Blick in die Milchstraße: Sonde "Gaia" - Das Auge in die Galaxie ist blind
Mehr als zehn Jahre lang untersuchte die Sonde unsere Galaxie. Nun geht "Gaia" in den Ruhestand. Der Forschung bleibt sie aber noch lange erhalten.

Mehr als zehn Jahre lang untersuchte die Sonde unsere Galaxie. Nun geht "Gaia" in den Ruhestand. Der Forschung bleibt sie aber noch lange erhalten.
Die Raumsonde "Gaia" zur Erforschung unserer Galaxie ist abgeschaltet. Nun fliegt sie blind, taub und stumm durch den Weltraum. Nach mehr als zehn Jahren der bislang kleinteiligsten Erforschung unserer Galaxie ist die Sonde nach dem entsprechenden Signal der europäischen Raumfahrtbehörde Esa quasi tot, unwiederbringlich. Am Vormittag gab es den letzten Befehl aus dem Kontrollzentrum in Darmstadt. Die letzte Nachricht der Sonde sei um 9.52 Uhr und 23 Sekunden angekommen, sagt der Esa-Direktor für den Missionsbetrieb, Rolf Densing.
"Das ganze Bild der Milchstraße ist neu gezeichnet worden", sagt "Gaia"-Missions-Manager Uwe Lammers in Madrid zur Bedeutung der Sonde. Esa-Wissenschaftsdirektorin Carole Mundell sprach unlängst von einer "Schatzkiste an Daten". Schwarze Löcher, Exoplaneten und mögliche Erkenntnisse zur Entstehung unseres Sonnensystems - "Gaias" Daten zeigen ein Bild von der Milchstraße, das die Menschheit vorher so nicht kannte. Densing zufolge wurde eine dreidimensionale Karte erstellt, die wissenschaftliche Grundlage für die kommenden Generationen ist. Die Experten arbeiten auch nach dem Abschalten der Sonde weiter daran.
Genaueste Karte der Galaxie
"Wir erstellen die genaueste Karte der Galaxie, die jemals erstellt wurde", sagt Lammers. "Am Anfang zum Beispiel war die Mission ausgelegt, eine Milliarde Sterne zu beobachten. Inzwischen sind es zweieinhalb Milliarden." Mit jedem Datensatz, den man herausgebe, werde die Genauigkeit weiter erhöht. Voraussichtlich 2026 und 2030 sollen die beiden nächsten Datensätze folgen. "Gaia" sendet nicht mehr, aber die Mission läuft noch.
"Wir wussten natürlich schon etliches über die Milchstraße, aber "Gaia" hat das Ganze noch mal auf ein anderes Niveau gehoben und wirklich so viele neue Sachen gefunden, die vorher alle gar nicht bekannt waren", sagt Lammers. So sei vor 5,7 Milliarden Jahren eine Zwerggalaxie mit der Milchstraße kollidiert und von ihr eingefangen worden. "Und es ist vielleicht sogar so, dass dadurch unser Sonnensystem entstanden ist. Das war vorher vollkommen unbekannt." Der Prozess habe die Sternenentstehung beeinflusst und vielleicht sei dadurch auch unsere Sonne entstanden. "Das ist eines der spektakulärsten Resultate."
Verbogene Milchstraße
Vor "Gaia" habe man gedacht, dass die Galaxie eine ganz gerade Scheibe ist, glatt und flach. Jetzt wisse man, dass sie an den Enden verbogen ist. "Also das sieht so aus wie gewölbt, verbogen an den Rändern. Das ist auch nicht statisch, sondern das bewegt sich alles im Zeitraum von vielen, vielen Millionen Jahren", erklärt Lammers. Das habe mal jemand verglichen mit einem Tischtuch, das am Rand im Wind flattert - nur eben in kosmischen Zeitdimensionen.
Mit "Gaia" sei zudem klargeworden, dass es viel mehr Schwarze Löcher gibt als zunächst angenommen. "Also wir wussten immer, es gibt ein massives Schwarzes Loch mit Millionen von Sonnenmassen im Zentrum unserer Milchstraße", sagt Lammers. Die Sonde habe drei weitere, in kosmischen Maßstäben recht nahe gefunden. In den nächsten Datensätzen könnten sich weitere Schwarze Löcher verbergen - oder auch exotische, bisher unbekannte Arten von Objekten.
An Exoplaneten, also Planeten außerhalb unseres Sonnensystems, seien inzwischen bis zu 5.000 bekannt. Mit dem nächsten Datensatz werde die Zahl sich wahrscheinlich verdoppeln, so Lammers.
Wie geht es weiter?
Auf "Gaia" sollen weitere Esa-Missionen für einen genauen Blick in unsere Galaxie folgen - die nächste wegen der langen Vorplanungsphase aber wohl nicht vor 2045, wie Lammers sagt. "Gaia" hat demnach rund eine Milliarde Euro gekostet. Ihre Missionszeit war zunächst auf fünf Jahre ausgelegt und wurde mehr als verdoppelt.
Die Sonde ist den Angaben zufolge derzeit 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. "Gaia" hat zwar noch Sprit im Tank, doch ein für den Betrieb nötiges Gas ist ausgegangen. Damit ist Schluss.
Der letzte Akt
"Wir haben zwei Sachen gemacht", sagt Densing zum letzten Akt. "Gaia" habe den Schub bekommen, um in ihren Orbit um die Sonne zu gelangen. Zudem seien die Systeme abgeschaltet worden. "Es ist mit Emotionen verbunden." Zum einen sei man stolz auf die Ergebnisse, zum anderen spiele natürlich Wehmut mit.