Regierungserklärung: Die problematische Merz-Premiere: Einmal mit alles, bitte!

Friedrich Merz hat jahrelang geschimpft im Bundestag. Als Bundeskanzler spricht er wie ein Bundespräsident. Das mag ratsam scheinen, kratzt aber an seiner Glaubwürdigkeit

Mai 14, 2025 - 22:26
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Regierungserklärung: Die problematische Merz-Premiere: Einmal mit alles, bitte!

Friedrich Merz hat jahrelang geschimpft im Bundestag. Als Bundeskanzler spricht er wie ein Bundespräsident. Das mag ratsam scheinen, kratzt aber an seiner Glaubwürdigkeit

Nach 45 Minuten ist die Rede von Friedrich Merz nicht vorbei. Man hat zu diesem Zeitpunkt schon auf die Uhr geschaut. Merz hangelt sich von der Wirtschaftspolitik zu mehr Tarifbindungen, spricht über bezahlbaren Wohnraum und den Mindestlohn, Grenzkontrollen und das Einwanderungsland Deutschland, redet erst über China und schenkt dann dem afrikanischen Kontinent noch einen halben Gedanken. Einmal mit alles, bitte!

Rund eine Stunde wird die erste Regierungserklärung von Friedrich Merz schließlich dauern. Länger als geplant. Außenpolitisch rammt der neue Regierungschef einige Pflöcke ein, das wurde erwartet. Ein rhetorisches Feuerwerk spielt sich nicht ab. Dabei kann er das ja.

Man kann diese Art der Kanzlerrede für ratsam halten: Härten aussparen, die Menschen nicht aufpeitschen, keine Angriffsfläche bieten. Schließlich muss Merz jetzt einen, die Koalition zusammenhalten. Angela Merkel hat es lange Jahre so gemacht, Olaf Scholz ebenfalls.

Doch diesen zehnten Bundeskanzler, Friedrich Merz, stellen solche Auftritte vor ein Glaubwürdigkeitsproblem. War er nicht für einen harten Politikwechsel angetreten? Und hatte er nicht wenige Stunden zuvor noch ganz anders geklungen? 

Merz gibt am Vorabend noch den Reformer

Noch am Vorabend der Regierungserklärung forderte Merz von den Deutschen auf einer Wirtschaftstagung eine „gewaltige Kraftanstrengung“. Da sagte der Bundeskanzler: „Mit Viertagewoche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können.“ Im Bundestag klingt das am nächsten Tag plötzlich anders: Da spricht er vom Stolz auf den Fleiß der Arbeitnehmer im Land, mahnt eine „gemeinsame Kraftanstrengung“ an und redet von einer dienenden Rolle der Politik. Stellenweise klingt Merz wie ein Sozialdemokrat, wie Olaf Scholz.

Begonnen hat er seine Rede mit einem Dank an jenen Vorgänger, Scholz, der ja noch als Abgeordneter dem Parlament angehört. Auch das kann man ihm anrechnen, für ein kluges Manöver halten. Aber wirkt es bei Friedrich Merz auch glaubwürdig? Noch vor wenigen Wochen hatte Merz über denselben Scholz gesagt: „Olaf Scholz ist der Tiefpunkt in 75 Jahren Bundesrepublik.“

Merz sprach damals düsterste Prognosen aus, klagte und haderte. Jetzt prägt seine Rede ein anderes Motiv: „Wir können alle Herausforderungen aus eigener Kraft heraus bewältigen.“ Ja, Menschen vergessen. Aber so schnell nun auch nicht. Die Bürger verstehen sicherlich auch den Rollenwechsel zwischen Opposition und Regierung. Aber auch der muss glaubwürdig ablaufen.

Welches Gesicht ist das echte?

Friedrich Merz präsentiert sich den Deutschen mit zwei Gesichtern. Und das in schneller Folge. Viele Menschen im Land dürften sich nach dieser Regierungserklärung die Frage stellen: Welches ist das echte? Welchem kann ich trauen? Sind entweder die vollmundigen Ankündigungen aus dem Wahlkampf wenig wert oder kostümiert sich hier ein knallharter Reformer als präsidialer Politikverkäufer?

Der zehnte deutsche Bundeskanzler wird jetzt mit Amtsbeginn von seinen Schatten eingeholt: der eigenen, brachialen Kritik an der Vorgängerregierung und den sehr grundsätzlichen Politikwechselversprechen aus dem Wahlkampf. Er wird gegen diese Schatten kämpfen müssen, genauso wie gegen die Wirtschaftskrise und Unzufriedenheit im Land.

„Es liegt an uns selbst“, sagt er zum Ende seiner Rede. Das gilt erst recht für den Kanzler. Sein wahres Gesicht kennt man nach dieser Regierungserklärung weniger als vorher.

Dieser Artikel ist eine Übernahme des Stern, der wie Capital zu RTL Deutschland gehört. Auf Capital.de wird er zehn Tage hier aufrufbar sein. Danach finden Sie ihn auf www.stern.de.