Gleichstellung: Das Ehegattensplitting hat ausgedient: Zeit für Familienförderung
Das Ehegattensplitting fördert Alleinverdiener-Ehen – meist zum Nachteil von Frauen. Kann sich das Land die teure Subvention noch leisten, während drei Millionen Familien leer ausgehen?

Das Ehegattensplitting fördert Alleinverdiener-Ehen – meist zum Nachteil von Frauen. Kann sich das Land die teure Subvention noch leisten, während drei Millionen Familien leer ausgehen?
Verbundenheit, Familienplanung, Sicherheit, Tradition – gute Gründe für die Ehe gibt es viele. Ein Beweggrund sind aber auch Steuern. Denn mit einer Hochzeit geht häufig nicht nur ein gemeinsamer Nachname einher, sondern auch eine gemeinsame Steuererklärung. Durch eine Zusammenveranlagung können Ehepaare oft erheblich Steuern sparen. Das liegt am Ehegattensplitting.
Von dem Modell profitieren Alleinverdiener-Ehen besonders, Frauen sind meist die Verliererinnen. Zudem gehen Familienkonstellationen ohne Trauschein leer aus. Über eine Reform wird seit Jahrzehnten gestritten, eine Reform jedoch war bisher nie ernsthaft in Sicht.
Ehegattensplitting fördert die Alleinverdiener-Ehe
Das Prinzip des Ehegattensplittings ist simpel: Egal, wie viel die Eheleute jeweils tatsächlich verdienen, das Finanzamt besteuert sie so, als wenn jeder genau die Hälfte des gemeinsamen Einkommens erhalten hätte. Im Gegensatz zur Einzelveranlagung kann das einen viel niedrigeren Steuersatz und folglich eine geringere Steuerlast ergeben. Besonders vorteilhaft wirkt das Splitting, wenn einer deutlich mehr verdient als der andere. So etwa in Familien, in denen einer Vollzeit und der andere in Teilzeit arbeitet. Oder wenn ein Partner ganz zu Hause bleibt und gar kein eigenes Einkommen hat, etwa der Kinder wegen. Verdienen Partner dagegen annähernd gleich viel, macht eine Ehe steuerlich kaum einen Unterschied.
Vom Vorteil des Ehegattensplittings können Verheiratete sogar schon während des laufenden Jahres profitieren: Dazu wählen sie für den monatlichen Lohnsteuerabzug die Steuerklassenkombination 3/5. Diese Option berücksichtigt den Splittingtarif bereits unterjährig pauschal: Der Partner in Klasse 3, meist der Besserverdienende, hat besonders wenig Steuerabzüge vom Lohn. Die steuerliche Hauptlast trägt der andere in Klasse 5.
Splitting-Debatte offenbart tiefgreifenden Konflikt
Große Einkommensunterschiede ermöglichen große Steuervorteile – Ehegattensplitting und Steuerklassenkombination 3/5 sehen viele als Symbol eines traditionellen Ehemodells mit einem Hauptverdiener. Während die einen es überwinden wollen, möchten die anderen es bewahren. Bei ihrer Argumentation beziehen sich beide Seiten auf Artikel 6 des Grundgesetzes. Dort heißt es: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“
Die Ehe ist eine Solidar- und Wirtschaftsgemeinschaft. Eheleute übernehmen Verantwortung füreinander, auch finanziell. Dem darf der Staat auch steuerlich Rechnung tragen. „Dies impliziert allerdings nicht zwingend die Anwendung des Splittingverfahrens“, heißt es in einem Gutachten des wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums.
Auch das Argument, das Ehegattensplitting fördere Familien, trägt nicht mehr uneingeschränkt. Zum Beispiel, weil heutzutage jedes dritte Kind außerhalb ehelicher Gemeinschaften geboren wird. Etwa 35 Prozent der Familien mit Kindern unter 18 Jahren haben im Jahr 2023 nicht vom Splitting profitiert – das sind etwa drei Millionen Familien, die ohne den Steuervorteil auskommen müssen. Zu ihnen gehören neben unverheirateten Paaren auch 1,7 Millionen Alleinerziehende. Aber auch Ehepaare, die sich nicht zusammen zur Steuer veranlagen lassen oder deren Einkommen zu gering ist, als dass ein Splittingvorteil entstünde. Andererseits sind mehr als die Hälfte der Ehepaare kinderlos, und profitieren trotzdem steuerlich. Das Ehegattensplitting fördert also zunächst einmal die Ehe, ob Kinder geboren werden oder nicht.
