Staatsreform: „Die Bundesländer sollten für weniger Aufgaben zuständig sein“
Deutschland diskutiert über eine Staatsreform, auch dank zweier Ex-Minister. Dem Sozialunternehmer Philipp von der Wippel gehen deren Vorschläge nicht weit genug: Er fordert, die föderale Ordnung radikal zu überdenken

Deutschland diskutiert über eine Staatsreform, auch dank zweier Ex-Minister. Dem Sozialunternehmer Philipp von der Wippel gehen deren Vorschläge nicht weit genug: Er fordert, die föderale Ordnung radikal zu überdenken
Auf einmal ist Staatsreform ein Thema: Mit ihrem Auftritt in der vergangenen Woche hat die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ um die Ex-Minister Thomas de Maizière und Peer Steinbrück eine Diskussion um einen grundlegenden Umbau staatlicher Strukturen und Prozesse angestoßen. Nur wenige Tage zuvor hatte eine Initiative um den Sozialunternehmer Philipp von der Wippel (29) ebenfalls einen Aufruf „für eine mutige Staatsreform“ veröffentlicht. Von der Wippel ist Gründer der gemeinnützigen Organisation ProjectTogether und wurde von Capital als Teil der „40 unter 40“ ausgezeichnet. Im Interview erklärt er, was die verschiedenen Reforminitiativen miteinander zu tun haben – und wo seine Ideen über die von de Maizière und Steinbrück hinausgehen.
Herr von der Wippel, Die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ hat letzte Woche weitreichende Vorschläge für eine Staatsreform vorgelegt. Sie arbeiten mit Re:Form schon länger an ähnlichen Plänen. Wie blicken Sie auf die Vorschläge der „Elder Statesmen“?
PHILIPP VON DER WIPPEL: Ich begrüße das sehr, und wir sind im konstruktiven Austausch mit der Initiative. Einige der Elemente, die die Initiative vorgestellt hat, decken sich mit unseren Inhalten. Aber bei Re:Form geht es nicht nur darum, die Handlungsfähigkeit des Staates, wie er aktuell ist, wieder herzustellen, sondern es geht darum, ein neues Staatsverständnis zu entwickeln. Gerade den Föderalismus müssen wir neu denken.
Was müsste im Verhältnis von Bund und Ländern aus Ihrer Sicht neu justiert werden?
In einem neuen Föderalismus gehören die Kommunen in den Mittelpunkt. Sie sind in vielem das Herzstück der deutschen Demokratie und werden bislang im föderalen System benachteiligt. Der Föderalismus hat ja eigentlich das Ziel, die Aufgaben dort anzusiedeln, wo sie am besten erbracht werden können. Das ist aktuell aber nicht mehr der Fall. Wir müssen viele Aufgaben entweder auf die Bundesebene hochziehen oder nach unten auf die kommunale Ebene verlagern. Die Bundesländer würden weiterhin eine wichtige koordinierende Rolle haben, aber für weit weniger Aufgaben zuständig sein.
Zum Beispiel?
Schauen wir auf die Bildungspolitik: Das deutsche Bildungssystem produziert seit Jahrzehnten immer schlechtere Ergebnisse. Das liegt auch am föderalen Durcheinander. Mindestens Curricula oder Abschlüsse sollten bundeseinheitlich geregelt werden – niemand kann doch mehr nachvollziehen, warum das Abitur im Saarland anders aussieht als in Nordrhein-Westfalen. In anderen Bereichen der Schulpolitik, etwa was die Zusammensetzung der Klassen angeht, ist es sinnvoll, das viel dezentraler zu entscheiden. Ein anderes Beispiel: Klimaschutz. Die Ausbauziele bei erneuerbaren Energien gehören auf die Bundesebene. Klimaanpassung wiederum ist ein höchst lokales Thema – da sollten die Kommunen den Handlungsspielraum bekommen, um selbst über die passendsten Maßnahmen für die Anpassung zu entscheiden. Das Ziel kann man vorgeben, aber um den Weg dahin sollte es vor Ort gehen. Nötig wäre also eine grundsätzliche Neuverteilung der Aufgaben.
