin selber sagt: „emotionale Temperaturen“. An diesem frischen Märzmorgen startet das Album mit dem Satz: „Ein bisschen kühl, oder … Kann’s kaum erwarten, bis Sommer wird.“ Wir können es alle kaum erwarten, aber welchen Sommer will ich eigentlich? Lieber den von 1993 oder wirklich den von 2025 mit all dem Wissen, dass wieder Wälder brennen werden, Extremwettersituationen die Nachrichten bestimmen und es eventuell schon wieder der heißeste Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen wird?

Die Musik von Whatever The Weather ist warm und romantisch, aber nicht verklärend. Atmosphärische Field Recordings, dezente, teils barocke Chord-Progressionen lassen das Album naturalistisch (ohne Esoterik) und wie eine ungeplante Reise sein. Wenn es Beats gibt, dann steigen die Elemente im Headroom bis zur Stratosphäre auf. Es tropft, es raucht und rauscht, es kann klirrend kühl sein und dann wieder schwül und feucht. Die Musik ist intuitiv, wenig konstruiert, sie schafft Verbindungen und hypnotische Sichtachsen mit faszinierenden Räumen. Wie der Wald oder das Meer, die man nie kontrollieren werden wird, noch sollte. Uns gehört nicht die Welt, aber wir sollten zur Welt gehören und mehr auf sie hören.