Der Münchner Unternehmer Joerg Zuber hat allen Zweiflern zum Trotz viel Geld und Zeit in die Entwicklung der Kunstfigur Noonoouri investiert. Heute ist sie eine der erfolgreichsten virtuellen Influencerinnen auf Instagram, der auch Stars wie Kim Kardashian folgen. Was andere Unternehmen von seiner Strategie lernen können, erzählt er anhand von vier Instagram-Posts mit Noonoouri.
Noonoouri wird „geboren“
Instagram-Post 1. Februar 2018: Das Instagram-Video verrät nicht viel. Es ist nur wenige Sekunden lang. Schnelle Schnitte, das Licht flackert. Eine Person mit langen dunklen Haaren bewegt sich hinter einer Strukturglasscheibe zu Musik. Dazu steht: „My Journey has only just begun“ („Meine Reise hat gerade erst begonnen“).
Erst am nächsten Tag erscheint ein Bild von ihrem Gesicht: große braune Augen, kleiner Mund, übergroßer Kopf, dazu eine Stupsnase. Noonoouri heißt die Person. Sie ist kein normales Instagram-Model. Sie ist nicht mal ein Mensch, sondern eine virtuelle Figur – und dazu eine bekannte Instagram-Influencerin.
Ihr Schöpfer Joerg Zuber sagt: „Noonoouris Hauptaufgabe ist, Aufmerksamkeit durch ihr außergewöhnliches Aussehen zu generieren.“ Sie ist sein Kindheitstraum. Er hat sie sich als Fünfjähriger ausgedacht. Zuber ist heute 49 Jahre alt, und natürlich konnte er damals noch nicht wissen, dass sie einmal ein Internetstar wird. Doch das ist nicht entscheidend. Zubers Geschichte zeigt, dass es sich lohnt, an seinen Träumen festzuhalten. Selbst dann, wenn niemand weiß, wohin sie einen führen werden und die Zweifel groß sind.
Zuber wurde erwachsen, schloss die Schule ab, absolvierte eine Lehre als Werbekaufmann, gründete 2001 seine Animationsfirma Joerg Zuber Studio. Nebenher zeichnete er weiter Bilder von Noonoouri. Rund vier Jahrzehnte arbeitete der Unternehmer an der Figur.
Heute folgen rund eine halbe Million Menschen dem Instagram-Account @noonoouri. Darunter Stars wie Kim Kardashian und das Model Naomi Campbell. Zubers Firma übernimmt Aufträge von namhaften Kunden wie dem französischen Kosmetikkonzern L’Oréal, dem Autobauer BMW und dem Arbeitskleidungsspezialisten Engelbert Strauss. Wie hat er das geschafft?
Virtuelle Influencer gibt es kaum
Joerg Zuber hat sein Unternehmen 2001 in München gegründet. Er produziert mit 18 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen unter anderem Animationen und Werbefilme. Damals waren die Aufträge meist aufwendig produzierte Spots für das Fernsehen.
2010 geht Instagram live. Auf der Social-Media-Plattform wächst eine neue Form von Stars heran: Influencer. Frauen und Männer, die Bilder aus ihrem Leben teilen, die sich riesige Followerschaften aufbauen, die ihnen vertrauen – und die sich aufgrund dieses Vertrauens zu sehr wirksamen Werbeträgern für Firmen entwickeln. Die Leute kaufen, was sie empfehlen. Influencer-Marketing ist noch heute ein wachsender Markt. Das Statistikportal Statista schätzt für das Jahr 2025, dass die Ausgaben für Influencer-Werbung über 700 Millionen Euro betragen werden.
© André Kirsch für impulse Joerg Zuber, 49, hat die virtuelle Influencerin Noonoouri erfunden. Die Kunstfigur ist inzwischen wichtiger Teil seiner Münchner Kreativagentur Joerg Zuber Studio. Sie motiviert ihn und sein Team, neue Dinge auszuprobieren.
„In der Zeit, als so vor 15 Jahren die ganzen echten Influencer aufkamen, hatte ich die Idee, eine virtuelle Influencerin auf den Markt zu bringen“, erzählt Zuber. Es war die Gelegenheit, die Figur aus seinen Kinderträumen zum Leben zu erwecken. Damals heißt sie noch nicht Noonoouri. Auf den Namen ist Zuber erst später gekommen. Auch die Entwicklung dauerte noch einige Jahre.
