Onkel Michaels Blogserie: Ein Blick auf die Banalität des Bösen

Onkel Michaels Artikelreihe der vergangenen Woche beschäftigt sich mit dem Prozess um Adolf Eichmann und dem daraus hervorgegangenen Begriff "Die Banalität des Bösen" von Hannah Arendt. Weiterlesen →

Mai 15, 2025 - 16:02
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Onkel Michaels Blogserie: Ein Blick auf die Banalität des Bösen

Vergangene Woche lief bei Onkel Michael eine Artikelreihe mit dem Namen: Die Banalität des Bösen. Im Mittelpunkt: Adolf Eichmann, der Holocaust, Hannah Arendt und die Frage, wie das Grauen in die Welt kommt. Hier ein kompakter Überblick.


Teil 1: Adolf Eichmann – Ein Porträt der Bürokratie des Bösen

Im ersten Teil gibt Onkel Michael einen Überblick über Eichmanns Leben.

Eichmann trat 1932 der NSDAP bei:

Zwischen 1935 und 1939 beschäftigte sich Eichmann hauptsächlich mit jüdischen Angelegenheiten. In Palästina versuchte er vergeblich, Emigrationsmodelle für Juden mit der britischen Verwaltung abzustimmen. Schon hier zeigt sich eine zynische Grundhaltung: Für ihn war das „Judenproblem“ eine Frage logistischen Managements, nicht moralischer oder politischer Reflexion.

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Eichmann zur Schlüsselfigur der systematischen Vernichtung:

Er wurde zum Leiter des „Judenreferats IV B4“ im Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Seine Aufgabe war die Organisation der Deportation der europäischen Juden in die Ghettos und später in die Vernichtungslager.

Konkreter:

Er entwarf Deportationspläne, verhandelte über Bahntransporte, kalkulierte Kosten – manchmal bis auf den Pfennig genau –, koordinierte mit den Besatzungsbehörden und Lokalkommandanten. Er stand dabei stets in der zweiten Reihe: Der Befehl kam von oben; Eichmanns Kunst war die perfekte Exekution der Befehle ohne moralische Eigenreflexion.

Besonders auffällig war dabei seine Fähigkeit, persönliche Verantwortung zu vermeiden: Er schrieb Berichte, die sich in Passivkonstruktionen verloren; er argumentierte stets im Sinne höherer Befehlsstrukturen.

Zum kompletten Artikel:


Teil 2: Adolf Eichmann nach 1945: Die Flucht, das Versteck, der Prozess

Nach dem Krieg musste er fliehen und schaffte es über Umwege nach Argentinien:

Buenos Aires in den fünfziger Jahren war ein fruchtbarer Boden für ehemalige Nazis und Kollaborateure. Die Regierung Perón, pragmatisch und offen gegenüber antikommunistischen Exilanten, bot Schutz. In dieser Welt aus subtropischer Hitze, staubigen Straßen und melancholischem Tango ließ sich Eichmann nieder – nicht als General, nicht als Märtyrer, sondern als gewöhnlicher Arbeiter.

Eichmann wurde verraten, und so konnte ihn der isrealische Geheimdienst Mossad schnappen:

Am 11. Mai 1960, gegen Abend, als der staubige Wind der pampanischen Steppe die Schatten verlängerte, schlug das Kommando zu. Vor seinem Haus wurde Eichmann überwältigt, betäubt und in einem sicheren Haus versteckt. Zwei Wochen später wurde er in einer von El-Al getarnten Maschine außer Landes gebracht.

Sie brachten ihn nach Isreal, wo es zum bekannten Prozess kam:

Der Prozess gegen Adolf Eichmann, der am 11. April 1961 in Jerusalem begann, war weit mehr als ein juristisches Verfahren: Er war ein symbolischer Akt der Selbstvergewisserung für die junge Nation Israel, ein pädagogisches Drama für die Weltöffentlichkeit – und ein Blick in die tiefsten Abgründe menschlicher Exekutivkraft.

