Personalisierung und Entpersonalisierung in der Politik [Gesundheits-Check]

Vermutlich kennt jeder den Spruch, „Staaten haben keine Freunde, nur Interessen.“ Angeblich hat das der frühere französische Staatspräsident Charles de Gaulle gesagt. Der Spruch wird gerne als Ausdruck eines realistischen Politikverständnisses zitiert. Wenn man genauer darüber nachdenkt: Ist der Satz nicht einfach nur dumm? Staaten sind zwar völkerrechtliche Subjekte, aber keine Subjekte im Sinne der…

Mär 23, 2025 - 11:26
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Personalisierung und Entpersonalisierung in der Politik [Gesundheits-Check]

Vermutlich kennt jeder den Spruch, „Staaten haben keine Freunde, nur Interessen.“ Angeblich hat das der frühere französische Staatspräsident Charles de Gaulle gesagt. Der Spruch wird gerne als Ausdruck eines realistischen Politikverständnisses zitiert.

Wenn man genauer darüber nachdenkt: Ist der Satz nicht einfach nur dumm? Staaten sind zwar völkerrechtliche Subjekte, aber keine Subjekte im Sinne der Psychologie. Zumindest „Freundschaft“ kann man aber nur als sozialpsychologische Kategorie verstehen. Darüber hinaus ist es bestenfalls eine Metapher. Auch die „Interessen“ könnte mit einem Fragezeichen versehen.

Nicht, dass solche Metaphern nicht hilfreich sein können. Wenn man zwischenstaatliche Beziehungen spieltheoretisch analysiert, kann „Freundschaft“ vielleicht Strategien langfristiger Bündnisse bezeichnen, wie sie in der regelbasierten Weltordnung vor Trump häufiger waren. Mikroanalytisch betrachtet, entwickeln aber Staaten so wenig „Freundschaftsgefühle“ wie sie lachen oder hysterisch werden. Letztlich sind es immer Menschen, natürlich Menschen in institutionellen Gefügen, die über die Beziehungen zwischen Staaten entscheiden. Manchmal sind sie sich freundschaftlich zugetan, wie vielleicht Joschka Fischer und Madeleine Albright, oder glauben es zu sein, wie Trump gegenüber Putin, und manchmal vertreten sie nur die Interessen ihres Staates, die sie als „objektive Interessen“ wahrzunehmen meinen.

Dass man die Psychologie der Freundschaft auch hinterfragen und in egoistische „Interessen“ auflösen kann, wie das z.B. Gary Becker in seinen verhaltensökonomischen Analysen versucht hat, oder sie gar naturalisieren möchte als physiologische Reaktionen auf irgendwelche Reize oder genetische Dispositionen, sei einmal dahingestellt. Die Probleme, die Beckers Konzept mit sich bringt, wurden wiederholt benannt und auch in populärwissenschaftlichen Büchern wie Frank Schirrmachers „Ego“ oder Nida-Rümelins „Die Optimierungsfalle“ schon vor Jahren beschrieben, und die Naturalisierung internationaler Beziehungen könnte man ohnehin nur als Karikatur formulieren – bisher spricht nichts dafür, dass Putin Trump über Pheromone steuert.

Die Personalisierung zwischenstaatlicher Beziehungen ist paradoxerweise zugleich eine Entpersonalisierung, weil sie die tatsächlich handelnden Akteure aus dem Blickfeld nimmt. Wenn Staaten als Subjekte handeln, wie viel Verantwortung haben dann noch ihre Vertreter? Schrumpfen sie dann nicht auf das Niveau von Charaktermasken staatlicher Interessen? Das wird besonders virulent, wenn man z.B. im Angriff Russlands nur eine unvermeidliche Reaktion auf die NATO-Osterweiterung sieht, oder den Ausdruck imperialer Neigungen Russlands. Auch hier sind das durchaus hilfreiche Perspektiven, aber mikroanalytisch trägt es nicht. Russlands Reaktionen gäbe es nicht ohne verantwortlich handelnde Personen. Oder vielleicht doch? Sind Staaten am Ende „Quasi-Subjekte“? Trump und Putin, oder Scholz und Merz, nur Marionetten eines geheimnisvollen „tiefen Staats“? Und ist es Zufall, dass ausgerechnet Rechtspopulisten im Staat gerne ein überindividuelles Subjekt sehen?