"Urlaub vom Patriarchat": Was machen die Frauen vor Ort anders – und besser?
In "Urlaub vom Patriarchat" erzählt Friederike Oertel von ihrer Reise nach Juchitán, eines der letzten Matriarchate der Welt. Mit neuen Perspektiven im Gepäck kommt sie zurück – und der Frage: Was können wir von den Frauen vor Ort lernen?

In "Urlaub vom Patriarchat" erzählt Friederike Oertel von ihrer Reise nach Juchitán, eines der letzten Matriarchate der Welt. Mit neuen Perspektiven im Gepäck kommt sie zurück – und der Frage: Was können wir von den Frauen vor Ort lernen?
Genervt vom Alltag im Patriarchat bricht die Autorin Friederike Oertel zu einer Reise nach Mexiko auf – die soll sie in eines der letzten Matriarchate der Welt führen.
Worum geht es im Buch?
In Juchitán de Zaragoza, ganz im Süden von Mexiko, möchte die Autorin Abstand gewinnen von den Strapazen, die 'Frausein' hierzulande mit sich bringt. Denn vieles funktioniert in der "Stadt der Frauen" anders als bei uns.
Juchitán, wie Oertel es beschreibt, ist ein absoluter Gegenentwurf zum Patriarchat, wie wir es kennen: Frauen werden dort nicht als schwächeres Geschlecht wahrgenommen, sondern sind in der Öffentlichkeit sehr präsent. Als Familienoberhäupter walten sie sogar über Geld und Besitz. Eine Umkehr der Machtverhältnisse, die mich als Leserin fasziniert hat. Denn patriarchal geprägte Geschlechterrollen und Muster habe ich zwar stets als etwas wahrgenommen, gegen das es sich anzukämpfen lohnt, das aber im Kern schwer zu beseitigen bleibt. Die Einwohnerinnen zeigen, das beschreibt die Autorin anschaulich, jedoch Alternativen auf – und das, obwohl auch Mexiko auf den Pfeilern des Patriarchats aufgebaut ist.
4 Dinge, die ich beim Lesen von "Urlaub vom Patriarchat" gelernt habe
- Das Patriarchat ist nicht alternativlos oder naturgegeben; Geschlechterrollen sind veränderbar. Eine der persönlich tiefgreifendsten Erkenntnisse aus dem Aufenthalt war die Einsicht, dass "das Patriarchat nicht universell, gottgegeben oder natürlich" ist. Die sozialen Strukturen in Juchitán, auch wenn dort ebenfalls patriarchale Elemente existieren, zeigen, dass andere Organisationsformen möglich sind. Diese Erkenntnis, "dass Geschlechterrollen nicht in Stein gemeißelt sind, sondern vielfältig, flexibel und veränderbar", die Oertel beschreibt, hat mich noch nach dem Lesen des Buches sehr beschäftigt. Sie nimmt dem Patriarchat seine scheinbare Unausweichlichkeit und eröffnet die Perspektive auf gestaltbare Zukunft.
- Der Mythos vom "Mutterinstinkt" ist ein soziales Konstrukt und nicht wissenschaftlich belegbar. Die Frauen in Juchitán zeigen, dass Alternativen lebbar sind. Eine besonders wirkmächtige Erzählung, die in vielen Gesellschaften Geschlechterrollen zementiert, ist die vom "Mutterinstinkt", der Mütter angeblich "von Natur aus" mehr für die Kinderbetreuung prädestiniert als Väter. Obwohl die Wissenschaft diesen Mythos längst widerlegt hat, führt er unter anderem dazu, dass Paare nach der Geburt eines Kindes in traditionelle Rollenmuster zurückfallen. Er geht arbeiten, sie bleibt zuhause und kümmert sich um Care-Arbeit. In Juchitán wird diese Trennung ein Stück weit aufgebrochen: Dort werden "Mutterschaft und Erwerbsarbeit nicht als sich ausschließend betrachtet, sondern als zusammengehörig gedacht", sagt Oertel. Ein Beweis dafür, dass die gesellschaftliche Norm der Aufgabenteilung verändert werden kann.
- Wirtschaftliche Macht und finanzielle Unabhängigkeit von Frauen sind ein Schlüssel zur Veränderung. Ein herausragendes Merkmal von Juchitán ist die starke Stellung der Frauen im öffentlichen und wirtschaftlichen Leben. Sie sind sehr präsent, insbesondere auf dem Markt und bei Festen, "bestimmen als Händlerinnen die lokale Wirtschaft, verwalten das Geld und ernähren ihre Familien". Es wird betont, dass jede Frau die Oberhand über ihre Finanzen hat und keine finanzielle Abhängigkeit besteht. Mütter und Großmütter sind nicht nur Hüterinnen des Geldes, sondern auch der Traditionen und gelten als Dreh- und Angelpunkt der Gesellschaft. Diese ökonomische Unabhängigkeit und Kontrolle über Ressourcen unterscheidet sich fundamental von vielen patriarchal organisierten Systemen und zeigt das Potenzial, das darin liegt, Frauen ökonomisch zu stärken.
Gleichberechtigung erfordert ständigen Widerstand und das aktive Erkämpfen von Räumen. Die Frauen in Juchitán haben den Ruf, "besonders widerständig" zu sein. Ihre starke Position existiert trotz patriarchaler Strukturen, die im gesamten Mexiko vorherrschend sind: "Sie lassen sich nicht unterkriegen, arbeiten hart und erkämpfen sich immer wieder eigene Räume", heißt es. Weswegen Oertel sie als "unbeugsam" beschreibt. Was ich daraus mitgenommen habe? Gleichberechtigung ist kein Zustand, der einfach erreicht wird, sondern ein kontinuierlicher Kampf, der Beharrlichkeit und das aktive Einfordern und Schaffen von Freiräumen erfordert.
"Urlaub vom Patriarchat: Wie ich auszog, das Frausein zu verstehen" von Friederike Oertel schildert ihre bewegende Reise in eines der letzten Matriarchate der Welt. Erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, 20 Euro.
© PR
Obwohl das Matriarchat als gelebter Gegenentwurf zum Patriarchat gefeiert wird – und ich beim Lesen viele Denkanstöße erhalten habe, stellt sich mir die Frage, ob wir nicht zuallererst jegliche Geschlechterkonstruktionen auflösen müssten, um eben keine Menschen mehr aufgrund ihres Geschlechts zu benachteiligen – das gilt insbesondere für die Personen, die sich nicht in die Kategorien "männlich" oder "weiblich" einordnen lassen. Wir wollen weder Matriarchat noch Patriarchat, sondern Gleichberechtigung – ein Unichat vielleicht.