Von den Zeitzeugenberichten aus den Konzentrationslagern schien er unberührt zu bleiben:

Und doch – Eichmann selbst blieb regungslos. In langen Verhören verteidigte er sich in stereotypen Phrasen: Er sei nur ein Rädchen gewesen, ein Empfänger von Befehlen, ein Werkzeug ohne eigene Verantwortung.

Das Urteil im Dezember 1961 lautete:

Todesstrafe durch den Strang.

Das Urteil wurde nach eingehender Prüfung der Berufung bestätigt. Am 31. Mai 1962, in den frühen Morgenstunden, wurde Eichmann in einem Gefängnis in Ramla hingerichtet.

Was bleibt?

Das Böse, so zeigte Eichmanns Leben, ist oft nicht das Werk dämonischer Genies oder lodernder Fanatiker, sondern entsteht in der stillen Selbstentfremdung des Menschen von seiner eigenen moralischen Intuition.
Es tarnt sich in Formularen, versteckt sich hinter Befehlen, lebt in der Sprache der Abstraktion: „Aussiedlung“, „Endlösung“, „Transportangelegenheit“ – Begriffe, die das Unaussprechliche in harmlose Kategorien pressten, wie man Wasser in ein Glas gießt.

Eichmann war kein dämonischer Übermensch. Gerade darin lag seine schrecklichste Macht: Er war ein Jedermann, ein Verwalter, ein beflissener Angestellter, der den Tod nicht aus Leidenschaft, sondern aus Funktionalität organisierte.
Und so stellt sein Leben eine unausweichliche Frage an jede kommende Generation:
Wo endet der Gehorsam? Wo beginnt die Schuld?

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Teil 3: Hannah Arendt und Eichmann in Jerusalem: Das Antlitz der Banalität

Im dritten Teil rückt die Beobachterin ins Zentrum: Hannah Arendt. Sie verfolgte den Eichmann-Prozess als Korrespondentin, als Philosophin:

Was sie sah, was sie hörte, was sie beobachtete – all das sollte sich in einem Buch verdichten, das mehr wurde als eine bloße Prozesschronik.
Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen, erschienen 1963, war eine Provokation – nicht weil Arendt die Verbrechen beschönigte, sondern weil sie sich weigerte, Eichmann als das Monster zu inszenieren, das viele sich wünschten.

In Eichmann sah sie einen Mann, der sich gegen moralische Reflexion sträubte:

Nicht aus fanatischem Hass oder sadistischer Entschlossenheit seien die monströsen Verbrechen des Nationalsozialismus hervorgegangen – sondern aus der erschreckenden Fähigkeit gewöhnlicher Menschen, das eigene Denken zu suspendieren und in den Sprachregelungen der Obrigkeit zu ersticken.

Arendt nannte dies die Banalität des Bösen.

Sie polarisierte:

Die Reaktionen auf Eichmann in Jerusalem waren heftig, oft feindselig.
Hannah Arendt wurde als Verräterin gebrandmarkt, als kaltherzige Intellektuelle, als selbstgerechte Theoretikerin. Besonders ihre Kommentare über die jüdischen Räte wurden als schockierend empfunden.

Dabei war ihr der mögliche Missbrauch ihrer Begriffe sehr bewusst:

Arendt selbst wusste, dass der Begriff der „Banalität des Bösen“ leicht missverstanden werden konnte.
Sie meinte nicht, dass die Verbrechen belanglos waren – im Gegenteil: Sie zeigte, dass gerade die Banalität der Täter die Katastrophe so unfassbar machte.

So wurde Eichmann in Jerusalem ein Meilenstein:

Ein Mahnmal in Worten, das uns auffordert, immer wieder neu zu denken – gegen den Strom, gegen die Routine, gegen das bequeme Vergessen.

Denn das Böse, so Arendts stille Warnung, ist niemals weit entfernt.
Es wartet dort, wo wir aufhören, zu fragen.