Als das Zuber-Team 2018 die ersten Beiträge auf dem Profil von Noonoouri hochlädt, sind virtuelle Influencer noch eine Rarität. Heute gibt es viele. 2025 macht generative Künstliche Intelligenz es einfach, digitale Persönlichkeiten zu erschaffen. Manche von ihnen wie Shudu – laut Selbstbeschreibung das erste digitale Supermodel – sind von echten Menschen kaum zu unterscheiden. Andere sind Fantasiewesen wie Nobody Sausage – irgendwas zwischen Stock und wandelndem Würstchen, dem 7,7 Millionen Accounts bei Instagram folgen.
Auch einige Firmenmaskottchen, die früher mal echt waren, führen inzwischen ein Eigenleben im Virtuellen. Der Schimpanse „Charly“, mit dem das Modeunternehmen Trigema seit den 1990ern vor der Tagesschau geworben hat, trägt als KI-Avatar ein rosa Polohemd und wird im jüngsten Werbespot vom ehemaligen Tagesschau-Sprecher Jan Hofer als Fashion-Influencer anmoderiert.
Welchen Vorteil Kunstfiguren im Marketing haben
„Ein virtueller Influencer ist ein digital erschaffener Charakter, der nicht in der Realität existiert“, erklärt Claudia Franke vom Marktforschungsunternehmen Plan + Impuls in München. Sie hat das Marketing-Phänomen in ihrer Promotion erforscht. Franke grenzt aber Figuren von Avataren ab. Letztere sind virtuelle Abbilder eines real existierenden Menschen oder Tieres wie Charly.
„Für Unternehmen haben virtuelle Markenbotschafter viele Vorteile. Sie können zum Beispiel sehr schnell und einfach das Aussehen des Charakters an die Marke oder die Kampagne anpassen“, sagt die Wissenschaftlerin.
Wer eine eigene virtuelle Figur erschafft, hat logischerweise auch die volle Kontrolle über ihr Handeln und muss sich zum Beispiel nicht um Skandale im Privatleben des Firmen-Testimonials sorgen. „Flexibilität ist ein großes Stichwort. Man kann so einen virtuellen Influencer Tag und Nacht einsetzen“, erklärt Franke. Schließlich könne eine digitale Person gleichzeitig in Australien und Deutschland auftreten, ohne dass jemand in ein Flugzeug steigen muss. „Das spart auch Kosten.“
Noonoouri bekommt ersten Modelvertrag
Instagram-Post 10. Februar 2018: Noonoouri postet von Events weltweit. Ihren ersten großen Auftritt hat sie 2018 bei der Fashion Week in New York. Ein Beitrag zeigt sie auf dem Times Square. Sie trägt einen roten Kapuzenpulli mit weißen Punkten. Ein Bein kess angewinkelt, blickt sie über die Schulter in die Kamera. Eine typische Pose, die Influencer bei Modenschauen einnehmen. In der Beschreibung zum Beitrag steht schlicht „Inspiration Hunting“ (Jagd nach Inspiration).
„Wir haben sie quasi in die Bilder von der Fashion Week montiert. Das hat zu relativ hoher Aufmerksamkeit geführt“, erzählt Zuber über den ersten großen Aufschlag 2018. Das Supermodell Naomi Campbell habe damals geschrieben, erinnert sich Zuber, genauso wie der Designer Marc Jacobs.
Bald darauf kommt schon der erste bezahlte Auftrag für Noonoouri: Sie soll für zwei Tage den Instagram-Account des Luxuslabels Dior übernehmen und dort Bilder von sich in digitalen Dior-Kleidern veröffentlichen. Einen „Take over“ nennt man das in Influencer-Kreisen.
Die Posts dazu erstellt Zubers Firma. Für den Unternehmer ein riesiger Durchbruch. Denn die Modebranche schaut darauf, was die großen Labels machen. Noonoouri bekommt immer mehr Aufmerksamkeit. Die chinesische „Vogue“ hebt sie auf das Cover, und die Agentur IMG Models, die auch Stars wie Bella und Gigi Hadid vertritt, nimmt sie unter Vertrag.
Lange Suche nach Investoren
Hätte Joerg Zuber auf seine Zweifler gehört, wäre der Unternehmer mit Noonoouri vermutlich nicht so erfolgreich. 2010 suchte er nach Investoren für seine Idee. „Viele, denen ich von meiner Idee erzählt hatte, fanden das zwar interessant, aber sie konnten sich einen virtuellen Charakter nicht wirklich vorstellen“, erinnert er sich an die Reaktionen.
