Trumps Regime nicht „Faschismus“ nennen ist Realitätsverweigerung

In einem Interview mit Jason Stanley konnte ein Zeit-Redakteur kürzlich nicht fassen, dass der US-Philosoph mit den Forschungsschwerpunkten Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie und Theorie des Faschismus, der jetzt wegen Trumps autoritärem Crackdown an Universitäten und deren Einknicken nach Kanada an die renommierte Munk School der Toronto University geht, wirklich sagte, dass das, was wir in den USA […] The post Trumps Regime nicht „Faschismus“ nennen ist Realitätsverweigerung appeared first on Volksverpetzer.

Apr 14, 2025 - 12:43
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Trumps Regime nicht „Faschismus“ nennen ist Realitätsverweigerung

In einem Interview mit Jason Stanley konnte ein Zeit-Redakteur kürzlich nicht fassen, dass der US-Philosoph mit den Forschungsschwerpunkten Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie und Theorie des Faschismus, der jetzt wegen Trumps autoritärem Crackdown an Universitäten und deren Einknicken nach Kanada an die renommierte Munk School der Toronto University geht, wirklich sagte, dass das, was wir in den USA gerade sehen, Faschismus ist. Auf die Frage, ob er in den USA von „faschistischen Zuständen“ sprechen würde, sagte Stanley:

„Ja, natürlich. Welche Begriffe sollen wir denn sonst verwenden? Faschismus ist nicht einfach ein Schimpfwort, sondern ein Konzept, das uns hilft, die Realität zu verstehen. Und was wir jetzt sehen – das ist Faschismus.“

„Die Faschismusdebatte ist vorbei.“

Der Zeit-Redakteur reagierte auf Stanleys Feststellung nicht mit einer Nachfrage, sondern mit einer Behauptung, solche Vergleiche führten oft eher zu Lärm als zu Erkenntnis. Stanley entgegnete einigermaßen fassungslos: 

„Die Faschismusdebatte ist vorbei. Die Professoren, die früher gezögert haben, diesen Begriff zu benutzen, haben längst aufgegeben. Der Historiker Samuel Moyn, ein Kollege von mir, hat kürzlich gesagt: ’Okay, das ist Faschismus.’ Der Politologe Cory Robin, einer meiner schärfsten Kritiker, hat in einem Interview zugegeben: ’Ich war skeptisch, aber das sieht aus wie Faschismus.’ Was soll ich noch sagen?“

Tatsächlich ist die Faschismus-Debatte unter den meisten Forscher*innen, die sich in den USA in den letzten Jahren an ihr beteiligt haben, weitgehend beigelegt. Sicher, Jürgen Habermas behauptet nach wie vor, es könne kein Faschismus sein – aber diejenigen, die in der US-internen Debatte darüber gestritten haben, erbittert gestritten mitunter – sind sich weitgehend einig – von Stanley über Snyder bis hin zu früheren Kritikern der Faschismus-These wie Corey Robin, Robert Paxton und Samuel Moyn

Der Historiker Roger Griffin wendete 2024 noch ein, dass Trump kein Faschist sei, weil er über keine „kohärente Ideologie“ verfüge. Die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl sagte zur Frage, ob Trump persönlich ein Faschist sei gegenüber dem Spiegel vor Kurzem, dass sie nicht wisse, ob Trump selbst an irgendetwas glaube – aber er sei durch eine „faschistische Dynamik“ an die Macht gekommen:

„Die „MAGA“-Bewegung (»Make America Great Again«) ist ideologisch und strukturell faschistisch. Genauso wie man Trumps Finanziers, die Unternehmer und PayPal-Gründer Peter Thiel und David Sacks, als ideologische Faschisten bezeichnen kann.“

Kurz: Diejenigen, die im amerikanischen Kontext an der Faschismus-Debatte beteiligt waren, sind sich trotz aller Unterschiede im Detail mittlerweile weitgehend einig: Es ist Faschismus. 

