Minecraft-Studie: Allein oder gemeinsam? Wie wir am besten lernen, zeigt ein Spiel
Suche ich selbst eine Lösung, oder schaue ich auf andere? In einer Pixelwelt prüften Forschende, wie Menschen diese Entscheidung fällen – und welche Strategie zum Erfolg führt

Suche ich selbst eine Lösung, oder schaue ich auf andere? In einer Pixelwelt prüften Forschende, wie Menschen diese Entscheidung fällen – und welche Strategie zum Erfolg führt
Ein Erfolgsgeheimnis des Menschen ist seine Lernfähigkeit. Wir sind Meister darin, Informationen aus verschiedenen Quellen zu unserem eigenen Erkenntnisgewinn zu kombinieren. Mal knobeln wir dabei allein, mal schauen wir uns Fähigkeiten und Strategien von anderen ab. Doch wie wir soziale und selbstständige Herangehensweisen im Alltag kombinieren, darüber weiß die Forschung vergleichsweise wenig. Theorien zum individuellen Lernen "gehen in der Regel davon aus, dass Entscheidungsträger allein in einem Vakuum agieren, während Theorien des sozialen Lernens individuelle Lernmechanismen oft stark vereinfachen oder ganz ausklammern", schreiben Forschende aus Deutschland und den USA in einer aktuellen Studie, die nun in der Fachzeitschrift "Nature Communications" erschienen ist. Klar ist lediglich, dass ein erfolgreiches Team vom richtigen Verhältnis der Herangehensweisen profitiert: Es braucht Menschen, die neue Wege finden, und Menschen, die erfolgreichen Pionieren folgen.
Viel deutet darauf hin, dass wir auch als Individuen am erfolgreichsten sind, wenn wir gemeinsames und einsames Knobeln kombinieren. Die Forschenden schickten deshalb 128 Probanden in eine unbekannte Umgebung, in der sie anderen folgen oder allein Informationen beschaffen konnten. Das Team um Charley Wu von der Universität Tübingen wollte wissen: Nach welchen Kriterien entscheiden Menschen, welche der zwei Strategien sie einsetzen? Und mit welchem Erfolg?
Jagd nach virtuellen Schätzen
Um kontrollierte, aber lebensnahe Bedingungen zu schaffen, kreierten sie eine virtuelle Umgebung in dem Computerspiel "Minecraft". In der beliebten Pixelwelt kann man Gegenstände, Gebäude oder Landschaften aus bunten Würfeln bauen. Die Wissenschaftler aus Tübingen, Berlin, Potsdam und New York schickten die Teilnehmenden ihrer Studie auf die Jagd nach virtuellen Ressourcen. Um diese zu finden, mussten die Avatare Minecraft-Blöcke zerstören. Verbarg sich das Gesuchte darin, leuchteten blaue Farbklekse auf, die andere Spielerinnen und Spieler sehen konnten. Die Ressourcen waren je nach Spielmodus unterschiedlich verteilt, entweder in Clustern oder gleichmäßig auf dem gesamten Spielfeld. Nur im ersten Modus war es hilfreich, darauf zu achten, wo die Konkurrenz fündig wurde.
Auch die Konstellationen wechselten. Achtmal waren die Teilnehmenden allein auf dem Spielfeld – so konnten die Forschenden messen, wie sie sich verhielten, wenn sie völlig auf sich gestellt waren. Achtmal gingen sie in Vierergruppen auf Erkundungstour und konnten dabei in Echtzeit interagieren. Ziel war stets, die meisten Ressourcen für sich zu gewinnen. In der Studie mussten sich die Spielerinnen und Spieler fortlaufend entscheiden, erklärt Hauptautor Ralf Kurvers vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und der TU Berlin: "Folge ich meinem eigenen Instinkt und gehe allein auf die Suche, oder nutze ich soziale Informationen, indem ich den Spielern folge, die bereits etwas gefunden haben?"
Im Anschluss wurden Blickfeld, Bewegungen und Entscheidungen jedes Avatars über den gesamten Spielverlauf hinweg ausgewertet und in ein Rechenmodell gegossen. "Vereinfacht ausgedrückt, können wir nun vorhersagen, welchen Block ein Teilnehmer als Nächstes wählen wird, indem wir individuelle und soziale Lernstrategien in unserem Framework kombinieren“, erklärt Charley Wu von der Universität Tübingen.
Dabei bestätigte sich, dass Menschen in der Regel weder sture Einzelkämpfer noch reine Rudeltiere sind. Vielmehr wägen sie beständig ab, welche Strategie mehr Erfolg verspricht. Je flexibler die Teilnehmenden ihre Herangehensweise anpassen konnten, desto besser schnitten sie im Spiel ab. Die Erfolgreichsten wiederum zogen schnell eine Gefolgschaft an, die sich an ihrem Verhalten orientierte – selbst in jenem Spielmodus, in dem die Ressourcen gleichmäßig verteilt waren und die Funde anderer keinen Mehrwert lieferten. Womöglich fiel es den Erfolglosen auf diese Weise leichter, sich in neue Bereiche des Spielfelds vorzuwagen.
Eine Lernerfahrung machte auch das Autorenteam. Ursprünglich wollten die Wissenschaftler ihre Probanden mit VR-Headsets auf das Minecraft-Spielfeld schicken, um besonders realistische Bedingungen zu schaffen. Sie scheiterten jedoch an der Frage der virtuellen Fortbewegung. Steht der Spieler still, während sein Avatar läuft, kann das zu Schwindel und Übelkeit führen. Eine Lösung für dieses Problem ist, sich quer über das Spielfeld zu teleportieren. Doch das hatte in der Studie unnatürliche Bewegungsmuster zur Folge. Mit der Alternative, einem speziellen Laufband für VR-Anwendungen, kamen viele Probanden nicht klar. So blieb es am Ende beim Klassiker: einer Erkundungstour mit Maus und Tastatur.