Der Unternehmer erlebt dabei zwei Arten von Zurückweisung: Die einen haben kein bisschen Interesse. „Das funktioniert nicht“ und „Das will keiner haben“, habe er oft gehört, erzählt der Unternehmer. Die anderen wollten Noonoouri verändern. „Die wollten sie kurviger machen, sexyer. So wie die Figur Lara Croft“, erinnert sich Zuber. Besagte Hauptprotagonistin einer Computerspielreihe und mehrerer Filme sucht in sehr kurzen Hosen nach Schätzen.
Zuber aber will keine sexy Figur erschaffen, sondern eine sympathische Persönlichkeit. Darum entscheidet er sich 2017, nach sieben Jahren Suche, die virtuelle Influencerin selbst zu finanzieren. Er nimmt dafür einen sechsstelligen Betrag in die Hand. Denn Noonoouris Erstellung ist aufwendig.
Anfangs dauerte es mehrere Tage, bis auf einem Foto alles montiert und retuschiert ist. Bis in einem Video alle Bewegungen saßen, vergingen sogar Wochen. „Wie geht sie? Wie blinzelt sie, wie bewegt sie ihren Kopf? Da musste man ja wirklich jede einzelne Bewegung festlegen“, so Zuber. Er stieg hierfür in einen Motion-Capture-Anzug, um ihre Bewegungen zu simulieren.
Der sieht aus wie ein verkabelter Taucheranzug und zeichnet die Bewegungen des Trägers auf, um sie digital abzubilden. Besonders Gesten, bei denen Noonoouri sich an den Kopf fassen soll, sehen schräg aus. Denn die Influencerin hat einen übergroßen Kopf, Zuber aber einen normalmenschengroßen. Das Team musste viel nacharbeiten.
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Instagram-Post 24. Februar 2022: Am Tag, als Russland die Ukraine angreift, postet Joerg Zubers Team ein Porträtfoto von Noonoouri in den ukrainischen Nationalfarben. Von der Stirn bis kurz unter die kleine Nase ist sie blau eingefärbt, darunter gelb. In der Caption zum Social-Media-Post steht ein kurzer Text gegen den Krieg, der mit den Worten „Praying for peace“ (Für Frieden beten) endet.
Zuber sieht Noonoouri nicht als reine Marketingfigur, die Produkte präsentiert. Er nennt sie einen „digitalen Charakter mit einer menschlichen Seele“. Wie wird eine Figur authentisch?
In Noonoouri steckt viel von Zubers Seele. „Ich würde sagen, wir haben zu 80 Prozent die gleichen Vorstellungen vom Leben. Sonst könnte ich das auch nicht mit so viel Leidenschaft und in der Intensität machen.“
Zuber lebt seit 15 Jahren vegan – auch seine virtuelle Influencerin lässt er auf tierische Produkte verzichten. Pelz würde sie niemals tragen, sagt Zuber. Wie Zuber interessiert sich Noonoouri für Mode und Kunst. Einen großen Charakterunterschied gebe es jedoch: „Sie ist extrem geduldig. Ich bin es nicht“, sagt Zuber. Auch optisch sind die beiden ein ungleiches Team: Er selbst ist hochgewachsen und durchtrainiert. Noonoouri sei ungefähr 1,50 Meter groß, erzählt Zuber. Die Figur ist zart gebaut.
Zuber möchte, dass Menschen Noonoouri niedlich finden und keine Angst vor ihr haben. „Sie ist immer noch die Idee eines kleinen Jungen, der die Welt verbessern will“, sagt Zuber und erzählt von seinem Kindheitstraum: Als Fünfjähriger habe er sich eine Art große Schwester gewünscht. „Ich war als Kind sehr introvertiert und konnte mich schwer mitteilen.“ Er wünschte sich eine Vertraute, die für ihn über seine Themen spricht und Gehör findet. „Als Fünfjähriger hat man schließlich nur begrenzte Möglichkeiten.“
Zuber erinnert sich bis heute an die Themen, die ihn als Jungen beschäftigt haben, zum Beispiel die Sorgen um die Abholzung des Regenwaldes oder um Kinder, die Hunger litten. Diese Schwester ist im Grunde jetzt Noonoouri.
