Gesunde Ernährung: Nehmt das, Veganer!
Veganer und Fleischesser verachten einander, so eine neue Studie. Unsere Autorin fragt sich, was da los ist und wünscht sich die politischen Diskussionen ihrer Kindheit zurück.

Veganer und Fleischesser verachten einander, so eine neue Studie. Unsere Autorin fragt sich, was da los ist und wünscht sich die politischen Diskussionen ihrer Kindheit zurück.
Mein Vater hatte drei Brüder, mit denen er sich einmal im Monat zum Doppelkopfspielen traf. Es endete nie gut. Spätestens nach einer Runde begannen die vier Männer, deren Weltanschauung nicht unterschiedlicher hätte sein können, heftig über Politik zu streiten: Der Erstgeborene wählte CDU, sein Zwillingsbruder, mein Vater, war überzeugter Sozialdemokrat, der dritte Bruder war Kommunist und der vierte hing einer damals noch jungen Partei an, die keiner richtig ernst nahm. Sie nannten sich die Grünen.
In unserem Wohnzimmer wurde folglich über Bio-Anbau in der Landwirtschaft und Ohrwürmer als ökologische Schädlingsbekämpfungsmittel ebenso leidenschaftlich diskutiert wie über die Verstaatlichung von Banken oder die Stationierung von Pershing-II-Raketen. Nur über eine Sache stritten die Brüder nie: das Essen. Es gab immer irgendetwas mit Fleisch – Rouladen, Gulasch, Schnittchen mit westfälischem Knochenschinken, zubereitet und serviert, auch da gab es keinen Dissens, von meiner Mutter.
Fleischesser verachten Veganer – und umgekehrt
Mein Eindruck ist, dass es heute genau andersherum läuft: Nicht die unterschiedlichen politischen Weltanschauungen führen zu Streit in Familien oder unter Freunden, sondern die Frage, ob man Schnitzel oder Soja isst. Dazu passt das Ergebnis einer Studie der Robert-Bosch-Stiftung über Ernährung. Darin geben 42 Prozent der Leute an, sie fühlten sich wegen ihres Lebensstils übermäßig angegriffen. 42 Prozent! Übermässig angegriffen!
Habe ich etwas verpasst? Lebe ich in einer Oase des Friedens? Mir ist es jedenfalls noch nie passiert, dass ich im Supermarkt wegen der Grillwürstchen oder der Fenchelknolle im Einkaufskorb attackiert worden wäre.
Als die Forscher weiter nachfragten, machten die verschiedenen Gruppen aus ihrer Verachtung füreinander keinen Hehl: So gaben 61 Prozent der regelmäßigen Fleischesser an, "negative Gefühle" gegenüber Vegetariern und Veganern zu haben, umgekehrt sagten das sogar 70 Prozent. Ob jemand sein Abendbrot mit Rote-Bete-Apfel-Creme bestreicht oder mit Wurst belegt, ist eben nicht wurscht und schon gar keine Privatsache, wie man meinen sollte, sondern politisch höchst aufgeladen. "Viele Menschen fühlen sich von anderen Lebensstilen in Ernährungsfragen – zumindest subjektiv – herausgefordert und zur Selbstrechtfertigung angehalten", heißt es in der Studie.
Und alle verachten: Fast-Food-Fans
Einig waren sich die verschiedenen Gruppen übrigens dann doch bei einem Thema: 71 Prozent haben negative Gefühle gegenüber Menschen, die sich hauptsächlich von Fast Food ernähren. Das Herabblicken auf Pizza-Burger-Döner-Fans stiftet ein bisschen Frieden zwischen Fleisch- und Pflanzenessern.
Hinter den Feindseligkeiten verbergen sich massive gesellschaftliche Verschiebungen. War für meinen Vater und seine Brüder Fleisch noch "ein Stück Lebenskraft", so ein damaliger Werbeslogan, und ein Zeichen wachsenden Wohlstands, ist es heute auf allen Ebenen entzaubert: ernährungsphysiologisch, ökologisch, ethisch. Ein zu hoher Konsum vor allem von rotem Fleisch und Wurst, das belegen Studien, ist ein Risiko für die menschliche Gesundheit, er belastet die Umwelt, weil bei der Fleischerzeugung Treibhausgase anfallen und er führt zu katastrophalen Verstößen gegen das Tierwohl. Das wissen alle und genau das ist der Grund, warum sich die große Mehrheit der Fleischkonsumenten (zu denen auch ich zähle) ständig herausgefordert fühlt von der kleinen Minderheit der Vegetarier (11,6 Prozent der Bevölkerung) und der noch viel kleineren Minderheit der Veganer (2,2 Prozent).
62 Prozent kritisieren Politik als "unwirksam"
Ich glaube, was die Leute so nervt, ist, dass sie ihr persönliches Verhalten ändern sollen, was bekanntermaßen schwierig ist. Sich aber an den politischen Verhältnissen wenig ändert – beispielsweise an der Inflation und den hohen Preisen, an der massenhaften Verschwendung von Lebensmitteln, an den vielen zucker- fett- und salzhaltigen Produkten für Kinder.
Das sind die drei Top-Themen, bei denen sich die Befragten wünschen, dass die Politik Verantwortung übernimmt. Gleichzeitig haben sie wenig Vertrauen, dass das gelingen kann. 62 Prozent der Befragten sagen, bisherige politische Maßnahmen etwa für eine gesündere Ernährung für Kinder seien unwirksam.
Und so hinterlässt die Politik ein Vakuum, das zunehmend gefüllt wird mit der Beschämung und Beschimpfung persönlicher Lebensstile, das Private wird politisch, Identität ersetzt Weltanschauung.
Manchmal vermisse ich die Doppelkopfabende meines Vaters und seiner Brüder und ich frage mich, worüber sie heute wohl streiten würden. Bestimmt nicht über das Essen. Trotz ihrer unterschiedlichen politischen Ideale waren alle vier sehr naturverbunden und je älter sie wurden, desto gesünder ernährten sie sich. Mein Vater würde an den Doko-Abenden heute vermutlich Pellkartoffeln mit Kräuterquark zubereiten und seine Brüder sähen darin keinen Angriff auf ihre männliche Identität, sondern würden einfach herzhaft zulangen. Um danach laut und leidenschaftlich zu diskutieren. Über Politik.