Koalitionsvertrag: Diese Migrationspläne werden nach hinten losgehen

Gestern haben Union und SPD ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Die dort festgehaltenen Pläne zur Migration haben einen blauen Anstrich. Die AfD muss gar nicht mitregieren, Schwarz-Rot übernimmt ihre zuwanderungsfeindlichen Narrative trotzdem und will sie in die Tat umsetzen. Dabei merkt nicht mal die SPD, dass ein immer weiterer Rechtsruck in puncto Fluchtmigration die AfD auch immer […] The post Koalitionsvertrag: Diese Migrationspläne werden nach hinten losgehen appeared first on Volksverpetzer.

Apr 27, 2025 - 00:55
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Koalitionsvertrag: Diese Migrationspläne werden nach hinten losgehen

Gestern haben Union und SPD ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Die dort festgehaltenen Pläne zur Migration haben einen blauen Anstrich. Die AfD muss gar nicht mitregieren, Schwarz-Rot übernimmt ihre zuwanderungsfeindlichen Narrative trotzdem und will sie in die Tat umsetzen. Dabei merkt nicht mal die SPD, dass ein immer weiterer Rechtsruck in puncto Fluchtmigration die AfD auch immer weiter stärkt, siehe aktuelle Umfragen, in denen die AfD an der Union vorbeizieht. Während also nun im Koalitionsvertrag festgehalten wurde, dass so gut wie jede legale Fluchtroute für Schutzsuchende nach Deutschland abgeschafft wird, sollen sogar die von juristischen und humanitären Kreisen scharf kritisierten Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen kommen. Doch genau dieser Plan könnte komplett nach hinten losgehen und so gar nicht das erzielen, was sich Merz & Co. erhoffen. Wir schauen auf drei konkrete Punkte aus dem Koalitionsvertrag, bei denen sehr viel Chaos-Potenzial besteht.

1. Zurückweisungen an den Grenzen: faktisches Ende von Schengen – auch von GEAS?

Schwarz-rot möchte Asylsuchende an den deutschen Grenzen zurückweisen und die Grenzkontrollen fortsetzen. Der Grund: Der Außengrenzschutz (also an den europäischen Außengrenzen) sowie die Dublin- und GEAS-Regelungen funktionieren nicht.

Koalitionsvertrag S. 93

Wir recappen kurz: die Dublin-Regelungen funktionieren in der EU in der Tat, gelinde gesagt, nicht besonders gut. Das ist leider nichts Neues. Länder, in denen viele Flüchtlinge aufgrund der geographischen Lage ihrer Herkunftsländer oftmals gezwungenermaßen zuerst ankommen (Griechenland, Italien, Spanien z.B.), sind häufig überlastet und die gerechte Verteilung von Geflüchteten in die europäischen Mitgliedsstaaten funktioniert schlecht. Denn: Auch im Zuge der EU-Asylrechtsreform bleiben rechtliche Schlupflöcher. Möchte ein EU-Land keine Schutzsuchenden aufnehmen, kann es sich im Gegenzug entweder “freikaufen“, Grenzbeamte entsenden oder Projekte in Drittländern finanzieren.

Doch anstatt weiterhin auf europäischer Ebene auf Lösungen zu pochen und alle Mitgliedsstaaten endlich in Verantwortung zu ziehen, setzt Deutschland jetzt auf einen nationalen Alleingang. In einer Sache wie der Asylpolitik, die als Europäische Union NUR zusammen gedacht werden kann, ist das nicht nur egoistisch, sondern schlichtweg nicht lösungsorientiert. Das geplante Vorgehen könnte sogar dazu führen, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) als solches platzt. Wie genau? Wenn Deutschland macht, was es will, werden es alle anderen Länder auch machen. Dazu ein kurzer geschichtlicher Exkurs zu einer der größten Errungenschaften der EU, um die uns die ganze Welt beneidet. 

Rechtswidrige Grenzkontrollen?

1995 setzten sieben EU-Staaten, darunter Deutschland, das Schengen-Übereinkommen in Kraft. Heute umfasst der Schengen-Raum insgesamt 26 Staaten: 22 der 27 EU-Mitgliedsstaaten sowie die Nicht-EU-Mitglieder Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz. Und weg mit den lästigen Personenkontrollen, doch auch andere Arten der Zusammenarbeit sieht Schengen vor, wie eine verstärkte Zusammenarbeit von Polizei und Justiz, eine gemeinsame Visa-Politik sowie gemeinsame Regeln für die Kontrollen an den Außengrenzen. Seit 2015 führen einige EU-Länder wieder Grenzkontrollen durch, wie du auf der Karte (gestrichelte Länder) sehen kannst. 

