Die Normalisierung von Bitcoin als Finanzinstrument

Rein technisch gesehen ist Bitcoin wieder im Bärenmarkt: Die Kurse fallen deutlich über einen längeren Zeitraum. Wenn dem so wäre, wäre die letzte Rallye der kümmerlichste Bullenmarkt in der Geschichte von Bitcoin gewesen. Einiges spricht aber dafür, dass Bitcoin schlicht in eine neue Phase seiner Entwicklung eingetreten ist.

Mär 24, 2025 - 16:52
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Die Normalisierung von Bitcoin als Finanzinstrument

Rein technisch gesehen ist Bitcoin wieder im Bärenmarkt: Die Kurse fallen deutlich über einen längeren Zeitraum. Wenn dem so wäre, wäre die letzte Rallye der kümmerlichste Bullenmarkt in der Geschichte von Bitcoin gewesen. Einiges spricht aber dafür, dass Bitcoin schlicht in eine neue Phase seiner Entwicklung eingetreten ist.

Während Bitcoiner landauf, landab das Kursfeuerwerk Ende des letzten Jahres feierten, zeichnete sich durch sanfte Rücksetzer ab, dass 110.000 Dollar ein erster Höhepunkt gewesen ist. Für einige Zeit ließ sich das Kursgeschehen noch als Korrektur auf dem Weg zum echten Höhepunkt ansehen, was ja typischerweise auch vorkommt. Doch langsam wird es immer schwerer zu übersehen, dass sich der Markt gewendet hat.

Technisch gesehen sind wir in der Tat im Bärenmarkt. Dieser Begriff spielt darauf an, dass ein Bär mit seiner Tatze von oben nach unten schlägt, sein Opfer also niederwirft, während der Bulle es mit seinen Hörner aufwärts spießt und also anhebt. Von einem Bärenmarkt spricht man gewöhnlich, wenn der Kurs um 20 Prozent gefallen ist, ohne sich, wie bei einer Korrektur oder einem Dip, rasch zu erholen. Rein optisch trifft dies zu:

Bitcoin im 3-Monats-Charts nach tradingview.com.

Bitcoin bildete am 17. Dezember und am 21. Januar eine Doppel-Spitze, was schon für sich kein gutes Zeichen ist, da es einen starken Widerstand nach oben andeutet. Der anschließende Kursverlauf bestätigte diese Formation mit einem sich über mehrere Monate hinziehenden Abstieg. Bei einem (bisherigen) Tief von etwa 78.000 Dollar hat Bitcoin beinahe 30 Prozent von der Spitze verloren – womit die technischen Bedingungen für einen Bärenmarkt mehr als nur erfüllt sind.

Wenn dem so wäre, wenn die knapp 110.000 Dollar also die Spitze dieser Blase und dieses Zyklus gewesen wären, dann würde uns jetzt ein mehrjähriger Winter erwarten, in dem die Kurse, egal was passiert, sinken. Investoren verlieren das Vertrauen, professionelle Anleger arbeiten mit Wetten auf sinkende Kurse, die sich selbst bestätigen, und kleine Anstiege dienen den Holdern nur dazu, ihre Wallets zu leeren. Klassischerweise gehen die Preise in einem Bärenmarkt um rund 70 Prozent zurück, bevor sie einen stabilen Boden finden. Das Leiden hätte demnach erst begonnen, und wir müssten noch mehreren harten Einschlägen entgegenblicken, in denen, wie es so heißt, „Blut auf die Straße fließt“.

Insgesamt eine eher kümmerliche Rallye. Bitcoin-Kurs im 1-Jahres-Chart nach tradingview.com.

Darüber hinaus würde ein so rasches Ende des Bullenmarktes bei einem Preis, der die allgemeinen Erwartungen weit untertroffen hat, einige brenzlige Fragen aufwerfen. Etwa die, weshalb die Rallye, die bisher in jedem Halving-Zyklus ausbrach, so bescheiden blieb. Denn gewöhnlich treibt der Bullenmarkt die Bitcoin-Preise nicht nur, wie es die Definition verlangt, um zwanzig Prozent nach oben – sondern um mehrere 100 Prozent. Zwar zeichnete sich schon lange ab, dass sich diese Dynamik verlangsamt. Aber dass sie so rasch verebbt, überrascht dann doch.

