»Generative KI ist die Fast Fashion der Bildwelt«
In der aktuellen PAGE No.4 2025 beschäftigen wir uns mit »KI und Kreativität«. Dazu haben wir nicht nur mit Grafikdesignern und KI-Künstlerinnen gesprochen, sondern auch mit Jingyi Li, spezialisiert auf die Erforschung von Creative Support ...

In der aktuellen PAGE No.4 2025 beschäftigen wir uns mit »KI und Kreativität«. Dazu haben wir nicht nur mit Grafikdesignern und KI-Künstlerinnen gesprochen, sondern auch mit Jingyi Li, spezialisiert auf die Erforschung von Creative Support Tools. Hier das Interview.
Jingyi Li arbeit als Assistant Professor im kalifornischen Pomona an der Schnittstelle von Technologie und Kunst – und ist auf die Erforschung von Creative Support Tools spezialisiert.
Du forscht zu Creativity Support Tools, zu kreativitätsfördernden Werkzeugen. Versteht man darunter quasi alle vom Pinsel über die Töpferscheibe bis hin zu KI jetzt?
Jingyi Li: Ganz genau. Es geht dabei um alle Werkzeuge, die man benutzen kann, um etwas Kreatives zu schaffen. Allerdings ist der Begriff etwas ungenau, denn etwas Kreatives schafft man zum Beispiel auch bei Kochen. (lacht) Deswegen rede ich selber lieber von Media Authoring Tools.
Und sind AI-Tools wie Midjourney, Dall-E oder Stable Diffusion jetzt ein Quantensprung in dem Bereich dieser Tools?
Einen Quantensprung würde ich sie nicht nennen. Wie viele meiner Kolleg:innen, mit denen ich hier am Institute of Computer Science des Pomona College forsche, bin ich eher kritisch gegenüber generativer KI eingestellt. Natürlich machen diese Maschinen es Menschen einfacher, Bilder zu erzeugen. Aber kann KI wirklich Kunst kreieren? Können wir das, was dabei entsteht, wirklich als Kunst, als Illustration oder Design bezeichnen? Die Informatikerin Timnit Gebru, die seit vielen Jahren zu Künstlicher Intelligenz forscht und bei Google für KI-Ethik zuständig war, unterstreicht immer wieder, dass Kunst, nur von Menschen geschaffen werden kann. Sie argumentiert, dass KI keinen inhärenten Sinn für Kultur hat, da sie nur einen Haufen Daten reproduzieren kann. Und ich schließe mich dem an. Aber natürlich gibt es eine Reihe großartiger Künstler:innen und Kreativer, die KI als neues Medium nutzen, um mit dessen Hilfe sehr interessante Dinge entstehen zu lassen. Aber diese gehen weit über die reine Bilderzeugung hinaus.
Was sind das für Projekte?
Die Arbeit ist schon älter. Aber sehr interessant ist, wie die Künstlerin Anna Ridler in ihrer Installation Myriad (Tulips) das Äußere von Tulpen mithilfe von KI analog zu dem schwankenden Bitcoin-Preis verändert – und so eine Verbindung ins 17. Jahrhundert herstellt, als Tulpen in den Niederlanden ein gehyptes Spekulationsobjekt waren. Skurril sind natürlich Wright Bagwells KI-generierte Turner:innen oder die Videos von Sterling Crispin, in denen Allen Ginsbergs »Howl« als KI-Albtraum performt wird.
Wie beeinflusst das Prompten die Kreativität?
Es wird noch etwas dauern, bis sich wirkliche Veränderungen zeigen. Was wir aber sehen ist, wie Vorurteile und Stereotypen durch die vorhandenen Trainingsets der KI kopiert werden, da deren Grundlage ja das kollektive Gedächtnis ist. Dabei ist das Besondere an Kunst und Design doch eigentlich das individuelle, dass die Arbeiten durch das Wissen, das Erlebte und die Interpretation desjenigen entstehen, der sie gestaltet.
Deswegen ist es für viele Kreative, die handwerklich ausgebildet sind, die aus der Bildhauerei, der Malerei, dem Zeichnen oder der Illustration kommen, schwieriger, sich ganz der KI hinzugeben. Denn dafür müssen sie ihre Kontrolle abgeben und zulassen, dass andere Einflüsse Teil ihrer Arbeit werden.
Kannst du das genauer erklären?
