Ayelet Fishbach: "Wir lernen aus Fehlern fast nichts"
Nein, sagt die amerikanische Psychologin Ayelet Fishbach. Aber sie weiß, wie wir schlechte Erfahrungen dennoch in etwas Positives verwandeln.

Nein, sagt die amerikanische Psychologin Ayelet Fishbach. Aber sie weiß, wie wir schlechte Erfahrungen dennoch in etwas Positives verwandeln.
BRIGITTE: Frau Fishbach, ich hatte immer mal wieder den Gedanken: So ganz kann es nicht stimmen, dass wir aus unseren Fehlern lernen. Etwa, wenn ich erneut in eine schwierige Liebesgeschichte gerutscht war, zum x-ten Mal einen Fehlkauf gemacht hatte …
Ayelet Fishbach: Da liegen Sie richtig! Wir lernen aus Fehlern fast nichts. Jedenfalls nie genug, um sie in Zukunft nicht zu wiederholen. Das Problem: Versagen liefert uns erstaunlich wenig konkrete Informationen darüber, was sich hier beim nächsten Mal besser machen ließe. Das Gehirn kann darum gar keine Lehre daraus ziehen.
Aber warum wird uns das vorgebetet – wenn es gar nicht zutrifft?
Das ist eine Beschwörungsformel, weil wir insgeheim wissen: Niemand zieht aus Fehltritten sinnvolle Konsequenzen. Aber wir wünschen uns, dass dem so wäre. Wir würden diese Formel nicht so mahnend aussprechen, wenn wir einen Fauxpas intuitiv in etwas Gutes umwandeln könnten.
Weshalb schreckt unser Gehirn denn vor Misserfolgen derart zurück?
Da spielen Gefühle eine große Rolle. Wir verknüpfen Misserfolge vor allem mit Scham. Um ihr zu entgehen, versuchen wir, das Erlebte wie eine lästige Fliege zu verscheuchen, wie einen blöden Fleck auszuwaschen. Kurz: Wir ertragen es einfach nicht, uns damit zu beschäftigen. Das bedroht unser Ego. Bloß: Setze ich mich mit einer Sache nicht auseinander, kann ich auch keinen Schluss daraus ziehen. Bis auf einen: Das will ich nicht noch mal erleben!
Trotzdem wiederholen wir als falsch Erkanntes – etwa den problematischen Umgang mit Geld.
Hier kommt die kognitive Ebene ins Spiel. Wir schämen uns nämlich nicht nur für unsere Fehler, unser Verstand begreift auch nicht, was genau schiefgelaufen ist. Unser Gehirn kann nicht gut zurückrechnen: An welcher Ecke sind wir falsch abgebogen, wo lag rückblickend der falsche Schritt? Es gibt da sehr eindrückliche Beispiele aus der Verhaltensforschung mit Tieren: Lebewesen lernen nicht über Bestrafung. Wenn Sie Ihrem Hund einen Klaps geben, weil er in die Wohnung gepinkelt hat, kann er nichts daraus ableiten. Viel effektiver wäre es, ihn zu belohnen, wenn er sich richtig verhalten hat. Bei Menschen ist das letztlich genauso.
Ich habe das Gefühl, unsere Gesellschaft lässt auch wenig Raum für Misserfolge.
Stimmt, insbesondere die westliche Kultur reagiert harsch auf Misserfolge. Wir gehen zu stark davon aus, dass die Dinge kontinuierlich besser werden. Was nicht realistisch ist. Trotzdem tendieren wir dazu, wenn etwas nicht so gut klappt, schnell hinzuwerfen – den Job, die Beziehung, eine Herausforderung. Weil wir zu sehr darauf gepolt sind, dass sich alles toll anfühlen muss. Aber viel wichtiger wäre zu überlegen: Was könnte ich hier noch ausprobieren, vielleicht anders machen, damit es am Ende doch zu einem befriedigenden Ergebnis führt?