Rein preislich gesehen wäre die vorzeitige Wende vom Bullen- zum Bärenmarkt das größte und wichtigste Ereignis in der Geschichte von Bitcoin. Es würde bedeuten, dass eine 15 Jahre lang solide eintretende Dynamik ihr Ende erreicht hat – und die Frage aufwerfen, was danach kommt.

Wir diskutieren im Folgenden einige Varianten, wie man das, was geschah, verstehen kann – und wie es von hier aus weitergehen kann.

Kein Bullen- und kein Bärenmarkt

PlanB, bekannt für ein mäßig erfolgreiches Modell, den Bitcoin-Kurs mithilfe der Stock-to-Flow-Theorie abzubilden, meint: „Es gab noch keinen echten Bullenmarkt … bisher. Kein Bullenmarkt = kein Bärenmarkt.“

Ein Stückweit könnte man dem folgen. Mit 110.000 Dollar hat Bitcoin das alte Top von etwas über 70.000 Dollar nicht einmal verdoppelt. Im Vergleich zu den bisherigen Bullenmärkten wirkt das, was derzeit zu sehen ist, weniger wie ein Top, sondern eher wie eine Startbahn. Der relativ kraftvolle Abprall bei etwa 78.000 Dollar, von wo aus Bitcoin schon jetzt wieder um fast 10.000 Dollar gestiegen ist, könnte dies bestätigen – der Markt war nicht im Bullenmodus, ist aber auch nicht im Bärenmodus. Daher fällt der Kurs nicht, wie im typischen Bärenmarkt, um mehr als 50 Prozent, sondern bildet früh einen Boden.

Ebenfalls nach tradingview.com.

Dieser Abstoß fügt sich hübsch in die 5-Jahres-Perspektive ein und führt einen Anstieg, der Ende 2023 bei einem Boden von rund 20.000 Dollar begann, konsequent fort. Der Ausbruch auf 110.000 Dollar wäre in dieser Sichtweise ein allzu euphorischer, verfrühter Ausraster nach oben gewesen, der seine verdiente Korrektur fand, bevor sich Bitcoin auf seinen tatsächlichen Marsch zur Spitze begibt.

Man könnte es mit dem Jahr 2013 vergleichen. In dieser Phase kletterte Bitcoin im Frühjahr auf rund 260 Dollar, fiel von dort aus kräftig, auf unter 100 Dollar, und stieg im November wieder stark an, um bei etwa 1.250 Dollar eine Spitze zu erreichen. Wenn man berücksichtigt, dass sich jedes exponentielle Wachstum im Lauf der Zeit abmildert, könnte sich diese Formation mit schwächeren Ausschlägen wiederholen.

Das wäre die bullische, optimistische Variante.

Das 4-Jahres-Schema ist gebrochen

Nichts wächst ewig, und vor allem nicht ewig exponentiell. Als Bitcoin „klein“ war, reichten einige Millionen, später einige Milliarden Dollar aus, um den Preis kräftig anzuheben. Diese Dynamik um ein knappes Gut führte zum aggressiven Wachstum des Kurses. Die „Reward-Äras“ nach den Halvings wurden zu den zeitlichen Koordinaten, die durch einen „Angebotsschock“, ähnlich der künstlichen Verknappung der Ölförderung, die Kurse in eine neue Region anhoben.

Je größer Bitcoin aber wird, desto geringer werden die Effekte des Angebotsschocks, während immer mehr Milliarden notwendig sind, um den Preis steigen zu lassen. Man sieht dies etwa an Michael Saylors schon verzweifelt wirkenden Versuchen, immer mehr Milliarden Dollar aufzutreiben, um den Preis durch immer mehr Bitcoin-Käufe … nicht steigen zu lassen.

In der Mathematik illustriert man dies durch die „logistische Funktion„. Während in der reinen Welt der Mathematik ewiges exponentielles Wachstum möglich ist, stößt es in der echten Welt, etwa der Zellteilung, der Ausbreitung von Viren oder dem Wachstum einer Population, an eine Grenze, weil Nährstoffe, Wirte, Platz und so weiter ausgehen. Die logistische Funktion modifiziert nun das exponentielle Wachstum durch Sättigungsprozesse, wodurch sich eine S-Kurve ergibt.