Die Firma genießt internationales Ansehen
Doch lohnt sich der ganze Aufwand? „Wir stoßen manchmal an unsere Grenzen bei der Produktion von Noonoouri, weil alles sehr aufwendig ist, was wir tun“, erzählt Zuber. Sein Team arbeitet mit Künstlicher Intelligenz, um den Aufwand zu verringern. Rentabel sei Noonoouri noch nicht, sagt Joerg Zuber. Wie menschliche Influencer generiert sie Einnahmen, indem sie Werbung macht.
Ein Gewinn ist das Projekt trotzdem für seine Firma und für ihn als Unternehmer. „Sie war für mich schon immer ein Antrieb. Das mag komisch klingen, weil sie in meinem Kopf entstanden ist. Sie lebt durch mich, und ich werde durch sie motiviert“, sagt der Unternehmer. Er bezeichnet die Figur als seinen Fixstern, an dem er seine Arbeit ausrichtet.
Noonoouri bringt Zubers Animationsstudio viel Reputation, vor allem international. „Erfahrungen, die wir mit Noonoouri gewinnen, können wir auf andere Bereiche übertragen.“ Das motiviere auch sein Team, erzählt Zuber. „Sie nimmt bestimmt 40 Prozent der zur Verfügung stehenden Arbeitskraft ein“, schätzt der Unternehmer. Für ihn lohnt sich das dennoch, weil sein Team mit Noonoouri dazulernt.
Die Grafik- und Animationsprofis können an Noonoouri zum Beispiel testen, was sich mit KI beschleunigen, vereinfachen oder ganz anders machen lässt. „Die Technik, die wir mit ihr entwickeln und auch immer wieder weiterentwickeln, die lässt sich sehr schön auch auf andere Projekte übertragen“, sagt Joerg Zuber.
Noonoouri bekommt eine Stimme
Instagram-Post 31. August 2023: Noonoouri posiert, geht und tanzt. Doch sie spricht nicht – bis August 2023. „Watch me, hear me, feel me“ („Sieh mich an, hör mich, fühl mich“), sagt sie im Video, das mit verträumten Bildern in Rosa und Blau ihren ersten Song ankündigt. Das Lied heißt „Dominoes“, aufgenommen hat es die virtuelle Figur gemeinsam mit dem Berliner DJ Frans Zimmer, besser bekannt als „Alle Farben“. Im Musikvideo hat Noonoouri blaue Haare und tanzt durch ein digitales Dubai.
Das Label Warner Music habe Joerg Zuber kontaktiert, erzählt der Unternehmer. „Ich wurde gefragt, ob Noonoouri einen Song aufnehmen könnte, als sie noch gar keine Stimme hatte.“ Also entwickelte sein Team eine auf der Grundlage von Zubers Stimme.
Diese wird mit KI bearbeitet. „Noonoouri hört sich nicht zu 100 Prozent menschlich an, sondern sie hat immer noch diesen technischen Charakter drin.“ Der ist Zuber wichtig, denn Noonoouri soll keine Menschen ersetzen. Er achtet darauf, dass man seiner Kreation den digitalen Ursprung immer ansieht.
Spielzeugkonzern bringt Noonoouri als Barbie heraus
Den Schritt aus dem Digitalen heraus hat sie trotzdem geschafft. In Joerg Zubers Büro mitten in München steht eine Noonoouri-Barbie in einer Verpackung. Der amerikanische Spielzeugkonzern Mattel habe ihn mit der Idee kontaktiert, seine Schöpfung als limitierte Sonderedition herauszubringen.
„Das hat mich sehr berührt“, sagt Zuber. Denn als Junge stand er vor dem Regal mit den Puppen und bewunderte sie. „Ich dachte mir: Wow, das ist eine so tolle Figur und die hat so viel Energie und Power.“ Doch er habe sich nie getraut, seinen Wunsch nach einer Barbie zu äußern. Jungs spielten in Zubers Kindheit nicht mit den Puppen.
„Was ich durch Noonoouri gelernt habe, ist, wirklich meine Träume zu verfolgen“, sagt Zuber. Auch wenn es viele, viele Niederlagen gibt. „Man muss immer wieder aufstehen und sagen: Okay, in welche Richtung geht es nun weiter?“ Und das Träumen hört bei dem Unternehmer offensichtlich nicht auf.
Seit Joerg Zuber die Hologramm-Show der schwedischen Band ABBA in London gesehen hat, in der Avatare der vier Musiker auftreten, keimt in ihm ein neuer Plan: Er möchte Noonoouri auf eine Bühne bringen. Er könnte sie sich auch als Protagonistin in einem Videospiel vorstellen. „Es gibt noch so viel zu erzählen“, sagt der Unternehmer.
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