Was wären aus Ihrer Sicht die drängendsten Themen?
Das Thema Verwaltungsdigitalisierung ist ein gutes Beispiel: Da waren wir viel zu zaghaft, um die Sachen wirklich zu standardisieren. Es wurde zu viel auf Freiwilligkeit gesetzt – und wir haben als Resultat einen riesigen Flickenteppich, zumal alle Kommunen noch ihre eigenen IT-Dienstleister haben. Das ist ein typischer Fall, wo man jetzt wirklich mit Entschlossenheit die Dinge auf die Bundesebene ziehen sollte.
Welche Rolle bleibt den Bundesländern in Ihrem Modell?
Sie sollen eine gestaltende Rolle behalten, etwa um wie in Sachsen strategische Wirtschaftspolitik zu betreiben. Hier ist es gelungen, ein Ökosystem der Halbleiterindustrie in der Region erfolgreich zu entwickeln.
Warum sollten die Länder einen Machtverlust akzeptieren?
Viele Länder bekommen Druck aus ihren Kommunen, die mit dem Rücken zur Wand stehen. Ich glaube, dass in den Bundesländern durchaus ein Bewusstsein dafür da ist, dass die Aufgabenverteilung anders werden muss.
Dass es eine Neuverteilung der Zuständigkeiten braucht, findet sich aber in den Forderungen der Initiative Staatsreform. Wo gehen Ihre Vorschläge darüber hinaus?
Unsere Ideen zur Gesetzgebungsentwicklung gehen einen Schritt weiter. Dass wir da die umsetzenden und betroffenen Akteure stärker und früher einbinden müssen, ist inzwischen ja Konsens – siehe die bereits etablierten Praxischecks. Was aber spricht dagegen, Gesetze schon ein halbes Jahr früher in 30 Testkommunen oder fünf Landkreisen oder einem Bundesland auszurollen? So könnte man grobe Schnitzer im Vorfeld vermeiden. Ein anderer Punkt, bei dem wir weiter gehen: Wir finden, die Kommunen als der Ort, wo die Bürger den Staat erleben, sollten im föderalen Geflecht besser repräsentiert werden, zum Beispiel mit einem eigenen Vertreter in der Ministerpräsidentenkonferenz. Oder mit der Einrichtung einer eigenständigen föderalen Ebene für die Kommunen.
Sie haben in der Woche vor der Initiative Staatsreform einen eigenen Aufruf „für eine mutige Staatsreform“ veröffentlicht. Wie kam es dazu?
Wir haben Re:Form vor eineinhalb Jahren initiiert mit der Überzeugung, dass wir den Staat grundlegend reformieren müssen, um die Demokratie zu erhalten, indem wir sie verändern. Mit gut 130 Bürgermeistern, Landräten und Abteilungsleitern haben wir dann Vorschläge entwickelt, die wir jetzt mit der Politik diskutieren und mit denen wir auch Experimente machen. Der Aufruf, hinter dem eine breite Allianz steht, sollte ein Zeichen setzen – weil Staatsreform bislang häufig als technokratisches Thema abgetan und nicht als wichtiges Politikfeld anerkannt wurde. Das hat funktioniert, gemeinsam mit der anderen Initiative haben wir das Thema in die Mitte der Politik gebracht.
Die „andere Initiative“ hat einige Ideen von Ihnen übernommen.
Unsere Ideen sind Open Source, wir speisen unsere Vorschläge in viele unterschiedliche Kanäle ein. Unsere Herangehensweise ist dabei tatsächlich anders: Für uns ist die Praxis der Ausgangspunkt, also die Menschen, die in der Verwaltung arbeiten, auf allen Hierarchieebenen, von Sachbearbeitern bis Staatssekretären. Hier entstehen heute schon die Ideen für den Staat von morgen.
Fühlen Sie Ihre Arbeit ausreichend gewürdigt?
Es geht hier nicht um Eitelkeiten, es geht um Ergebnisse. Die Staatsreform ist ein Gesellschaftsprojekt. Hier sollten alle demokratischen Kräfte mit ihren jeweiligen Stärken zusammenarbeiten. Nur so können wir das schaffen.