Realitätsverweigerung 

Doch bei einigen deutschen politischen Beobachtern – und Talkshow-Gästen – hält sich die Realitätsverweigerung hartnäckig. In der Süddeutschen konnte man jüngst aus der Feder des ehemaligen Feuilleton-Chefs Andrian Kreye lesen, dass der Rechtsextremismus der Trump-Regierung politisch neutral sei. Er schrieb: „Fremdenhass und das Spiel mit dem Rechtsradikalismus sind aber auch ideologieferne Hebel für die populistische Mobilisierung eines wahlentscheidenden Teils der Bevölkerung.“

Inwiefern Rechtsextremismus „ideologiefern“ sein soll, wird nicht erklärt. Aber der Autor sieht selbst in waschechten Nazi-Gesten von Musk bis Bannon kein Zeichen für die Rückkehr des Faschismus: „Die Koketterie mit dem Nazismus ist keine Wiederbelebung des Faschismus, sie signalisiert lediglich, dass die Regeln des Liberalismus nicht mehr gelten, der das Fundament ebenjener überholten Staatsform ist.“

Es könne kein Faschismus sein, so Kreye, weil die Anhänger Trumps keine „Uniform“ trügen – die roten Käppis zählen für ihn nicht, die seien nur „Merchandise“. Für Kreye ist es wohl erst Faschismus, wenn Uniformierte mit Fackeln marschieren – die Unite the Right”-Rally mit Fahnen und Fackeln 2017 in Charlottesville, eine Versammlung von Neonazis und White Nationalists, bei der ein Teilnehmer des Aufmarschs mit seinem Auto am Ende der Veranstaltung in eine Gruppe von Gegendemonstranten raste, 19 Menschen verletzte und eine Frau tötete, und bei der Trump „sehr gute Menschen auf beiden Seiten“ sah, muss ihm entgangen sein. Die Proud Boys und andere Milizen mit ihren Uniformen ebenfalls. 

Für manche Beobachter mag die Erkenntnis, dass Faschismus im Hier und Jetzt tatsächlich wieder existiert, unheimlich wirken – und wird deswegen gern als überzogen dargestellt. 

Was ist Faschismus?

Was ist eigentlich Faschismus? Es gibt nicht die eine Faschismus-Definition – das liegt daran, dass es nicht den einen historischen Faschismus gibt, sondern unterschiedliche Formen des Faschismus. Diese Definitionen unterscheiden sich deshalb in einigen Punkten voneinander, aber einige relevante Kriterien finden sich in allen gängigen Definitionen des Faschismus. Und sie treffen auch auf Donald Trumps MAGA-Koalition zu. Zeit für eine Liste, die im Zusammenhang mit den Vorgängen in den USA hilft, faschistisches Denken und eine faschistische Ideologie zu erkennen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die Beispiele sprechen für sich:

1. Politik von „Wir“ gegen „Die

  • Trump, 2018: „Radikale Demokraten wollen die Uhr zurückdrehen. Sie wollen die Herrschaft der korrupten, machthungrigen Globalisten wiederherstellen“ („Globalisten“ hat in diesem Zusammenhang eindeutige antisemitische Konnotationen – immer wieder von Trump & der GOP gebraucht, z.B. in einer Wahlkampf-E-Mail von 2023, wo von einem „linkradikalen, globalistischen Kabal“ die Rede ist).
  • Von White Supremacy geprägtes Weltbild.
  • wiederholte Verbreitung der rechtsextremen, antisemitischen Lüge und Verschwörungstheorie des „Great Replacements“ durch zahlreiche prominente Republikaner, mittlerweile Mainstream der Partei – eine Verschwörungstheorie, die mit diversen rechtsextremen Mass Shootings in Verbindung gebracht wird.