Sie plädieren für einen gelasseneren Umgang mit unseren Fehlern.
Dazu müssten wir als Erstes viel mehr über sie sprechen, sie ans Licht holen. Weil sie dann nicht mehr heftig am Selbstwert nagen würden. Denn über Fehler sprechen zu dürfen, entlastet sehr. Aber es gibt einen fast noch wichtigeren Grund, warum wir unsere Missgeschicke teilen sollten: Wir lernen erstaunlich viel aus den Malheurs von anderen. Die tun uns nämlich nicht weh, sind aber großartiges Anschauungsmaterial.
Und wie können wir lernen, ohne Scheu auf die Misserfolge zu schauen, die wir selbst erlebt haben?
Zuerst sollten Sie herausfinden: Was hält Sie davon ab? Ist es Ihr Kopf, der nicht kompliziert um die Ecke denken will? Oder ist es Ihr Selbstbewusstsein, das keine Lust auf Niederlage hat? Bei Letzterem ist es sehr hilfreich, die miesen Gefühle, die hochkommen, auf Abstand zu halten. Toll ist da zum Beispiel eine Technik, die wir "distancing" nennen. Dazu müssen Sie Ihre Erfahrung in die einer neutralen Dritten umwandeln. Sie fragen dann etwa: "Warum ist Katja hier gescheitert?" Und nicht: "Warum ist mir das nicht gelungen?"
Ich stelle mir eine Person vor, die in einer ähnlichen Lage ist wie ich?
Genau. Was würden Sie ihr raten, damit sie es beim nächsten Mal besser hinkriegt? Bräuchte sie mehr Informationen, mehr Übung, sollte sie in Zukunft sachlicher agieren usw.? Wir haben herausgefunden, dass Probanden, wenn wir sie dazu aufforderten, sich in einen anderen Menschen hineinzudenken, der mit ähnlichen Problemen kämpfte, auf erstaunliche Lösungen kamen – die am Ende auch ihnen selbst halfen.
Noch mal zum Kopf, der keine Lust hat, zurückzurechnen und kluge Schlüsse aus dem Vergangenen zu ziehen. Gibt es da einen Trick?
Leider nein. Wir gehen einfach davon aus, dass eine Sache gut ausgeht. Wenn etwas schiefläuft, überrascht uns das, es macht uns konfus. Was dann überhaupt nicht hilft, ist, zu sagen: "Wie dumm!" Das demotiviert total. Lieber fragen: Wenn Lösung A nicht richtig war, könnte es dann vielleicht Option B sein? Wir müssen unseren Kopf zu einer Art Ausschlussverfahren anstiften.
Also einfach "Versuch und Irrtum" spielen?
Wir haben gerade etwas Spannendes herausgefunden: Wir forderten Probanden in einer Improvisation dazu auf, absichtlich eine negative Erfahrung zu machen. Sie sollten von Anfang an versuchen, etwas falsch zu machen. Hier passierte nun zweierlei: Weil die Teilnehmer sich anschließend unwohl fühlten, zum Beispiel, weil sie extra unbeholfen improvisiert hatten, wurde das gesteckte Ziel – eine nicht so gute Erfahrung machen – erreicht. Das war also schon mal ein Erfolg. Zum anderen aber fiel es den Teilnehmern anschließend viel leichter, smarter zu agieren. Ein guter Weg im Umgang mit Fehlern scheint also zu sein, nicht von vornherein zu sagen: Das muss jetzt zu hundert Prozent klappen.
Ich ertappe mich oft dabei, dass mir Fehler sehr peinlich sind: wenn ich mich geirrt habe, im Streit unsachlich war oder eine Sache nicht perfekt erledigt habe. Wie minimiere ich dieses unangenehme Gefühl?
Machen Sie solche Dinge in Zukunft extra falsch! Legen Sie es darauf an. Sie werden sehen: Sie werden nicht mehr so furchtbar streng mit Ihren Fehlern sein. Und außerdem viel gelassener nach positiven Alternativen suchen.