Der volle Beitrag:


Teil 4: Exkurs: Die „Banalität des Bösen“

Im ersten Exkurs wird Arendts Begriff nochmals seziert. Er bricht mit der Vorstellung vom dämonischen Bösewicht:

Arendt schlug etwas Ungeheuerlicheres vor:
Dass das Böse nicht immer aus Hass, Grausamkeit oder abgründiger Bosheit geboren wird, sondern oft aus Gedankenlosigkeit, aus Routine, aus Karrierismus und aus dem völligen Verzicht auf eigenes moralisches Urteil.

Man darf ihren Begriff aber nicht falsch verstehen:

Arendts Begriff der „Banalität des Bösen“ wurde heftig kritisiert, missverstanden, verfälscht.
Viele warfen ihr vor, das Böse zu verharmlosen oder Eichmann zu entlasten.
Doch genau das tat sie nie.

Sondern:

Ihr Gedanke war radikaler:
Er rief dazu auf, nicht nur Monster zu fürchten, sondern die alltäglichen Strukturen, die Monster überflüssig machen, weil sie Millionen von Menschen bereitmachen, das Undenkbare gedankenlos zu vollstrecken.

Hier weiter zum vollen Text:


Teil 5: Exkurs II: Die „Banalität des Bösen“ im Lichte von Kant und der Totalitarismusforschung

Der zweite Exkurs vertieft die philosophischen Wurzeln hinter Arendts Denken. Ihr Leitstern: Immanuel Kant.

Arendt, die Zeit ihres Lebens tief in der Tradition der deutschen Philosophie verwurzelt blieb, nahm ihren Maßstab nicht bei Nietzsche, Marx oder Freud, sondern bei Immanuel Kant.
Es war insbesondere seine kleine, oft übersehene Schrift Was heißt: sich im Denken orientieren?, die ihr entscheidende Impulse gab.

Was dieser Text sagt:

Für Kant war das Denken nicht bloß ein kognitiver Vorgang, sondern eine ethische Praxis:
Sich im Denken orientieren bedeutete, sich der eigenen Urteilskraft zu bedienen, unabhängig von äußeren Autoritäten und Meinungen.
Es bedeutete, die Perspektive des Anderen mitzudenken – die Fähigkeit, das Allgemeine im Konkreten zu erkennen, die Maxime des eigenen Handelns immer so zu wählen, dass sie ein allgemeines Gesetz sein könnte.

Dies übernimmt Hannah Arendt:

Denken, in ihrem Sinn, ist ein Widerstand gegen Automatismen, gegen blinde Unterordnung, gegen jede Entfremdung des Individuums von sich selbst.
Wer denkt, so Arendt, kann nicht töten ohne Schuld, kann nicht gehorchen ohne Zweifel.

Totalitäre Systeme zerstören genau das:

Totalitäre Systeme, so Arendt, arbeiteten systematisch daran, die Voraussetzungen des individuellen Denkens auszuhöhlen:
durch Ideologien, durch entindividualisierte Verwaltung, durch permanente Angst, durch die Auflösung sozialer Bindungen.

Wenn Arendt also von der „Banalität des Bösen“ sprach, dann meinte sie zugleich die Banalität des Totalitarismus:
Die erschreckende Möglichkeit, dass ein ganzes System von Vernichtung auf der Routine, auf der Bürokratie, auf der Gedankenlosigkeit normaler Menschen beruhen kann.

Was also tun?

Nur wer denkt, wer die Perspektive des Anderen mitbedenkt, wer Verantwortung nicht delegiert, sondern sich zuspricht, kann gegenüber der Verführung des Bösen standhalten.
Und nur wo diese Praxis lebendig bleibt, gibt es Hoffnung auf Freiheit.

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Zum Thema:

  • Video: Die Jagd nach dem Holocaust-Architekten, Simplicissimus vom 01.05.2025
  • Video: Adolf Eichmann: die Jagd bis zum Prozess, MrWissen2Go Geschichte vom 08.04.2021

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