Nachrichten über die anderen

Winterlich anmutend und zu kalt war es die letzten Tage. Überwinden musste man sich zu jedem Schritt vor die Tür. Nieselregen gab es noch zwischendurch am Sonntag, damit die Laune garantiert nicht stieg, selbst dann nicht, wenn man sich gegen den inneren Widerstand doch noch zur gesund sein sollenden Bewegung aufgerafft hatte. Frierend schritt ich... Der Beitrag Nachrichten über die anderen erschien zuerst auf Buddenbohm & Söhne.

Mär 17, 2025 - 18:36
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Nachrichten über die anderen

Winterlich anmutend und zu kalt war es die letzten Tage. Überwinden musste man sich zu jedem Schritt vor die Tür. Nieselregen gab es noch zwischendurch am Sonntag, damit die Laune garantiert nicht stieg, selbst dann nicht, wenn man sich gegen den inneren Widerstand doch noch zur gesund sein sollenden Bewegung aufgerafft hatte. Frierend schritt ich um die Blöcke.

Nur hier und da sah ich im Vorbeigehen an manchen Fenstern etwas Buntes im Einheitsgrau der Großstadt. Das waren die saisonal fälligen Tulpen, das vielfarbige Hoffnungsgeblüh. Denn es wird schon noch werden, man weiß es ja. Also zumindest die Jahreszeit.

Teuer sind sie allerdings in diesem Jahr, die Tulpen, besonders teuer, rekordmäßig vielleicht. Wie auch die mit diesem Frühlingszierat verbundene Hoffnung knapp und teuer ist, es passt wieder alles zusammen und fügt sich.

Aber ich kann immerhin, um dem wichtigen Immerhin treu zu bleiben, da es weiterhin sinnvoll wirkt, Gulaschsuppe gegen die Kälte kochen, und auch viel davon. Wir können außerdem heizen und beliebig oft heiß duschen. Es ist nicht alles schlecht, und im Grunde ist es Saus und Braus. Auf dem kurzen Weg zum Bäcker am Morgen sehe ich mittlerweile bis zu zwanzig Menschen, die bei Minusgraden draußen geschlafen haben. Alle paar Meter liegt jemand in einem Eingang, in einem Durchgang, auf einer überdachten Kellertreppe.

Ich sehe Menschen in allen denkbaren Stadien der Verelendung. Angefangen bei solchen, die aufgrund ihres Crack-Konsums oder anderer furchtbarer Umstände an gerade noch zuckende Zombies erinnern, bis hin zu denen, die so aussehen, als hätten sie nur wie zufällig eine Nacht auf der Straße verbracht, kann ja mal passieren. In jedem Schlafsack, auf jedem flachgelegten Karton findet man Stoff für einen Roman, für eine soziologische Abhandlung, für eine zeitkritische Doku. Für eine neue Ethik vielleicht auch, wenn man lange genug nachdenken würde oder überhaupt in ausreichender Tiefe könnte.

Aber wir verblöden leider währenddessen. „Humans have passed peak brain power“, sehe ich nebenbei in einer Schlagzeile bei der Financial Times. Seit 2010 etwa gehe es nach allem Messbaren bergab mit unserem Denkvermögen, steht da, und wer würde da noch widersprechen wollen. Grimmig nicken möchte man vielmehr beim Lesen und so etwas wie „Aber hallo“ murmeln. Weil man es längst gewusst und geahnt hat. Die ganze Zeit hat man es doch schon gesagt, Recht hat man wieder gehabt. Und betroffen wird man kaum sein, denn alle Nachrichten, die sich auf die Gesellschaft beziehen, meinen meistens die anderen, meinen die da draußen.

Die Szenerie beim Brötchenholen weist hier also, das wollte ich nur eben sagen, nach wie vor und einigermaßen eindringlich auf notwendige Relativierungen hin. Kaum kann man dauerhaft daran vorbeidenken, es wird mir bei jedem Gang vor die Tür vielmehr förmlich ins Hirn gedrängt. Das also immer mitdenken und, wenn man diese Möglichkeit in sich noch findet, ab und zu auch fühlen. Es hilft manchmal.

Wenn auch längst nicht immer.

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Währenddessen starb Peter Bichsel, und man kann sich auf Youtube noch einmal eine Viertelstunde mit ihm beschäftigen, was er allemal verdient hat, und dabei einen Blick ins ferne Jahr 1965 werfen.

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