In Deutschland herrscht „Ladeangst statt Reichweitenangst”
1500 Betreiber, unklare Preise und Roaming-Gebühren: Die Ladeinfrastruktur bleibt komplex – doch es gibt erste Ansätze zur Vereinfachung. Der Beitrag In Deutschland herrscht „Ladeangst statt Reichweitenangst” erschien zuerst auf Elektroauto-News.net.

Beim Panel „Fast charging the future: How EV charging infrastructure will evolve in Germany and Europe“ der Automotive Masterminds in Berlin diskutierten am 6. Mai 2025 zwei wichtige Akteure der Ladeinfrastruktur über die Herausforderungen und Perspektiven der E-Mobilität: Dr. Sylvie Römer, Geschäftsführerin von ChargeHere, und Christian Hahn, CEO von Hubject. Im Fokus stand die Frage, wie der Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland und Europa beschleunigt und massentauglich gestaltet werden kann. Warum Ladeangst heute in vielen Köpfen relevanter ist als Reichweitenangst – und was wirklich getan werden muss – zeigt unser Rückblick auf das Gespräch.
Wie sehr der Alltag an der Ladesäule über Erfolg oder Frust entscheidet, machte Dr. Sylvie Römer gleich zu Beginn des Panels deutlich. Denn nicht die Reichweite der E-Autos sei das Problem, sondern die Erfahrung beim Laden: „Es gibt ein neues Phänomen – die Charging Anxiety. Läuft alles reibungslos? Kann ich einfach bezahlen? Ist der Preis transparent?“ Sie schilderte eindrücklich eine Szene, in der ein Kunde an einem neu eröffneten Ladehub zunächst zögerte, weil er Angst hatte, beim ersten Versuch einen Fehler zu machen. Aus ihrer Sicht ein Sinnbild für die mangelnde Nutzerfreundlichkeit vieler öffentlicher Ladeangebote.
Christian Hahn, dessen Unternehmen Hubject als Roaming-Plattform Ladesäulenbetreiber und Mobilitätsdienstleister vernetzt, betonte ebenfalls die Notwendigkeit, die Komplexität für Nutzer:innen zu reduzieren: „Was wir brauchen, ist eine einfache, digitale Customer Experience – so wie man heute sein Smartphone nutzt.“ Er sieht die Branche zwar noch in einer Lernphase, verweist aber auf Fortschritte: „Heute können über 95 Prozent der öffentlichen Ladepunkte mit nur einer App genutzt werden.“ Doch genau diese Vielfalt an Zugängen führt auch zu einer unübersichtlichen Preisstruktur – ein Punkt, der in der Diskussion mehrfach kritisch angesprochen wurde.
Flatrates und Tarifdschungel – das Preisthema bleibt zentral
Ein wiederkehrendes Thema war die Preisgestaltung. Römer kritisierte, dass die fehlende Preistransparenz Nutzer abschreckt. „Wir haben in Deutschland keine Preisanzeigen an den Ladesäulen – das wäre bei Tankstellen undenkbar“, so die ChargeHere-Chefin. Hahn ergänzte, dass es zwar gesetzliche Regelungen zur Preisangabe gebe, die Realität aber eine Vielzahl unterschiedlicher Betreiber mit eigenen Systemen sei: „In Deutschland gibt es rund 1500 registrierte Betreiber öffentlicher Ladesäulen – von großen Playern bis zum Bäcker Müller mit einer Säule vor der Tür. Das macht die Standardisierung so komplex.“
Hahn sieht aber auch Fortschritte: „Wir erleben gerade erste Experimente mit Flatrate-Angeboten und werden – wie einst im Telekommarkt – eine Konsolidierung erleben.“ Zugleich betonte er, dass viele Roaming-Gebühren notwendig seien, um das wirtschaftliche Überleben vieler Dienstleister zu sichern: „Die Margen sind eng, die Auslastung oft niedriger als geplant.“ Besonders kleinere Betreiber stünden unter Druck, da Investitionen in Ladeinfrastruktur häufig auf Basis optimistischer Auslastungserwartungen erfolgt seien – Erwartungen, die sich nicht immer erfüllt haben.