2. Lust an Gewalt gegen „die anderen“

  • Das Propaganda-Video zur Dokumentation des illegalen Kidnappings von mehr als 200 Venezolanern aus den USA in ein brutales Arbeitslager nach El Salvador, das für seine Menschenrechtsverletzungen bekannt ist. Nach aktuellen Informationen haben90% der Männer, die in den El Salvadorianischen Gulag geschickt wurden, keine Vorstrafen in den USA.
  • Das Video von Trumps Heimatschutzministerin Kristi Noems in El Salvador vor einem Käfig mit aus den USA abgeschobenen Gefangenen mit nackten Oberkörpern. Dieses Video könnte gegen die Genfer Konvention verstoßen haben, schreibt das konservativ geprägte Never-Trump Medium „The Bulwark“ – eine Ansicht, die der pensionierte Vize-Admiral der Navy, Mike Franken, teilte. Franken ist Demokrat, ehemaliger Leiter der Defense POW/MIA Accounting Agency (einer Dienststelle des Verteidigungsministeriums, die vermisste Soldat*innen sucht) und hatte unter Obama und Trump gedient.

MAGA-Fans behaupteten, dass ein Verstoß gegen die ersten drei Genfer Abkommen, die sich mit Militärangehörigen beschäftigen, nicht vorliegen könne, da sich die USA nicht im Kriegszustand befänden und die Gefangenen in El Salvador keine Kriegsgefangenen seien – obwohl Trump den Alien Enemies Act für die Deportation angewandt hat, der nur im Kriegszustand gilt. Abgesehen davon wandte Franken ein, dass sich Artikel 27 der 4. Genfer Konvention mit zivilen Gefangenen beschäftige – und dass auch dieser deren Aussetzung „Schmähungen und öffentlicher Neugierde verbiete.

3. Entmenschlichung von Gruppen, die als Sündenböcke dienen

  • Video von in Ketten gelegten Menschen: „ASMR: Illegal Alien Deportation Flight“ durch das Weiße Haus
  • Groomer“- Lüge, d.h. die Unterstellung von Pädophilie und des sexuellen Missbrauchs von Kindern gegenüber LGBTQ Menschen.
  • Trumps Beschimpfung von politischen Gegner*innen und Demokrat*innen als „linksradikale Verbrecher“, die „wie Ungeziefer leben“.
  • Trumps Äußerung: Menschen, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in den USA aufhielten, seien „keine Menschen“, sondern “Tiere“.
  • Trump 2024 über Migrant*innen: „Sie vergiften das Blut unseres Landes. […] Jetzt kommen sie in unser Land.“

4. „Praxis der Gewalt“ (Paxton)

  • gewaltsame Trennung von Eltern und Kindern an der US-mexikanischen Grenze während Trumps erster Amtszeit. Bis heute konnten nicht alle Kinder wieder mit ihren Eltern zusammen gebracht werden – mehr als 1300 Kinder sind noch immer von ihren Eltern getrennt.
  • Trumps wiederholtes Lob für politische Gewalt und seine wiederholte Bewerbung politischer Gewalt.
  • Der Sturm auf das Kapitol.
  • Die Begnadigung der rechtskräftig verurteilten Angreifer, darunter Anhänger bewaffneter Milizen und das davon ausgehende Signal: Politische Gewalt im Namen Trumps bleibt folgenlos, wird womöglich gar belohnt (Trump hat Entschädigungszahlungen an die Angreifer ins Spiel gebracht).
  • NPR fand Ende 2024 mehr als 100 Zitate Trumps, in denen er forderte, dass seine politischen Gegner strafrechtlich verfolgt und inhaftiert werden sollen, oder in denen er Gewaltanwendung gegen sie suggerierte. Er hat auf Truth Social Posts geteilt, in denen dazu gefordert wird, z.B. Liz Cheney und Barack Obama vor Militärtribunale zu stellen.
  • Festnahmen von Menschen ohne criminal record, d.h. ohne Haftbefehl, und deren illegale „Deportation“ ohne rechtsstaatliches Verfahren in einen Gulag in einem Drittland.
  • Hinwegsetzen über Gerichtsurteile.

