Clevere Militärtheorie: Antoine-Henri Jomini – die Ideen eines Generals von Napoleon bestimmen die Kämpfe in der Ukraine

Antoine-Henri Jomini galt als der bedeutendste Militärtheoretiker des 19. Jahrhunderts. Als junger Mann lernte er von Napoleon, dem größten Heerführer seiner Zeit. Seine Ideen, ein Schlachtfeld zu dominieren, finden sich heute in den Kämpfen in der Ukraine wieder.

Apr 30, 2025 - 12:54
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Clevere Militärtheorie: Antoine-Henri Jomini – die Ideen eines Generals von Napoleon bestimmen die Kämpfe in der Ukraine

Antoine-Henri Jomini galt als der bedeutendste Militärtheoretiker des 19. Jahrhunderts. Als junger Mann lernte er von Napoleon, dem größten Heerführer seiner Zeit. Seine Ideen, ein Schlachtfeld zu dominieren, finden sich heute in den Kämpfen in der Ukraine wieder.

Als junger Mann konnte Antoine-Henri Jomini in den Kreis um Marschall Ney gelangen. Der Mann, den Napoleon den "Tapfersten der Tapferen" nannte. Dann nahm er im Stab an der Kampagne Frankreichs gegen Preußen teil, erlebte die Doppelschlacht von Jena und Auerstedt und den Fall des Alten Preußens.

Später wechselte er in den Dienst des Zaren, damals nicht ungewöhnlich, sozusagen die Seiten zu wechseln, zumal er selbst kein Franzose, sondern Schweizer war. Antoine-Henri Jomini veröffentlichte mehr als 30 militärtheoretische Bücher, als Hauptwerk gilt die "Kunst des Krieges" ("Précis de l'art de la guerre"). In den folgenden Jahrzehnten entwickelte er sich zum führenden Militärtheoretiker des 19. Jahrhunderts. Jomini ist so bedeutend, dass sein Einfluss über Umwege überall zu spüren ist.

In Deutschland wurde er in seiner Bedeutung nie richtig wahrgenommen, hatte man hier doch Clausewitz. Unterschiedlicher konnten die beiden Zeitgenossen nicht sein: Clausewitz ist ein Philosoph des Krieges, der eher am Rande auf praktische Lösungen eingeht. Jominis Ansatz ist sehr viel pragmatischer, er verfasste keine Werke zum Sinnieren, sondern Lehrbücher, mit deren Hilfe die Militärs seinerzeit ihre Aufgaben erledigen sollten. Dazu gab es einen entscheidenden Unterschied: Clausewitz starb 1831 und blieb ein "Ein-Buch-Phänomen". Jomini lebte sehr lange, verbreitete seine Methode und er war nicht nur ein brillanter Militär, sondern auch ein ebensolcher Geschäftsmann.

Antoine-Henri Jomini erkannte die Bedeutung der Linien 

Eines von Jominis Konzepten beherrscht den Krieg der Ukraine: die Idee der Box, der Schachtel mit vier Seiten. Jomini betrachtete jeden Schauplatz eines Krieges als großes Feld. Und nun kommt das Besondere: Um das Feld zu beherrschen, muss es nicht besetzt werden, man muss nur dessen Begrenzungen beherrschen, lehrte er. Abgeleitet ist dieses Axiom aus einer Beobachtung Jominis aus der Napoleonischen Ära. Für ihn steht nicht die Schlacht im Vordergrund, sondern die Kampagne. In der Regel besetzen beide Kontrahenten bei Beginn der Feindseligkeiten zwei Linien. Bei Jomini können es  Flüsse, Bergketten, eine Reihe von Städten mit Straßenverbindungen sein. Seine bestechende Idee war ganz einfach: Man musste zu den beiden Linien, die man bereits hatte, nur versuchen, eine dritte unter Kontrolle zu bringen, dann war die Kampagne entschieden. Wer drei Linien beherrschte, dem fiel das Innere der Box zu.

Jominis Variante des Flankierens 

Und wieso? Jomini hatte als einer der Ersten systematisch die Bedeutung der Nachschublinien erkannt. Beherrschte der Gegner drei Seiten einer Box, dann bedrohte er unmittelbar die Nachschublinien des Gegners, die nur an einer Seite aus der Box herausführten. Gelangte man an den Linien in den Rücken des Gegners, musste dieser sich aus dem Terrain zurückziehen, die Box fiel einem dann in die Hand.

Antoine-Henri Jomini schrumpft auf taktisches Niveau 

Was bei Jomini der Rhein oder im amerikanischen Sezessionskrieg der Mississippi war, schrumpft in der Ukraine auf ein taktisches Level zusammen, auf Baumreihen, kleine Höhenzüge und Dörfer und Städtchen. Anstatt von Armeen mit zehntausenden Soldaten bewegen sich hier Bataillone und einzelne Sturmgruppen. Doch das Vorgehen bleibt vergleichbar. In der Regel gelingt den Russen ein Vormarsch, wenn sie den Gegner an drei Seiten umfasst haben. Starke, schwer einnehmbare Positionen werden so isoliert. Sie werden dann Tag für Tag schwächer. Etwa weil die Russen die einzige offene Seite der Box unter Feuer nehmen können. Und weil sie ihre eigenen Vorstöße von allen drei Seiten unterstützen können. Gemünzt auf die Ideen Jominis kann man sagen: Egal, was sich in der Box befindet, es wird schwächer und wertloser, wenn drei flankierende Seiten verloren gehen. Gewiss gehen die Russen nicht mit Jominis Kunst des Krieges in der Hand voran, doch es zeigt sich, wie richtig seine Erkenntnisse in die Kunst der Kampfführung auch heute noch sind.