Gleichzeitig sind viele Dienstleister von Investoren getragen, die mittelfristig auf Rendite hoffen. „Es gibt einen enormen ökonomischen Druck – sowohl auf die CPOs als auch auf die EMPs“, so Hahn. Das führe dazu, dass Innovationen zurückhaltend angegangen würden, weil die Priorität aktuell eher auf Stabilisierung als auf Expansion liege.
Wohnsituation als strukturelle Hürde
Ein weiterer zentraler Punkt: Der Zugang zu Ladeinfrastruktur im Wohnumfeld. Römer sieht hier großen Nachholbedarf: „50 Prozent der Menschen in Deutschland leben in Mehrfamilienhäusern und haben keinen Einfluss auf die Ladeinfrastruktur in ihrer Tiefgarage.“ Sie forderte: „Wir müssen es einfacher machen, für Mieter und Eigentümergemeinschaften Ladepunkte zu installieren – mit fairen Preisen, einfachen Prozessen und Integration von Solarlösungen.“
Auch Hahn stimmte zu: „Die Elektrifizierung des Hauses mit Solaranlage, Batteriespeicher und Ladepunkt muss als Ganzes gedacht werden. Es ist teuer, aber entscheidend für die Energiewende.“ Der entscheidende Hebel liege aus seiner Sicht in der intelligenten Nutzung von selbst erzeugtem Strom – insbesondere angesichts der Tatsache, dass Einspeisung ins Netz durch negative Börsenstrompreise zunehmend unattraktiv werde. „Wenn ich meinen Solarstrom nicht mehr gewinnbringend einspeisen kann, sollte ich ihn wenigstens effizient selbst nutzen – etwa durch das Laden meines E-Autos.“
Damit dies gelingt, brauche es nicht nur technische Lösungen, sondern auch regulatorische Rahmenbedingungen, die Investitionen in dezentrale Energie- und Ladeinfrastruktur attraktiver machen. Beide Panelisten forderten daher politische Klarheit und gezielte Förderung – nicht nur für große Ladeparks, sondern vor allem für Mehrfamilienhäuser und Bestandsimmobilien, wo der Nachholbedarf besonders groß sei.
Mit Blick auf die Zukunft sehen beide Panelisten vor allem in der Digitalisierung große Chancen. Die Einführung von Plug & Charge – also das automatische Starten des Ladevorgangs durch Einstecken ohne App oder Karte – sei ein Meilenstein. Hahn erklärte: „Plug & Charge ist nicht nur ein Tesla-Feature – mittlerweile laufen über drei Millionen E-Autos in Europa damit.“ Durch neue EU-Regularien müsse bald jede öffentliche und halböffentliche Ladesäule diesen Standard unterstützen. Die Branche habe nun sechs Monate Zeit zur Umsetzung.
Einigkeit im Ziel – E-Mobilität als Schlüssel zur Unabhängigkeit
Am Ende des Panels wurden beide Panelisten nach der einen Stellschraube gefragt, die den Ausbau der Ladeinfrastruktur entscheidend beschleunigen könnte. Für Dr. Sylvie Römer war die Antwort eindeutig: „Bezahlbarkeit.“ Denn gerade für Menschen mit geringerem Einkommen dürfe der Umstieg auf E-Mobilität nicht an den Lade- und Stromkosten scheitern. Christian Hahn ergänzte: „Bezahlbarkeit – aber auch Unabhängigkeit.“ Er verwies auf die immensen Kosten, die Deutschland jährlich für den Import fossiler Energieträger aufbringt – allein im vergangenen Jahr rund 80 Milliarden Liter Kraftstoff. „Wenn wir uns wirklich von fossilen Kraftstoffen befreien wollen, müssen wir in Elektromobilität investieren – nicht halbherzig, sondern konsequent.“
Die Diskussion machte deutlich: Der Aufbau einer funktionierenden Ladeinfrastruktur ist keine rein technische Aufgabe. Es geht um Nutzerfreundlichkeit, faire Preise, digitale Lösungen und verlässliche politische Rahmenbedingungen. Erst wenn all diese Elemente zusammenspielen, kann aus Ladeangst Vertrauen entstehen – und Elektromobilität zu einer echten Option für alle werden
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