5. Aggressiver Ultranationalismus:

  • Trump, 2025: „Die Vereinigten Staaten werden sich wieder als eine wachsende Nation betrachten, eine Nation, die ihren Wohlstand vermehrt, ihr Territorium ausdehnt, ihre Städte aufbaut, ihre Erwartungen erhöht und ihre Flagge zu neuen und schönen Horizonten trägt.“
  • Amtsantrittsrede 2025: „Jede Nation wird uns beneiden. […] Unsere Souveränität wird zurückgewonnen werden. Unsere Sicherheit wird wiederhergestellt werden. Die Waage der Gerechtigkeit wird wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. […] Und unsere oberste Priorität wird es sein, eine Nation zu schaffen, die stolz, wohlhabend und frei ist. Amerika wird bald größer, stärker und weitaus außergewöhnlicher sein als je zuvor […] Amerika wird seinen rechtmäßigen Platz als die größte, mächtigste und angesehenste Nation der Welt zurückerobern und die ganze Welt in Ehrfurcht und Bewunderung versetzen.“
  • Trump, 2018: „Radikale Demokraten wollen die Uhr zurückdrehen. Sie wollen die Herrschaft der korrupten, machthungrigen Globalisten wiederherstellen.“
  • Trump, 2018: „Wir sollen dieses Wort nicht benutzen. Wisst ihr, was ich bin? Ich bin ein Nationalist, ok? Ich bin ein Nationalist. Nationalist! Benutzt dieses Wort! Benutzt dieses Wort!“

6. Narrativ des „Feindes im Innern“:

  • Trump während des Wahlkampfs 2024: „Wir haben den äußeren Feind und den Feind im Inneren. Und der innere Feind ist meiner Meinung nach gefährlicher als China, Russland und all diese Länder, denn wenn man einen klugen Präsidenten hat, kann er mit ihnen umgehen.“ (eines von zahlreichen Beispielen)
  • Trump (s.o.): „Ich denke, das größere Problem ist der Feind im Inneren. Wir haben einige sehr schlechte Menschen. Wir haben einige kranke Menschen, linksradikale Verrückte. […] und es sollte sehr leicht zu handhaben sein, wenn nötig, durch die Nationalgarde, oder wenn wirklich notwendig, durch das Militär, weil sie nicht zulassen können, dass das passiert.“

7. Rückbesinnung auf ein mythisches “goldenes Zeitalter”:

  • Make America Great Again“: Mit diesem von Reagans Wahlkampfmotto von 1980 „Let’s Make America Great Again“ inspirierten Slogan beschwor Trump schon im Wahlkampf 2016 ein Bild von vergangener Größe, die wiederhergestellt werden müsse.
  • Versprechen eines neuen „Golden Age”, in dem die USA wieder “re-industrialisiert“ werden – und in dem von der amerikanischen Rechten als „natürlich“ empfundene Hierarchien wiederhergestellt werden – zwischen Mann und Frau, sowie zwischen races – ein Ende der pluralistischen, multi-ethnischen Gesellschaft. Trumps Regierung wettert per Executive Order, gegen eine Ausstellung im Smithsonian, die race als „soziales“, nicht als „biologisches“ Konstrukt bezeichnet.
  • ahistoriche, vermeintlich glorreiche Geschichte des Landes ohne Sklaverei und die brutale Unterdrückung und Entrechtung marginalisierter Gruppen.
  • anti-DEI“ (Diversity, Equity & Inclusion) – Versuch eines Re-Segregationsprogramms.

