Schwarz-Rot: „Wünsch Dir was“: Das sagen Ökonomen zum Koalitionsvertrag
Der Koalitionsvertrag von Union und SPD steht. Wie kommen die Pläne bei Deutschlands Top-Ökonomen an? Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer vermisst eine Rentenreform, andere einen echten Neustart in der Wirtschaftspolitik

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD steht. Wie kommen die Pläne bei Deutschlands Top-Ökonomen an? Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer vermisst eine Rentenreform, andere einen echten Neustart in der Wirtschaftspolitik
Top-Ökonomen sehen Licht und Schatten im Koalitionsvertrag von Union und SPD. „Bedauerlich ist, dass es diverse neue Ausgaben in den Koalitionsvertrag geschafft haben, die rein konsumtiv ausgerichtet sind“, sagte der Düsseldorfer Wirtschaftswissenschaftler Jens Südekum am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. Als Beispiele nannte er die Ausweitung der Mütterrente, die Subventionierung des Agrardiesels oder die Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie.
Diese Projekte kosteten etwa 8 Mrd. Euro im Kernhaushalt. „Hätte die Koalition hierauf verzichtet, wäre Raum für sofortige Entlastungen bei der Einkommen- und der Unternehmensteuer entstanden, die insgesamt stärkere Beiträge für die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum in Deutschland hätten liefern können“, sagte Südekum. Positiv seien die besseren Abschreibungsregeln, um gezielt Investitionen anzureizen. „Das ist ein wichtiges Signal“, sagte der Ökonom.
Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer begrüßte die rasche Einigung. „Das ist angesichts der weltwirtschaftlichen Entwicklungen richtig und wichtig“, sagte die Chefin der Wirtschaftsweisen. Die steuerlichen Entlastungen würden geringer ausfallen als von manchen erhofft. Turboabschreibungen seien sinnvoll, während das Abschaffen des nationalen Lieferkettengesetzes ein Signal für Bürokratieabbau setze.
Auch helfe die Einführung der Wochenarbeitszeit bei der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. „Was fehlt, ist die dringend erforderliche Rentenreform, um das Rentensystem finanzierbar zu halten“, sagte Schnitzer. „Stattdessen wird die absehbare finanzielle Schieflage des Rentensystems durch die Anhebung der Mütterrente und das Festhalten am Rentenniveau zementiert.“
DIW-Präsident Marcel Fratzscher kritisierte, der Koalitionsvertrag bleibe in vielen Bereichen ambitionslos. „Die Krisen und Bedrohungen für Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand in Deutschland könnten in den kommenden Jahren zunehmen“, sagte der Ökonom. Es bleibe zu hoffen, „dass Union und SPD dann schnell und pragmatisch genug reagieren werden, um Kurskorrekturen vorzunehmen“. Weitere vier Jahre mit einer zerstrittenen Bundesregierung und politischer Lähmung könne sich Deutschland nicht mehr leisten.
Risiko Finanzengpässe
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer bezeichnete den Verzicht auf Steuererhöhungen als positiv, während die Unternehmenssteuern mittelfristig etwas sinken sollen. Die Abschaffung des deutschen Lieferkettengesetzes werde den Betrieben ebenfalls helfen. Außerdem könnte es zu einer Beschleunigung von Infrastrukturvorhaben kommen, während die Stromkosten etwas sinken dürften. „Das alles geht in die richtige Richtung, aber es ist kein echter Neustart in der Wirtschaftspolitik, der mit Blick auf die seit Jahren erodierende Wettbewerbsfähigkeit notwendig wäre“, sagte Krämer.
ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski sieht in dem Wirtschaftsprogramm ein „Wünsch Dir was“. Positiv sei, „dass Deutschland gut zwei Monate nach der Wahl eine neue Regierung bekommt“, hob der Experte hervor. Die wirtschaftlichen Probleme scheinen auch erkannt worden zu sein. Bei den Lösungsansätzen habe man sich allerdings auf die bequeme Option geeinigt – etwa bei Strukturreformen, Subventionen und Investitionsanreize. „Die Gefahr ist groß, dass viele dieser Pläne in kürzester Zeit durch finanzielle Engpässe wieder einkassiert werden“, warnte Brzeski.
Die neue Regierung müsse nun ihre Pläne umsetzen, um die Wirtschaft vor größerem Schaden zu bewahren, forderte der Deutschland-Chefvolkswirt von Deutsche Bank Research, Robin Winkler. „Die beschlossenen Infrastrukturinvestitionen müssen schnellstmöglich auf den Weg gebracht werden, um den drohenden Handelsschock abzufedern und ein drittes Rezessionsjahr in Folge zu verhindern“, sagte Winkler. „Vor allem die geplante Reduzierung der Strompreise kann nicht schnell genug kommen.“