Sammelklage: Offenes Zerwürfnis unter den Wirecard-Anlegeranwälten
Im Wirecard-Musterverfahren stellt der Musterkläger sein Anwaltsteam neu auf. Hinter dem Schritt steckt ein heftiger Krach zwischen seinen bisherigen Prozessvertretern um die richtige Strategie

Im Wirecard-Musterverfahren stellt der Musterkläger sein Anwaltsteam neu auf. Hinter dem Schritt steckt ein heftiger Krach zwischen seinen bisherigen Prozessvertretern um die richtige Strategie
Im Musterverfahren um den Bilanzskandal beim Zahlungsdienstleister Wirecard kommt es erneut zu einem Wechsel in der Prozessvertretung des Musterklägers. Nach Informationen von Capital scheidet die Kanzlei des Münchner Anlegeranwalts Peter Mattil als Prozessbevollmächtigte aus. Mattil legte am Mittwochnachmittag sein Mandat nieder, wie er auf Anfrage bestätigte. An seine Stelle sollen die Berliner Kapitalmarktexperten Wolfgang Schirp und Marc Liebscher mit ihren Kanzleien treten. Über den Schritt haben der Musterkläger und sein persönlicher Vertreter Elmar Vitt das Bayerische Oberste Landesgericht bereits informiert. Anwalt Vitt bleibt weiterhin Teil des Teams.
Hintergrund des Wechsels ist ein Zerwürfnis zwischen den Prozessbevollmächtigten, die den Musterkläger Kurt Ebert bisher vertreten haben. Bei dem Ex-Wirecard-Aktionär Ebert handelte es sich um einen Mandanten des Juristen Vitt, der auch den Prozessfinanzierer Jurfin führt und die Klage finanziert. Für das aufwändige Wirecard-Sammelverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG), in dem die Einzelklagen von mehr als 8000 Aktionären gebündelt worden sind, hatte sich Vitt zuletzt mit der auf Kapitalmarktrecht spezialisierten Kanzlei Mattil zusammengetan.
Zu dem offenen Streit im Lager der Klägervertreter kam es nach Informationen von Capital, nachdem das Bayerische Oberste Landesgericht Ende Februar entschieden hatte, dass Anleger mögliche Schadensersatzansprüche gegen Wirecards Abschlussprüfer EY aus formalen Gründen nicht nach dem KapMuG durchsetzen könnten. Stattdessen müssten die Tausenden Einzelverfahren, die 2022 ausgesetzt worden waren, wieder aufgenommen werden. Unmittelbar nach der Verkündung des Bayerischen Obersten Landesgerichts hatte Mattil dessen Entscheidung scharf kritisiert und angekündigt, beim Bundesgerichtshof gegen sie vorzugehen.
Heftige Vorwürfe unter Anwälten
Dagegen hält es Vitt im Sinne einer schnelleren Entscheidung für die geschädigten Wirecard-Aktionäre für richtig, dass über die Klagen gegen EY nicht in einem langwierigen Musterprozess entschieden wird, sondern in Einzelverfahren, bestenfalls über Pilotklagen. Seinem Kollegen Mattil wirft er vor, sich mit einem Alleingang über eine verabredete Prozessstrategie hinweggesetzt zu haben. Nach der Ankündigung Mattils, vor dem Bundesgerichtshof für ein KapMuG-Verfahren gegen EY kämpfen zu wollen, hatte Musterkläger Ebert entschieden, das Mandat von Mattil vorerst ruhend zu stellen. Zuletzt hatte Mattil gegenüber Ebert angekündigt, das Mandat von sich aus zeitnah zu beenden, wenn es bei der Aussetzung bleibe.
In einem Schriftsatz an das Bayerische Oberste Landesgericht von Ende vergangener Woche machte Vitt das offene Zerwürfnis zwischen den Prozessvertretern für die zahlreichen Prozessbeteiligten öffentlich. In dem Schreiben, wie es deutsche Gerichte wohl selten zu lesen bekommen und das Capital vorliegt, unterstellte er Mattil, dieser setze darauf, dass das Gericht infolge des Streits einen neuen Musterkläger aus den Reihen der exklusiven Mattil-Mandanten bestimmen und die Kanzlei Mattil die prestigeträchtige Musterklage künftig alleine führen könnte. Dabei fällt auch eine Reihe harscher Formulierungen – darunter der Vorwurf „dreister Vertragsbrüche“ und des „Gebührenschneidens“.
Auf Anfrage wies Mattil sämtliche Vorwürfe seines Kollegen Vitt mit Nachdruck zurück: „Das ist seine Fantasie, mit der ich nichts zu tun habe. Einen Wechsel des Musterklägers haben wir nie thematisiert“, erklärte Mattil. In finanzieller Hinsicht seien Einzelklagen sogar besser für alle Anwälte, weil dann Tausende Klagen sofort abgerechnet werden könnten. Für das KapMuG-Verfahren bekomme seine Kanzlei dagegen „so gut wie gar nichts“.
Warten auf den Bundesgerichtshof
Grundsätzlich könnte Vitt als persönlicher Vertreter des Musterklägers das Verfahren auch alleine weiterführen. Bei Vitt, einem streitbaren Juristen und nach eigener Beschreibung auch „Physiker, Mathematiker, Kriminalist, Schachspieler“, handelt es sich jedoch um einen Einzelkämpfer aus der niedersächsischen Gemeinde Salzhausen, dem Erfahrungen in großen KapMuG-Verfahren und im Kapitalmarktrecht fehlen. Aus diesem Grund hatte er im Fall Wirecard zunächst mit der Berliner Anlegerkanzlei Schirp zusammengearbeitet, dann mit Mattil. Zeitweise war auch Anwalt Liebscher von der Kanzlei Dr. Späth & Partner Teil des Teams. Nach dem Zerwürfnis mit Mattil sollen Schirp-Partner Wolfgang Schirp und Liebscher nun in das Mandat zurückkehren. Beide sollen das Musterverfahren im Wesentlichen führen. Vitt selbst will sich als persönlicher Vertreter des Musterklägers unter anderem um die übergeordnete Prozessstrategie und Konzepte für einen möglichen Vergleich mit EY kümmern.
Für das ohnehin zähe Musterverfahren ist der Streit der Anwälte eine weitere Belastung. Auch drei Jahre nach seiner Einleitung befindet sich der Mammutprozess noch am Anfang, bisher ging es in erster Linie um formale und technische Fragen. In einem nächsten Schritt muss jetzt erst abgewartet werden, ob der Bundesgerichtshof die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts durchwinkt, dass das KapMuG im Fall des Abschlussprüfers EY nicht angewendet werden. Wegen des Eklats zwischen seinen Rechtsvertretern hatte zwar Musterkläger Ebert selbst am Ende keine Klage beim BGH eingereicht – dafür aber andere ehemalige Wirecard-Aktionäre.
Nach der Entscheidung des BGH, die bestenfalls noch in diesem Jahr kommt, gehen die Klagen gegen EY entweder doch als Teil des Musterverfahrens weiter oder die aktuell ausgesetzten Einzelverfahren am Landgericht in München werden wieder aufgenommen.