8. Führerprinzip:

  • J.D. Vances Äußerungen über Trumps imperiale Absichten in Grönland, man müsse sich nach dem “Begehren des Präsidenten“ richten.
  • Die komplette Ausrichtung der GOP auf den Willen von Donald Trump.
  • Trump, 2024: “Ich bin euer Kämpfer. Ich bin eure Gerechtigkeit. Und für diejenigen, denen Unrecht getan und die verraten wurden, bin ich eure Vergeltung. Ich bin eure Vergeltung.“
  • Trumps Inszenierung seiner Selbst als König/Alleinherrscher.
  • Trump postet 2025 dasselbe apokryphe Napoleon-Zitat, das auch der rechtsextreme Massenmörder Anders Breivik in seinem Manifest nannte: „Wer sein Land rettet, verletzt kein Gesetz!“

9. völkisches Denken:

  • J.D. Vance’sBlut und Boden„-Nationalismus.
  • Idee von einem “amerikanischen Volk” auf der Grundlage eines Weißen, christlichen Nationalismus.
  • Trump als Vollstrecker eines amorphen Volkswillens – auch über Gerichtsurteile hinweg, wenn die diesem „Willen zuwiderlaufen (siehe diese wiederholten Äußerungen von J.D. Vance und „Grenz-Zar“ Tom Homan).
  • Trump behauptet 2023 und 2024, Migrant*innen würden “das Blut unseres Landes” „vergiften“: „Sie vergiften unser Land. Sie vergiften das Blut unseres Landes. Sie kommen aus der ganzen Welt. Sie kommen aus Gefängnissen. Sie kommen aus Irrenhäusern und Irrenanstalten. Es sind Terroristen. Das vergiftet auf jeden Fall unser Land. Das vergiftet das Blut unseres Landes. Und das ist es, was passiert.”

10. Chauvinismus, Misogynie

  • “Grab them by the Pussy” (misogyner 1. Wahlkampf)
  • zahlreiche Vorwürfe sexueller Gewalt
  • extrem misogyner Wahlkampf 2024
  • Durch die Besetzung des Obersten Gerichtshofs entsprechend Trumps Wahlkampfversprechen mit extrem konservativen Abtreibungsgegner*innen kam es im Juni 2022 mit dem Urteil im Fall Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization zum Ende des Rechts von Frauen auf Schwangerschaftsabbrüche, zahlreiche Bundesstaaten ließen Abtreibungsverbote in Kraft treten, die zuvor durch das Grundsatzurteil im Fall Roe v. Wade von 1973 blockiert waren.

11. Palingenese – Wiederaufstieg nach einem (herbeigeführten Kollaps)

  • aktives Crashen der Wirtschaft durch Trump & Co
  • Steve Bannon – beeinflusst vom faschistischen Vordenker Julius Evola, Fokus auf Vorstellung von Kollaps, aus dessen Ruinen eine neue Welt erstehen soll
  • “zyklisches Weltbild” – Zivilisation am Rande des Kollaps – findet sich auch beim rechtsextremen Diktatur-Fan Curtis Yarvin (mit guten Verbindungen zu J.D. Vance)  

Umberto Eco’s “Ur-Faschismus” 

Schaut man sich die Situation und die Diskussion in den USA an, erinnert man sich schnell an Umberto Ecos Essay von 1995, in dem er sich mit dem “Ur-Faschismus” auseinandergesetzt hat. „Der Ur-Faschismus ist immer noch um uns, manchmal in gutbürgerlich-ziviler Kleidung“, schrieb Umberto Eco dazu warnend. 

Seine 14 Merkmale des “Ur-Faschismus” kommen uns heute mit Blick auf die “MAGA” Bewegung bekannt vor:

  • “Kult der Überlieferung“ – Traditionalismus.
  • “Ablehnung der Moderne“.
  • “Kult der Aktion um der Aktion willen“ – Irrationalismus.
  • “Dissens“ ist “Verrat”.
  • “Angst vor dem Andersartigen“.
  • “Appell an die frustrierten Mittelklassen”.
  • Nationalismus, “Obsession der Verschwörung”, “Appell an die Fremdenfeindlichkeit”.
  • Feinde sind zugleich zu schwach und zu stark.
  • “Leben für den Kampf”, “Armageddon-Komplex”.
  • “Verachtung der Schwachen”, “völkisches Elitendenken”.
  • Erziehung zum “Heldentum“, Heroismus, Todeskult.
  • “Machismo“.
  • “selektiver oder qualitativer Populismus”.

