Leistungsbewertung: Wie in der Schule: SAP verteilt „Kopfnoten“ für Mitarbeiter
Beim Softwarekonzern SAP zählt nicht nur die Leistung, sondern auch der Umgang mit Kollegen, Diskussionen und Feedback. Die neue Beurteilung ist umstritten, Arbeitspsychologen sehen aber nicht nur Nachteile

Beim Softwarekonzern SAP zählt nicht nur die Leistung, sondern auch der Umgang mit Kollegen, Diskussionen und Feedback. Die neue Beurteilung ist umstritten, Arbeitspsychologen sehen aber nicht nur Nachteile
SAP-Mitarbeiter werden von ihren Chefs nun auch nach ihrem Verhalten beurteilt. Nach jahrelangen internen Auseinandersetzungen hat der Softwarehersteller ein neues System zur Leistungsbewertung eingeführt, wie das „Handelsblatt“ berichtet. Zum einen wird demnach festgehalten, inwiefern ein Beschäftigter vereinbarte Ziele erreicht hat. Zum anderen erhalten Angestellte eine Art Kopfnote, also eine Beurteilung des Sozialverhaltens wie in der Schule: Wie geht er oder sie mit Kollegen sowie Feedback um, wie beteiligt sich jemand an Diskussionen? Drei Kategorien werden vergeben: blau für sogenannte Leistungsträger, grün für die Mehrheit, die die Erwartungen erfüllt und gelb, wenn der Arbeitgeber Verbesserungen verlangt.
Der Betriebsrat ist skeptisch, hat nach einigen Änderungen aber zugestimmt. Mitarbeitervertreter befürchten nach Informationen der Zeitung allerdings, dass die Verhaltensbewertung nicht objektiv ausfallen könnte, sondern etwa auch Sympathien eine Rolle spielen. Bei Uneinigkeit ist demnach ein Klärungsprozess vorgesehen, bei Bedarf inklusive eines unabhängigen Dritten. In den vergangenen Jahren hatte SAP auf klassische Leistungsbewertungen verzichtet.
Mangelnde Leistung kann auch an Strukturen liegen
Grundsätzlich ist Feedback laut Arbeitspsychologen wichtig. Entscheidend sei allerdings das Wie und das Ziel dahinter, erklärte Ludwig Andrione im Gespräch mit ntv.de bei Bekanntwerden der SAP-Pläne. Misstrauen und die Vorstellung vieler Arbeitgeber, Mitarbeiter seien faul, hält der Leiter der Sektion Wirtschaftspsychologie des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen für unangebracht. „Unterschätzt werden die Umgebungsvariablen.“
„Wir meinen, das Individuum muss sich ändern, zum Beispiel durch Workshops, aber vielleicht liegt mangelnde Leistung nicht an der Person“, erläuterte Andrione. Der Aufwand, Arbeitsbedingungen zu ändern, könne sich für Arbeitgeber lohnen. „Wem es gut geht, der arbeitet besser.“ Erreichen lässt sich das laut dem Wirtschaftspsychologen neben Feedback durch Wertschätzung, Vertrauen in die Mitarbeiter, gemeinsame Lösungsfindung und Qualifikation.
Bis zu einer Null-Bock-Haltung von Angestellten ist meist viel passiert. Selten habe sich jemand für eine Stelle beworben, um sich einen faulen Lenz zu machen. „Wer so eine Einstellung hat, wurde meist verprellt, zum Beispiel weil Versprechen nicht eingehalten wurden, die Unterstützung der Kollegen fehlt oder jemandem immer mehr aufgebürdet wird.“ Selbst jemand, der im Job alles gibt, trete dann irgendwann auf die Bremse. Das ist dem Psychologen zufolge im Grundsatz sogar richtig: „Man muss auf sich selbst achten.“
Männer überschätzen ihre Leistung eher
Psychologin Laura Klimecki, die Führungskräfte berät, findet ein Bewertungssystem trotzdem hilfreich – sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer, wie sie im Gespräch mit ntv.de erläutere. Denn Unternehmen könnten sich nur verbessern, wenn sie ihre Leistung messen. Auch für die Beschäftigten sei es „nur fair“, wenn Leistung bewertet wird. „Die schlimmste Bestrafung für gute Mitarbeiter ist, einen schlechten zu tolerieren. So demotiviere ich die, die sehr gut performen.“
Bei einer Bewertung handelt es sich laut der Unternehmensberaterin zunächst einmal um einen Abgleich zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Der kann nicht selten unangenehm ausfallen: „Viele Menschen überschätzen ihre eigene Leistung“, sagt Klimecki. Dabei zeigten sich Geschlechterunterschiede: „Tendenziell überschätzen Männer ihre eigene Leistung eher, während Frauen sie tendenziell unterschätzen.“
Doch auch Klimecki verweist auf die Arbeitsbedingungen. Zu viele Aufgaben beispielsweise können die Leistung schmälern: „Wenn ich die Leute überfordere, performen sie auch nicht.“ Ein anderer Grund für mangelnde Leistung: Zu viele Beschäftigte arbeiten an einem Projekt. So habe sich etwa gezeigt, dass sich Menschen weniger anstrengen, je mehr Kollegen am selben Projekt arbeiten. Gleichzeitig kann dies zu einem Gefühl der Überforderung beitragen, etwa weil jemand zu viele E-Mails in CC erhält.
Nicht nur SAP – Bewertungssysteme sind weit verbreitet
Andererseits kann sich auch herausstellen, dass ein Mitarbeiter inhaltlich überfordert ist. Dann sollte er oder sie in Klimeckis Augen eine Chance bekommen, sich weiterzuentwickeln, beispielsweise durch eine Weiterbildung.
Eine Art Notensystem ist nicht immer fair, doch nach Klimeckis Ansicht hilft es, erst einmal ein Gefühl für eine Situation zu bekommen und Problemfelder zu identifizieren. Ein standardisiertes System dürfte nicht die ideale Form sein, um Leistung zu steigern. Eine individuelle Bewertung würde allerdings deutlich mehr Zeit kosten - „die haben Unternehmen oft nicht.“ Ein Standardsystem sei ein guter Startpunkt.
SAP bildet dabei keine Ausnahme. Das Konzept stamme zwar aus dem vergangenen Jahrtausend, sei aber immer noch „absoluter Standard“, hatte Personalexperte Axel Hüttmann von der Managementberatung Undconsorten Capital gesagt. Ein Leistungssystem zwinge zu ehrlicher Kommunikation mit den Mitarbeitenden. „Früher haben Manager lange im stillen Kämmerlein diskutiert, wer befördert wird. Die Kriterien, an denen Leistung bemessen wurde, waren oft unklar. Eine Bewertung ist hingegen eindeutig, auch wenn sie manchmal schmerzhaft ist.“
Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen. Das Nachrichtenportal gehört wie Capital zu RTL Deutschland.