Anders gesagt: Bitcoin wäre zu einem (fast) normalen Finanzprodukt geworden. Anstatt wie bisher explosiv in 4-Jahres-Zyklen zu wachsen, wird sich der Bitcoin-Kurs eher wie Gold verhalten. Die Zeiten von 1000-prozentigen Gewinnen sind vorbei – was aber nicht bedeuten muss, dass Bitcoin, als ein knappes Gut und ein neuer Wertspeicher, nicht weiter an Wert zulegt. Nur eben nicht mehr in explosiven Ausbrüchen im 4-Jahres-Zyklus, sondern eher schritt- oder stufenweise, nicht mehr exponentiell, sondern linear.

Das ist die weniger bullische und langweilige, aber neutrale Variante.

Wenn der Regenbogen wieder fällt …

Der beliebteste Chart, um den Bitcoin-Kursverlauf abzubilden, ist weiterhin der Regenbogenchart. Und wie wir alle wissen, hat ein Bogen die Eigenschaft, nicht nur zu steigen – sondern auch zu fallen.

Kurse und Märkte sind, wie ihr ebenfalls wisst, Psychologie. So auch ein Wertspeicher. Nichts auf dieser Welt speichert Werte als physischen Prozess, so wie ein Messer physisch schneidet oder ein Farbstoff physisch färbt. Werte sind ein soziales, psychologisches Konstrukt, und das physische Kondensat, das Werte speichert, mag zwar durch gewisse Eigenschaften qualifiziert sein, ist aber letztlich immer das Produkt eines sozialen Konsens.

Der Regenbogenchart nach BlockchainCenter.net

Worauf beruht dieser soziale Konsens? Was wäre, wenn ein Teil des sozialen Konsens der Glaube an die 4-Jahres-Zyklen wäre? Der Glaube daran, dass Bitcoin immer weiter aufwärts explodieren wird? Und was, wenn diese psychologische Grundlage bricht, weil die 4-Jahres-Zyklen mit ihrem exponentiellen Wachstum gebrochen sind? Wenn nun eine Phase beginnt, in der immer mehr Holder ihre großen Gewinne auscashen, der Preis sukzessive fällt, leicht steigt, stärker fällt, wie eine tote Katze, die die Treppe hinunterfällt, bis jedem klar ist, dass Bitcoin eben KEIN Wertspeicher ist?

Das wäre die bärische, pessimistische Variante.

Was ist mit externen Faktoren?

Natürlich sind das drei idealtypische Szenarien, in denen Bitcoin allein aus Bitcoin lebt, der Preis allein aus dem Preis. In der Wirklichkeit ist alles sehr viel komplizierter. Bitcoin ist, gerade wenn er „erwachsen“ wurde und sich mit seinen speziellen Eigenschaften ins Finanzwesen integriert, mehr und mehr von externen Faktoren abhängig, anstatt, wie bisher, von inhärenten.

Hier könnte man die generelle wirtschaftliche Lage sehen, das allgemeine Vertrauen in Fiatwährungen und die auf ihnen aufbauenden Finanzprodukte, aber auch die Nachfrage nach krisensicheren, aber liquiden Wertspeichern und Zahlungsmitteln, und, vielleicht vor allem, die Zinspolitik der Zentralbanken und die weitere Geldpolitik, welche inflationäre und deflationäre Tendenzen schürt.

Nur zwei Beispiele: Wenn Trump bzw. Elon Musk nun den US-Staatsapparat radikal verkleinert, könnte das deflationär auf den Dollar wirken – während das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen, das die angehende Regierung Merz derzeit anpackt, inflationär wirken könnte. Darüber hinaus neigt eine Inflation, die auf dem Gütermarkt stattfindet, also bei gleichbleibender Geldmenge über verknappende Waren abläuft, eher dazu, dass die Nachfrage nach Bitcoin sinkt, während eine Inflation über das Geld, also eine Ausweitung der Geldmenge bei gleichbleibendem Warenangebot, den Bitcoin-Kurs eher anhebt.

Solche Faktoren kann und muss man berücksichtigen – und zwar gerade dann, wenn Bitcoin nicht mehr stur seinem 4-Jahres-Zyklus folgt. Die Normalisierung von Bitcoin als Finanzinstrument hat begonnen.