“Für den Ur-Faschismus […] haben Individuen als Individuen keinerlei Rechte”

In seinem Essay betont Eco dabei besonders die Abwertung des Individuums im Faschismus: “Für den Ur-Faschismus […] haben Individuen als Individuen keinerlei Rechte”. Stattdessen ist die Rede vom “Volksganzen”, als dessen “Interpret” der “Führer” fungiert. Das scheint nicht weit entfernt vom Selbstverständnis eines Präsidenten Trump, der sich als Interpret eines amorphen Volkswillens – den er mit dem Willen seiner MAGA-Basis gleichsetzt – sieht. Auch Verachtung gegenüber der Demokratie, die auch Eco als ein Merkmal des Ur-Faschismus nennt, ist in der US-Rechten vorhanden: So erklärt sich, dass es kaum Gegenwehr auf Republikanischer Seite bei den Angriffen von Musk und Vance auf den administrativen Staat gibt.

Selbst der Orwell’sche “Newspeak”, jene einfache Sprache, das kritische Denken unterdrücken soll, von der Eco als weiterem Merkmal spricht, lässt sich in Listen von Wörtern erkennen, die von der Trump Regierung in offiziellen Dokumenten und Behördenkommunikation verboten wurden: “Diversität”, “Klimakrise”, “Rassismus”, “Frau” und Hunderte andere Wörter. Mit den Wörtern sollen auch die Themen verschwinden. Gleichzeitig behauptet die Regierung, sie verteidige die Meinungsfreiheit – während sie sie mit Füßen tritt. Behauptet, sie würde “Zensur” beenden – während sie sie durchsetzt. 

Und zur simplen Sprache, die Komplexität unmöglich machen soll: 2023 habe ich bei einer Konferenz der ”Moms for Liberty” in Philadelphia genau diese Strategie in Aktion erlebt. Die Aktivistinnen der Organisation, einer rechtsextremen Lobbygruppe, konnten dort zwischen den Hauptreden der Republikanischen Präsidentschaftsbewerber*innen lernen, wie man “in der Minderheit gewinnt”, und eine rechte Agenda durchsetzt, sobald man gewählt ist.

Im Workshop “Mastering the Spin: Effective Messaging Strategies” sagte uns Christian Ziegler, damals Vorsitzender der Florida GOP, dass Trump so erfolgreich sei, weil “keine großen Wörter” benutze – deswegen sollten die Aktivistinnen ebenfalls Wörter verwenden, die dem “Leselevel von Viert- und Fünftklässlern” entsprechen. 

Druck auf die Presse – und vorauseilender Gehorsam 

Der Kulturwissenschaftler Andreas Gehrlach wies 2024 auf die besondere Bedeutung der Medien für ein faschistisches Projekt hin: Er bewertete die Medien als 15. Merkmal zu den von Eco herausgestellten 14 Charakteristika des Ur-Faschismus. Dabei verwies er zunächst auf das Bedürfnis von Faschisten, in der freien Presse als Protagonisten aufzutreten. Sobald sie dann an der Macht seien, versuchten sie, die Presse gleichzuschalten oder zu zerstören. 

