Omri Boehm, Buchenwald, Gedenken und moralische Verpflichtungen [Gesundheits-Check]

Vor zwei Jahren hatte ich das Buch „Radikaler Universalismus“ von Omri Boehm hier kurz in einer 7-Zeilen-Rezension vorgestellt. Boehm engagiert sich mit seiner philosophischen Position auch in aktuellen politischen Konflikten und das trägt ihm, vor allem wenn es um Israel geht, immer wieder vehemente Kritik ein. Jetzt war Omri Boehm eingeladen, bei der Gedenkfeier zur…

Apr 7, 2025 - 17:57
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Omri Boehm, Buchenwald, Gedenken und moralische Verpflichtungen [Gesundheits-Check]

Vor zwei Jahren hatte ich das Buch „Radikaler Universalismus“ von Omri Boehm hier kurz in einer 7-Zeilen-Rezension vorgestellt. Boehm engagiert sich mit seiner philosophischen Position auch in aktuellen politischen Konflikten und das trägt ihm, vor allem wenn es um Israel geht, immer wieder vehemente Kritik ein.

Jetzt war Omri Boehm eingeladen, bei der Gedenkfeier zur Befreiung des KZ Buchenwald eine Rede zu halten. Auf Druck der israelischen Botschaft wurde er wieder ausgeladen, weil seine Rede nach Ansicht der israelischen Botschaft das Leid der KZ-Opfer politisch instrumentalisiere, sie sei eine “eklatante Beleidigung des Gedenkens an die Opfer”. Auf X fand die Botschaft noch härtere Worte: “Ihn als Redner zu einer Holocaust-Gedenkveranstaltung in Buchenwald einzuladen, ist so, als würde man Baschar al-Assad einladen, einen Vortrag über Menschenrechte zu halten.”

Der Leiter der Gedenkstätte, Jens-Christian Wagner, hat die Kritik der israelischen Botschaft an Boehm als „absurd“ bewertet, was wiederum ihn ins Fadenkreuz der israelischen Botschaft gerückt hat, die ihm „Geschichtsklitterung und Geschichtsfälschung“ vorwirft.

Die Süddeutsche Zeitung hat heute Omri Boehms Rede abgedruckt, online leider hinter der Paywall. Boehm argumentiert für ein Erinnern, das im Heute verpflichtet, und für eine Lesart des “Nie wieder”, das nicht nur meint “Nie wieder wir Juden”, sondern universalistisch für alle gilt – also auch für die Palästinenser im Gazakrieg.

Dieses Thema ist hochgradig komplex und vermint. Das Erinnern auf heute verpflichten, kann leicht sowohl die Singularität des Holocaust relativieren als auch den Holocaust instrumentalisieren. Omri Boehm muss man beides nicht unterstellen, er ist Nachkomme von Nazi-Opfern und der Text seiner Rede gibt auch keinen Anlass zu einer solchen Unterstellung. Mir ist zudem nicht klar, wie man das Erinnern auf heute verpflichten kann, ohne es mit aktuellen Vorgängen zu verbinden – und ob ein bloß “gedenkendes” Erinnern die richtige Lehre aus der Vergangenheit ist.

Man kann gleichwohl die Begründung der Gedenkstätte nachvollziehen, die Überlebenden und ihre Nachkommen, die zur Feier kommen, sollten nicht in den aktuellen Konflikt hingezogen werden. Es wäre aber auch interessant gewesen, was sie zu Boehms Rede und seiner universalistischen Ethik gesagt hätten. Sie sind ja heute keine ohnmächtigen Opfer mehr, für die man sprechen muss, sondern Subjekte ihrer Lebenssituation, mit denen man sprechen kann – und soll.

Ob sie gesagt hätten, eine Gedenkfeier in Buchenwald ist nicht der richtige Ort, um indirekt die israelische Politik zu kritisieren? Oder eher im Gegenteil, das Erinnern in seiner Bedeutung für heute betont hätten? Aber: Ob man sie ausgerechnet anlässlich der Buchenwald-Befreiung zu solchen Positionierungen drängen sollte?

Wie dem auch sei, in dem Fall hat die israelische Botschaft wohl selbst zur politischen Instrumentalisierung von Buchenwald beigetragen.

Einen lesenswerten Artikel zu dem Eklat gibt es übrigens in der ZEIT. Bei diesen Themen, die so schwierig sind, bei denen so schnell aus einem Urteil eine Verurteilung und eine Ausgrenzung wird, möchte man mit dem aktuellen Buch von Stephan Lamby raten: „Dennoch sprechen wir miteinander“. Vielleicht ja in der Tat besser zu einem anderen Zeitpunkt an einem anderen Ort?