Vor der Wahl, nach der Wahl: Sch…egal!

Mega-Sonderschulden für Rüstung und eine Mogelpackung für Infrastruktur sollen noch vom „alten Parlament“ beschlossen werden, bevor sich ein neugewählter (und möglicher Unregelmäßigkeiten unverdächtiger) Bundestag konstituiert hat. Der Plan ist legal, aber dennoch skandalös. Deutlicher könnten die wohlklingenden Phrasen vom Kampf für „die Demokratie“ gar nicht als Heuchelei enttarnt werden. Ein Kommentar von Tobias Riegel.Weiterlesen

Mär 7, 2025 - 11:28
 0
Vor der Wahl, nach der Wahl: Sch…egal!

Mega-Sonderschulden für Rüstung und eine Mogelpackung für Infrastruktur sollen noch vom „alten Parlament“ beschlossen werden, bevor sich ein neugewählter (und möglicher Unregelmäßigkeiten unverdächtiger) Bundestag konstituiert hat. Der Plan ist legal, aber dennoch skandalös. Deutlicher könnten die wohlklingenden Phrasen vom Kampf für „die Demokratie“ gar nicht als Heuchelei enttarnt werden. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Der Bundestag soll über „die Sofortmaßnahmen” zu Rüstung, Infrastruktur und Schuldenbremse schon in der nächsten Woche abstimmen – „in seiner bisherigen Zusammensetzung“, wie Medien berichten. Dieses dreiste Vorhaben kommt noch zu anderen bedenklichen Aspekten der letzen Bundestagswahl hinzu: Da ist das extrem knappe Abschneiden des BSW und damit verbundene mutmaßliche Unregelmäßigkeiten, die dringend geklärt werden müssen. Da sind die laut der Initiative „Mehr Demokratie“ weit über sechs Millionen Stimmen (oder dreizehn Prozent), die wegen der Fünf-Prozent-Hürde außen vor bleiben – „Multipolar“ zitiert in diesem Artikel aus anderem Blickwinkel weitere Gedanken zur Legitimität der Praxis mit der Fünf-Prozent-Hürde. Dazu kommen die (trotz des offiziellen Kampfes „gegen Rechts“ erreichten) 20 Prozent der AfD, die wegen der „Brandmauer“ nicht „zählen“ dürfen. Und so weiter.

Den Inhalt der jetzt noch schnell zu beschließenden tiefgreifenden Maßnahmen hat Jens Berger bereits am Mittwoch im Artikel „Lügen und Blankoschecks“ analysiert:

Ein Erfolg wäre es, nicht die Rüstungsausgaben, sondern die Investitionen pauschal von der Schuldenbremse auszunehmen, und wenn es denn einen politischen Willen zur Hochrüstung gibt – das scheint ja leider so zu sein -, dann hätte die SPD zumindest diesen Teil nicht über einen Blankoscheck, sondern über ein klar definiertes Sondervermögen aus dem laufenden Haushalt ‚outsourcen’ sollen. Was man in den Sondierungsgesprächen gemacht hat, war das exakte Gegenteil.“

Beschlossen werden soll also zugespitzt ein Freibrief für extreme Aufrüstung und eine Mogelpackung für Infrastruktur – und wofür, warum, wogegen das alles? Die Gefahr des angeblich geplanten russischen Durchmarschs durch Europa wird von ihren Propheten nirgendwo – an keiner Stelle – konkret und nachvollziehbar untermauert. Die Zahlen der Militärbudgets sprechen eine völlig andere Sprache als die einer „Wehrlosigkeit“ gegenüber Russland, die EU-Militaristen hysterisch an die Wand malen. Die aktuelle Panikmache ist weitgehend konstruiert, ebenso der angebliche Zeitdruck, der gravierende Entscheidungen ohne die Chance einer kritischen Debatte möglich macht.

Unbekümmert vollzogene Dreistigkeit

Für die Phantome der „konkreten“, aber nirgends konkret mit Daten unterfütterten „Bedrohung“ werden bald Unsummen verbrannt werden -, die dann an anderen Stellen fehlen. Auch auf EU-Ebene ist das jetzt zu beobachten, wie André Tautenhahn in diesem Artikel beschrieben hat. Den massiven Skandal, dass für soziale Vorhaben nie Geld vorhanden ist, nun aber gigantische Beträge für Waffen mobilisiert werden, auch den muss man immer wieder betonen.

Man sollte aber auch nicht zu überrascht sein von dem entschlossenen Vorgehen, bei dem mit einer vorgezogenen Abstimmung das aktuelle Wahlergebnis ignoriert werden soll, laut dem AfD und LINKE eine Sperrminorität bilden könnten*. Und auch nicht von der 180-Grad-Wende der CDU bezüglich ihrer Wahlslogans zum Schuldenmachen, schließlich haben die Grünen vor nicht langer Zeit sogar noch Friedens-Phrasen benutzt, um sich zu verkaufen und zu tarnen. Aber das Maß von offen und unbekümmert vollzogener Dreistigkeit und Heuchelei ist in der Summe dann doch zunehmend überwältigend. Vonseiten etablierter Medien gibt es nur wenig Kritik an dem formalen Trick mit der Abstimmung durch den „alten“ Bundestag, das ZDF schildert die Rechtslage:

Ein politisch ungewöhnlicher Vorgang, der aber von der Verfassung gedeckt ist. Denn der neue Bundestag tritt gemäß Art. 39 Grundgesetz spätestens dreißig Tage nach der Wahl zusammen. Bis dahin, also bis zum 25. März, läuft die Wahlperiode des alten Bundestages, eine parlamentslose Zeit gibt es in Deutschland nicht.

Die AfD äußerte sich laut Medien kritisch zu dem Vorhaben, dass noch der alte Bundestag über die Pläne abstimmen soll. Dadurch werde der in der Bundestagswahl ausgedrückte Wählerwille „eindeutig missachtet“. Die Parteivorsitzenden der LINKEN kündigten eine rechtliche Überprüfung des Vorhabens von Union und SPD an. Stimmen aus der Bundespressekonferenz zu dieser Frage hat Florian Warweg in diesem Artikel gesammelt.

Die Praxis, sogar über ein so gravierendes Vorhaben noch durch den alten Bundestag abstimmen zu lassen, sei verfassungsrechtlich legal, heißt es nun (zutreffend) in zahlreichen Medien. Eine Verhöhnung der Wähler und des selber ausgerufenen Kampfes für „die Demokratie“ ist es meiner Meinung nach trotzdem. Damit wird indirekt auch ausgedrückt, dass die Bürger „falsch“ abgestimmt haben und dass dieser „Fehler“ von den „echten Demokraten“ jetzt noch schnell korrigiert werden „darf“.

*Aktualisierung 7.3.2025, 11:11: Diese Information wurde ergänzt.

Titelbild: diamant24 / Shutterstock