Auch hierzu passen Trumps diverse Angriffe auf die Presse – unter dem Label des “enemy of the people” (auch hier wieder der amorphe “Volkswille”, zu dessen angeblichem Sprachrohr sich Trump bzw. in seinem Namen seine Pressesprecherin Karoline Leavitt macht). Schon nach wenigen Monaten der neuen Präsidentschaft zeigt sich, dass sich auch die Medienlandschaft verändert: Neben einigen mutigen Ausnahmen sieht man vielerorts vorauseilenden Gehorsam: Große Medienhäuser wie ABC News und einflussreiche Anwaltskanzleien knicken unter dem Druck Trumps und seiner Verbündeten ein, in der Washington Post und New York Times bekommen Rechtsextreme glamouröse Foto-Shoots – die Normalisierung des Faschismus ist in vollem Gange. 

Ein besonderes Alarmzeichen: die versuchte Gleichschaltung der Universitäten

Mit Jason Stanley, Marci Shore und Timothy Snyder verlassen drei der wohl international bekanntesten US-Forschenden zu Faschismus und Autoritarismus die Universität Yale und das Land. Stanley geht, weil er es nicht erträgt, wie wenig Universitätsleitungen Trumps autoritärem Crackdown an den Universitäten entgegensetzen. Anstatt für ihre Studierenden und Mitarbeitenden einzustehen, beugten Elite-Unis das Knie vor Trump – in der Hoffnung, sie könnten so die Millionenzahlungen an Fördergeldern retten, die Trump ihnen – unter dem Vorwand, die Universitäten würden Antisemitismus tolerieren – für den Moment gestrichen hat. 

Doch der Fall der Columbia University zeigt, wie gefährlich die Situation ist: Nach dem Urteil ihres langjährigen Präsidenten (2002-2023) Lee Bollinger gleicht das Verhalten der Regierung einer “autoritären Übernahme”. Das Appeasement gegenüber der Trump-Regierung ist gescheitert: Die 400 Millionen Dollar Bundesmittel wurden trotzdem nicht freigegeben. Leo Terrell, Leiter der Regierungs-Taskforce zur Bekämpfung von Antisemitismus, der erst unlängst einen antisemitischen Post eines bekannten Neonazis geteilt hat, sagte, dass die Universität nach seiner Meinung und der des Justizministeriums nicht genug “aufgeräumt” habe –  weshalb die Gelder gesperrt blieben. 

Es wurde sogar noch schlimmer: Letzte Woche hat die Trump-Regierung “die gesamte Finanzierung der National Institutes of Health für Forschungsstipendien an der Columbia University eingefroren“ – in der Höhe von 250 Millionen Dollar. 

Auf die Frage des Spiegels, wieso sich bedeutende amerikanische Universitäten von der Trump-Regierung einschüchtern lassen, antwortete Jason Stanley trocken: “Tja, wie ist das nur möglich? Wie war es möglich, dass die deutschen Universitäten sich nach 1933 gleichschalten ließen?” 

Historikerin Marci Shore warnt: Trump will “faschistische Diktatur errichten”

Marci Shore warnte mir gegenüber per E-Mail, dass Trump plane, eine “faschistische Diktatur” zu errichten. In ihre Entscheidung und die ihres Ehemannes Timothy Snyder, die USA zu verlassen, seien auch persönliche Gründe mit eingeflossen, doch auch die politischen Umstände hätten eine Rolle gespielt: 

“Wie so oft im Leben lassen sich persönliche und politische Faktoren nicht so leicht voneinander trennen. Ich dachte immer wieder an meine Kinder und an die Lektion von 1933: Es ist besser, früher als später auszusteigen, bevor es zu spät ist.“

Sie nimmt in der E-Mail kein Blatt vor den Mund: Die “Warnzeichen“ dafür, dass Trump versuche, eine faschistische Diktatur zu errichten, seien “keineswegs subtil“. 

