Bundestagswahl, Berliner Bemerknisse und der nicht vorhandene Möglichkeitsraum für eine Lasagne
Wahl | Am Sonntagabend Hochrechnungen, am Montagmorgen amtliche Endergebnisse, eine erwartbare, aber wenig erfreuliche Angelegenheit. In unserem gesellschaftlichen Gleichgewicht hat sich etwas verschoben: In kleinen und großen Schritten sind Menschen nach rechts gegangen, bis sich die Bodenplatte unseres Zusammenhalts am Sonntag geneigt hat. Für viele von uns kommen nun Dinge ins Rutschen: für Menschen, die sich […] The post Bundestagswahl, Berliner Bemerknisse und der nicht vorhandene Möglichkeitsraum für eine Lasagne first appeared on Draußen nur Kännchen.

Wahl | Am Sonntagabend Hochrechnungen, am Montagmorgen amtliche Endergebnisse, eine erwartbare, aber wenig erfreuliche Angelegenheit. In unserem gesellschaftlichen Gleichgewicht hat sich etwas verschoben: In kleinen und großen Schritten sind Menschen nach rechts gegangen, bis sich die Bodenplatte unseres Zusammenhalts am Sonntag geneigt hat. Für viele von uns kommen nun Dinge ins Rutschen: für Menschen, die sich Fortschritt wünschen und um den gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen; für Menschen, die kein normkonservatives Lebensmodell pflegen und besonders für solche, die eine internationale Familiengeschichte haben.
Ich fühle mich ohnmächtig und wütend angesichts zwanzig Prozent Zustimmung für eine rechtsextreme Partei – und angesichts des Gedankens, nun vier Jahre lang von einem erzkonservativen und impulsgesteuerten Mann Ü70 regiert zu werden, der Mehrheiten mit Rechtsextremen forciert und der der Meinung ist, Menschen, die für Demokratie und Vielfalt demonstrieren, seien „Spinner“, die „nicht mehr alle Tassen im Schrank“ haben. Das wirkt auf mich wenig staatsmännisch beziehungsweiese: Das ist nicht der Staatsmann, von dem ich mich vertreten fühle.
Ich werde versuchen, die Dinge im Kleinen zu gestalten, hier in der Stadt. Nur so geht es.
Broterwerb | In der vergangenen Woche war ich in Berlin, um mit dem Leitungsteam einer Organisation zu arbeiten. Ich verbrachte drei Tage zwischen Karlshorst und Prenzlauer Berg, mit einem Abstecher nach Rummelsburg. Ich freue mich immer, in Berlin zu sein. Die Stadt ist nervenzehrend, gibt aber auch viel Energie.
Keine Lasagne | An einem der Abende suchte ich in Berlin etwas zu essen und fand eine Straße, in der es zwei Lokalitäten gab: ein kneipenähnliches Etablissement und eine Lokalität mit „Sushi“ im Namen. Ich entschied mich für Sushi und hatte auch schon die Karte in der Hand, als ich bemerkte, dass es seltsam roch. Als ich genauer hinsah, waren die Tische auch arg schmuddelig, alles im Raum war fahrig. Fahrigkeit und roher Fisch schienen mir keine gute Kombination. Ich ging wieder. Das war mir einerseits unangenehm, da ich ja schon gesessen und die Karte in der Hand hatte, andererseits war es weniger schlimm als eine Lebensmittelvergiftung.
Ich ging ins Kneipenrestaurant. Allerdings war mein Gehirn noch auf Sushi. Als gerade die Kellnerin an meinen Tisch trat, trug eine andere einen Teller mit einer großen Berg Salat und plattem Zeugs vorbei. Das sah gut aus.
“Das sieht gut aus. Was ist das?“, fragte ich.
„Dit is Lasagne. Die gibts zu Mittach. Jetz gibts die nich mehr.“ Ich fand die Lasasagne sehr real, in meinem Leben gab es sie eindeutig. Die Kellnerin kniff ihre Augen zu schmalen Schlitzen, ihr Kiefer zuckte leicht. Ein Gesicht, in dem sich kein Möglichkeitsraum für eine Lasagne befand.
Ich nahm allen Mut zusammen und fragte nach: „Sie meinen: Für mich gibts es keine Lasagne.“
„Dit is wohl so.“
„Dann nehme ich einen Flammkuchen.“
„Jeht doch.“
Bemerknisse | Weitere Beobachtungen:
In meinem Hotelzimmer befand sich ein antikes Fundstück, eine Pressomatic Valet, ein Hosenbügler auf Rollen. Ich zog ihn aus dem Schrank, steckte den Stecker in die Steckdosen, spannte meine Hose ein und wartete hoffnungsvoll. Ich bin immer bereit, neue Geräte auszuprobieren, besonders solche, die mir das Leben erleichtern. Leider wurde die Pressomatic nur lauwarm. Nichts wurde glatt. Ich schob sie enttäuscht zurück in den Schrank.