Screenshot Bundeszentrale für politische Bildung

Doch die dadurch entstehenden Staus an den Grenzen sind nicht nur nervig (und kosten unsere Wirtschaft etwa so viel wie das prognostizierte Wirtschaftswachstum für 2025) – die Grenzkontrollen könnten sogar rechtswidrig sein. Ausgerechnet gestern, parallel zur Vorstellung des Koalitionsvertrages, urteilte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, dass die Verlängerung von Grenzkontrollen zu Österreich zumindest in einem Fall rechtswidrig war. Ein Österreicher hatte geklagt und Recht bekommen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die rechtspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Clara Bünger, meint, dass das Einzelfallurteil auch auf die gesamte Grenzkontrollsituation zu Österreich und anderen Ländern übertragbar sei.

Pünktlich zur Vorstellung des Koalitionsvertrags bestätigt ein Gericht, dass Grenzkontrollen und Zurückweisungen rechtswidrig sind.Und was macht die Koalition?Schreibt sie trotzdem rein.Rechtsbruch mit Ansage.— Clara Bünger (@clarabuenger.bsky.social) 2025-04-09T13:11:24.247Z

Mehr Asylanträge in Deutschland bei faktischer Sprengung von Schengen und GEAS?

Fakt ist, dass die Grenzkontrollen im krassen Widerspruch zum Schengen-Abkommen und zur europäischen Idee als solche stehen. Wie der Verfassungsblog stichhaltig argumentiert, wird auf die neue Koalition eine Welle an verwaltungsgerichtlichen Verfahren zukommen, sollten die Zurückweisungen an den Grenzen kommen. Denn: Österreich kündigte bereits an, die geplanten Zurückweisungen nicht akzeptieren zu wollen. Auch Polen stellt sich quer. Neben diesem selbstgemachten Problem könnte Deutschlands Alleingang „das Ende des europäischen Asylsystems anstoßen, wie wir es kennen”. Und weiter:

„Mit einem faktischen Ende von Schengen droht unter Umständen jedoch ein Ende des europäischen Asylsystems. So sind Schengen und Dublin historisch eng miteinander verbunden. In den Jahren 1985–2000 [Anm. d. Red.: also vor der flächendeckenden Umsetzung des Schengen-Abkommens] wurden zwei Drittel aller Asylanträge in Europa in Deutschland gestellt, sodass bei einem Ende des europäischen Asylsystems eventuell mehr Asylanträge in Deutschland die Folge sind.“

Am Ende könnte das bedeuten: Mehr Asylanträge in Deutschland, weil Merz & Co. auf einen Alleingang setzen und damit Schengen und GEAS sprengen könnten. Das ist doch genau das Gegenteil des vorgegebenen Ziels und, am allerschlimmsten: die Leidtragenden werden wieder Schutzsuchende sein, die zwischen Ländern hin- und hergeschoben werden, die sich alle nicht zuständig fühlen wollen.

2. Koalition will nicht „ordnen und steuern“, sondern in die Irregularität drängen

Alle Jahre wieder kommt (mehrfach) der Mythos des sogenannten „Pull-Faktors Sozialsystem“. Der ziemlich menschenfeindliche Gedankengang: Menschen würden gar nicht nach Deutschland fliehen wegen Verfolgung etc., sondern weil sie vom deutschen Sozialsystem profitieren wollen. Dies entbehrt jeglicher Logik. Denn das, was monatlich von den Asylleistungen übrig bleibt, KANN gar nicht Grund genug sein, die oft exorbitant teure und nicht selten lebensgefährliche Flucht auf sich zu nehmen. Auch wissenschaftlich ist der Mythos „Pull-Faktor“ längst widerlegt und das „Push-Pull-Modell“ in Migrationswissenschaften von vielen Forscher:innen als überholt kritisiert, wie wir hier beleuchtet haben:

Doch auch die Koalition in spe hält es für nötig, wissenschaftlich widerlegte Mythen in den Koalitionsvertrag aufzunehmen:

Koalitionsvertrag Seite 92

Mehr noch: wer unbedingt Migration „ordnen und steuern“ möchte, kann nicht auf der nächsten Seite (Koalitionsvertrag Seite 93) schreiben, dass alle legalen Fluchtwege (Familiennachzug, UN-Resettlement-Programme etc.) abgeschafft werden sollen. Denn vor allem mit diesen Mitteln könnte man bewirken, dass Schutzsuchende nicht länger gezwungen werden, auf lebensgefährlichen Routen nach Europa zu flüchten (z.B. durch die Sahara und übers Mittelmeer).

Instagram Pro Asyl

Es hat sich also bewahrheitet, was wir bereits nach der Vorstellung des Sondierungspapiers befürchtet haben. Merz möchte MEHR „irreguläre“ Migration:

3. Gerichte zweifeln an sicheren Herkunftsstaaten – schwarz-rot will mehr davon?

Union und SPD haben zwei hochaktuelle Gerichtsurteile wohl nicht gelesen oder schlichtweg ignoriert. Zur Erinnerung: Gerade stuft Deutschland neben den EU-Staaten auch Albanien, Bosnien & Herzegowina, Georgien, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Moldau, Serbien und den Senegal als sogenannte „sichere Herkunftsstaaten“ ein. Asylanträge aus diesen Ländern werden in großer Mehrheit abgelehnt.