Allerdings hätten sich die Grenzen des Sagbaren schon in den Jahren zuvor allmählich verschoben. Bis zu den Wahlen 2024 seien die Amerikaner schon weit auf dem Weg der Normalisierung des Unnormalen gewesen. Shore listet eine ganze Reihe solcher Grenzverschiebungen auf, sie reichten von Vulgarität, Erniedrigung, Mobbing zu Rassismus und Frauenfeindlichkeit, die zur Normalisierung des Faschismus geführt hätten. Dabei zählt sie in ihrer Mail viele Beispiele auf:

“‘Lock her up!’ [Anm. d. Autorin: bezüglich Hillary Clinton], ‘Grab them by the Pussy’, ‘sehr gute Leute auf beiden Seiten’ bei der Kundgebung der weißen Rassisten in Charlottesville. Dann das Versäumnis, Trump für das Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft zu ziehen, Kinder, die vor Gewalt fliehen, ihren Eltern zu entreißen und sie in Käfige zu werfen; Amerikaner während der Pandemie dazu zu ermutigen, sich Bleichmittel zu injizieren; den Secretary of State von Georgia, Brad Raffensperger, unter Druck zu setzen, um das tatsächliche Wahlergebnis zu annullieren – ‘Ich will nur 11.780 Stimmen finden’; 

einen gewaltsamen Aufstand in der Hauptstadt anzuzetteln und einen Mob zu ermutigen, seinen Vizepräsidenten zu hängen – es gibt einen Grund, warum es einen freien Platz auf dem Präsidententicket gab, den J. D. Vance besetzen konnte. Und dann die verhängnisvolle Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, der mit von Trump ernannten Richtern besetzt ist und der dem Präsidenten weitgehende Immunität vor Strafverfolgung gewährt hat.”

“Angst kann leider, aber verständlicherweise, die Solidarität aushöhlen – und tut es oft auch.“

Shore klingt in ihrer E-Mail entmutigt – und als rechne sie mit dem Schlimmsten:

“Trotz des heldenhaften Einsatzes einiger Menschen in Washington, die ich sehr bewundere (ich kann hier unseren Senator für Connecticut, Chris Murphy, Cory Booker, Jasmine Crockett, Alexandria Ocasio-Cortez, Jamie Raskin und Bernie Sanders nennen), ist die Rechtsstaatlichkeit zusammengebrochen. Die Universitäten werden gleichgeschaltet. ICE (Immigration and Customs Enforcement) – oder maskierte Männer mit unklarer Identität – können auftauchen und tun dies derzeit auch, um ausländische Studenten abzuholen. Es ist unklar, wer als Nächstes ins Visier genommen wird, Willkür ist zum herrschenden Prinzip geworden – was zu einer Atmosphäre des zunehmenden Terrors beiträgt. Angst kann leider, aber verständlicherweise, die Solidarität aushöhlen – und tut es oft auch.”

Auf Nachfrage des Spiegels, was denn mit den berühmten “Checks und Balances” sei, erwiderte Jason Stanley, dass dieser Begriff den Blick auf die bis in die Gegenwart von Diskriminierung und Gewalt durchzogene Geschichte der USA verstelle – und gibt die Frage zurück: “Wie kann es sein, dass in Deutschland die AfD so erfolgreich ist? Ich dachte, die Bundesrepublik ist Weltmeister der Vergangenheitsbewältigung. Was glauben Sie, warum Deutschland für Elon Musk und den Vizepräsidenten J.D. Vance so wichtig ist, warum sie im Wahlkampf die AfD unterstützt haben?” Stanleys These: Weil wenn es gelinge, dass in Deutschland, dem Land, das seine Vergangenheit angeblich aufgearbeitet hat, der Faschismus wieder an die Macht kommen könne, dann könne das überall gelingen. 

Faschismus ist nicht automatisch gleichbedeutend mit einem faschistischen Staat – aber ein faschistischer Staat fällt nicht vom Himmel. Derzeit können wir live dabei zusehen, wie Donald Trump versucht, eine faschistische Diktatur zu errichten. Ob er damit Erfolg haben wird, ist noch nicht klar. Aber wir sollten uns nichts vormachen: Es ist Faschismus. 

Artikelbild: Joshua Sukoff

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