Auf der Fensterbank des Tagungsraumes lagen den ganzen Tag lang Ballettschläppchen. Niemand holte sie ab – im Gegensatz zum Becher, der irgendwann verschwand. Ich fragte mich, wer die Schlappen vermisst, ob es ein Kind ist oder ob es eher seine Eltern sind.
Möglicherweise ist das Kind nicht traurig, sie verloren zu haben. Möglicherweise hat es sie absichtlich vergessen. Möglicherweise vermisst es sie ganz doll und kann nun nicht mehr Ballett tanzen. Möglicherweise sind es lediglich Schulschlappen, gekauft für den Turnunterricht, Rolle vorwärts, Rolle rückwärts, Strecksprung, Bocksprung und Radschlag – der ganze Horror des Schulsports; wer möchte da nicht seine Turnschlappen verlieren. Möglicherweise ist das Kind ein guter Turner, eine gute Turnerin: endlich kein Ballsport mehr, endlich Handstand, Schwebebalken, Sprungrolle.

Möglicherweise sind es auch gar nicht die Turnschlappen eines Kindes, sondern gehören einer kleinen Frau, einer talentierten Frau, die sich nach ihrem Training einen Kaffee trank, jemanden traf, ein Schwätzchen hielt und daraufhin ihre Schlappen vergaß.
In der Nähe der Turnschlappen: eine Popkornditorei. Ein Laden, in dem es nur Popkorn gibt – Tahiti-Vanille, Trüffel Fleur de Sel, Piemonteser Haselnuss – und eine Stadt, in dem so viele Menschen Popkorn kaufen, dass ein Laden davon existieren kann: Sowas gibt es nur in Berlin.

Auf dem Rückweg ereilte mich der BVG-Streik: Am Donnerstagmorgen standen die Busse, Trams und U-Bahnen still. Ich packte mein Popkorn in den Koffer und zerrte ihn zweieinhalb Kilometer zur nächsten S-Bahn-Haltestelle, eine vierspurige Straße entlang, vorbei an freudig angemalten Hochhäusern, über Eisplatten und Splitt-Streu. Das war wenig erbaulich, aber immerhin hatte ich einen Spaziergang, bevor ich vier Stunden im Zug saß. Der Kaffee am Bahnhof schmeckte danach auch sehr gut.


Daheim angekommen, war es plötzlich sehr warm. In Berlin war ich bei minus sechs Grad losgelaufen, in Haltern war es am Nachmittag locker fünfzehn Grad wärmer.
Frühlingsboten | Am Wochenende geschahen drei Dinge: Der Nachbarstorch kehrte aus dem Süden zurück. Ich sah viele Krokusse und eine erste Biene. Ich putzte mein Fahrrad inklusive Kranz und Kette; jetzt knirscht nichts mehr.




Schweine | Es stellt sich Eintracht ein.

Wenn ich es mir recht überlege, haben die kleinen Schweine genau die richtige Größe für eine moderate Storchenmahlzeit.
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