Diese Liste möchten Union und SPD jetzt um Algerien, Indien, Marokko und Tunesien erweitern:

Koalitionsvertrag Seite 93

Das ist hochbrisant, denn mehrere Gerichte kippen gerade die Einstufung von Staaten als „sicher“ und zweifeln an ihrer Rechtmäßigkeit. Erstes Beispiel: Der Oberste Gerichtshof Griechenlands urteilte, dass die Türkei kein „sicherer Drittstaat“ ist, die Folge könnte sogar womöglich das Ende des EU-Türkei-Deals sein. Jetzt ist die Türkei richtigerweise nicht als sicherer Herkunftsstaat kategorisiert, sondern als „sicherer Drittstaat“. Heißt: Durch den Deal sollen Flüchtlinge davon abgehalten werden, von der Türkei aus weiter nach Europa zu fliehen. Dennoch hat das Urteil wegweisenden Charakter.

Und auch ein deutsches Gericht meldet Bedenken an. Erst kürzlich zweifelte das Verwaltungsgericht Berlin an der Rechtmäßigkeit der Einstufung Georgiens als „sicheren Herkunftsstaat“. In Georgien steht Queerfeindlichkeit hoch im Kurs. Dadurch, dass Georgien ein sicheres Herkunftsland ist, ist es nicht nur für queere Asylbewerber:innen schwieriger, in Deutschland Schutz zu finden. Auch staatlich verfolgte queere Menschen aus Georgien, die in Deutschland leben, können leichter abgeschoben werden. Ähnliches droht bei weiteren Staaten, die nun auf die Liste „sicherer Herkunftsstaaten“ gesetzt werden sollen und in denen Minderheiten Verfolgung und Gewalt ausgesetzt sind. 

Mehr Härte, wofür? Für die AfD?

Nur wenige Asylanträge wurden 2024 von Menschen aus den geplanten neuen „sicheren Herkunftsstaaten“ gestellt.

Screenshot Mediendienst Integration

Insgesamt 3,25 Prozent aller Asylanträge 2024 wurden von Menschen aus Marokko, Algerien, Tunesien und Indien gestellt. Ein Bruchteil also lediglich. Wofür dann die Einstufung? Möchte man auf Teufel komm raus Härte zeigen und der AfD nach dem Mund reden? Nur damit es nicht einmal etwas bringt, was die AfD dann noch attraktiver erscheinen lässt?

Fazit: Migrationspläne wider jegliche Vernunft (& Rechtsgrundlage)

Die aktuellen Umfragen zeigen eindeutig: Wer in der Asylpolitik immer weiter nach rechts rückt und dabei sogar den Rechtsrahmen sprengt, wie das bei vielen Vorhaben der schwarz-roten Koalition absehbar ist, tut sich selbst keinen Gefallen, sondern stärkt stattdessen noch mehr die rechtsextreme AfD.

In der Asylpolitik scheint es nur in eine Richtung zu gehen: Verschärfungen, mehr Härte, „Rückführungsoffensiven“. Neben den oben erläuterten drei Punkten (mehr Analysen zum Thema findest du auch in Zukunft beim Volksverpetzer) sollen laut Koalitionsvertrag übrigens auch:

  • das Verbindungselement bei einer potenziellen Drittstaatenregelung gestrichen werden.
  • statt Amtsermittlungsgrundsatz jetzt Beibringungsgrundsatz im Asylverfahren gelten.
  • Ausweisungen bei Straftaten erfolgen – auch bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.
  • Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien durchgeführt werden.
  • die Bereitstellung eines Pflichtanwalts bei Abschiebehaft gestrichen werden.
  • Dauerhafter Ausreisearrest durchgesetzt werden.
  • Mehr Abschiebehaftplätze geschaffen werden.
  • Flugunternehmen zu Abschiebungen gezwungen werden.

Klar sind das alles bisher Absichtsäußerungen, an der Umsetzung kann und wird es an vielen Stellen stocken. Doch schlussendlich scheiterte die SPD daran, den Koalitionsvertrag in puncto Migration zumindest ein wenig humaner zu gestalten. Am Ende steht im Koalitionsvertrag jeder einzelne Punkt des Sondierungspapiers drin, den wir noch vor einem Monat kritisierten:

Ist das etwa die Migrationswende, die wir brauchen, um 400.000 Zuwandernde pro Jahr zu gewinnen, um die gigantische Lücke bei Arbeitskräften anzugehen? Die wir brauchen, um „zu unserer humanitären Verantwortung“ (Koalitionsvertrag Z. 2959f.) zu stehen? Machen wir uns nichts vor: In puncto Migration ist dieser Koalitionsvertrag die Erfüllung von rein blauem Wunschdenken, das jetzt dank der Union & der SPD auf den Weg gebracht wird.

Artikelbild: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

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