Ehegattensplitting: eingeführt unter Konrad Adenauer
Bei Einführung des Ehegattensplittings im Jahr 1958 waren die Verhältnisse noch andere: Es wurden doppelt so viele Ehen geschlossen wie heute, die Scheidungsrate lag bei gerade einmal zehn Prozent, und nichteheliche Kinder widersprachen dem gesellschaftlichen Verständnis von sittlicher Lebensführung. Im Nachkriegsdeutschland sollte der Steuervorteil vor allem die Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter würdigen.
Der Streit um das Ehegattensplitting offenbart also einen tieferliegenden Konflikt: Was ist Familie heute und wen will der Staat unterstützen? Da gehen die Meinungen auseinander.
Internationale Kritik am deutschen Ehegattensplitting
In der Vergangenheit haben schon die OECD und die EU-Kommission Deutschland mehrfach für das Ehegattensplitting getadelt. Es fördere Familien mit nur einem Erwerbstätigen und halte weniger verdienende Ehepartner davon ab, Arbeitsstunden aufzustocken. Wer in Deutschland als Ehepartner eine Beschäftigung aufnimmt und damit zum Zweitverdiener in der Ehe wird, muss nach Berechnungen der OECD eine Steuer- und Sozialabgabenlast von 55 Prozent tragen.
Verliererinnen des Ehegattensplittings sind demnach überwiegend Frauen. Schließlich arbeiten deutlich häufiger als Männer in Teilzeit. Nach Daten von Eurostat üben 48,8 Prozent der Frauen eine Teilzeittätigkeit aus. Im EU-Vergleich ist das nur in Österreich, der Schweiz und den Niederlanden noch häufiger der Fall. Bei erwerbstätigen Frauen mit Kindern liegt der Teilzeit-Anteil sogar bei 66 Prozent, so Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Dieser Wert blieb in den vergangenen zehn Jahren nahezu konstant. Vor allem in Kombination mit steuer- und sozialabgabenfreien Minijobs sowie fehlenden Betreuungsmöglichkeiten für den Nachwuchs hält der Splittingtarif Frauen in einer traditionellen Rollenverteilung, so die Kritik. Ihnen drohen nicht nur steuerliche Nachteile, sondern auch finanzielle Einbußen im Trennungsfall oder im Alter.
Eine Reform der ehelichen Besteuerungsregeln könnte Frauen demnach motivieren, mehr zu arbeiten und gleichzeitig dem zunehmenden Fachkräftemangel entgegenwirken. Schließlich bergen Deutschlands gut ausgebildete Frauen großes wirtschaftliches Potenzial. Darauf zu verzichten, kann sich das Land eigentlich schon lange nicht mehr leisten.
Hinzu kommt: Eine Reform könnte zusätzliche Steuereinnahmen bringen. Den Staat kostet es jährlich 20 Mrd. Euro, die Ehe steuerlich zu subventionieren.
Reform überfällig
Für viele Frauen, unverheiratete Eltern, Patchworkfamilien und Alleinerziehende ist eine Reform des Ehegattensplittings längst überfällig. Einen ersten Aufschlag, dem Ehegattensplitting beizukommen, hatte die Ampelregierung aus SPD, Grüne und FDP gewagt. Ihren Plänen nach sollte die Steuerklassenkombi 3/5 ab dem Jahr 2030 entfallen und betroffene Paare in das Faktorverfahren der Steuerklasse 4 überführt werden. Dieses berücksichtigt die tatsächliche Einkommensverteilung und verteilt die Steuerlast so fairer. Doch mit dem Koalitionsbruch war diese Reform vom Tisch. Um Arbeitsanreize für Zweitverdiener in einer Ehe zu steigern, bräuchte es jedoch eine größere Reform, statt lediglich den Auszahlungszeitpunkt des ehelichen Steuervorteils zu ändern.
Moderne Reformen, die Gerechtigkeit und Geschlechtergleichstellung fördern sollen, müssen die steuerliche Förderung ungleicher Einkommen generell beseitigen. Alternative Modelle wie ein Familiensplitting oder einer Individualbesteuerung stehen zur Diskussion. Begleitend sollten ausreichend Angebote bei Bildung und Kinderbetreuung geschaffen und Familien statt Ehen stärker in den Fokus rücken.