Wenn du etwas zeichnet oder aus Holz schnitzt, hast du alle Informationen direkt vor dir. Du hast den Überblick und die Kontrolle und nutzt deine Sinne und deinen Körper, um auf das Material zu reagieren. KI hingegen ist eine Maschine, in deren Innenleben du nicht hineinschauen kannst. Sie ist eine Black Box. Als Nutzer:in wirst du darüber im Dunkeln gehalten, mit welchen Materialien sie arbeitet. Die Kontrolle haben einzig diejenigen, die die Maschine gebaut haben. Das sind die Leute mit der Macht. Das darfst lediglich Inputs in ihre Blackbox geben, um Outputs zu bekommen und kannst versuchen, herauszufinden, wie die Algorithmen funktionieren. Hast du hingegen ein Stück Holz vor dir, ist das etwas völlig anderes. Da hast du die Kontrolle. Genauso wie über deine Pinsel und Zeichenstifte, die Marker oder Pigmente. Und, im Gegensatz zu Algorithmen, ändert sich auch ihre Zusammensetzung nicht allzu oft. (lacht)
Was bedeutet es, wenn Sprache sich in Bilder übersetzt?
Im Gegensatz zum Zeichnen oder anderen künstlerischen Fertigkeiten, die man sich erst aneignen muss, ist die Sprache unsere natürliche Ausdrucksform. Sie passen gut zusammen und deswegen entwickelt sich die generative KI auch so schnell. Interessant ist sicherlich auch, wenn die KI schließlich auf einzelne Partien in dem eigenen Bild zugreifen kann. Gerade ist es noch sehr schwer, etwas zu zeichnen und der KI dann zu sagen, dass sie nur bestimmte Bereiche generieren soll. Forschungsprojekte wie ControlNet beschäftigen sich damit und es ist interessant, was sich an dieser Schnittstelle entwickelt. Generell bin ich von der visuellen und ästhetischen Qualität von KI-generierten Bildern aber wenig beeindruckt. Sie wirken künstlich, nicht sauber gearbeitet und wie Artefakte.
Bedeutet das angesichts der Bilderflut KI-generierter Visuals, dass der Qualitätsanspruch an Bilder sinkt?
Ich beobachte schon, dass Standards sinken. Aber hoffe, dass es auch wieder eine Gegenbewegung geben wird. Was mich aber viel mehr sorgt ist, wie die Technologie die kulturelle und die kreative Landschaft generell immer stärker dominiert. Für ein Forschungsprojekt haben wir eine Reihe von Künstler:innen und Kreativen dazu interviewt und viele sagten, dass sie programmieren gelernt haben, weil ihr ursprüngliches Handwerk nicht mehr in dem Maße anerkannt wird. Und dass die Technik plötzlich wichtiger ist als die Kreativität, kann man bei der KI-Bilderzeugung sehr gut beobachten.
Gleichzeitig kann diese Flut an Bildern einen schalen Geschmack hinterlassen, oder? Ich muss dabei an ein Überangebot wie beim Shopping denken, dass einen schließlich so satt macht, dass man überhaupt nichts mehr kaufen möchte.
Absolut. Für mich ist generative KI die Fast Fashion der Bildwelt. Quantität geht vor Qualität, KI-generierte Bilder sind ein preiswerter Abklatsch handgefertigter Arbeiten und ersetzen sie zu einem Bruchteil der Kosten durch Massenware mit geringer Lebensdauer. Sie verschlechtern die Arbeitsbedingungen und schädigen die Umwelt.
Siehst du durch KI bereits Veränderungen in der Ästhetik deiner Studierenden?
Wenn ich an zeitgenössische Illustrationen denke, habe ich nicht das Gefühl, dass sie von diesem flachen Stil der KI beeinflusst ist, auch, weil Ästhetik sehr durch das Soziale geprägt ist. Wenn ich an meinen eigenen Illustrationsstil denke, weiß ich, dass er sehr von meinen kunstaffinen Mitschüler:innen geprägt war. Aber auch von der digitalen Kunst, die ich im Internet gesehen habe. Sie kam von Leuten, die etwas älter als ich waren und sehr cool und ich habe mir gewünscht, dass ich eines Tages wie sie zeichnen kann. Menschen werden von der Ästhetik anderer Menschen beeinflusst. Da die KI selbst nicht menschlich ist, glaube ich, dass ihr ästhetischer Einfluss geringer ist. Das spiegeln auch die Arbeiten meiner Studentinnen und Studenten wider und ich hoffe sehr, dass das so bleibt.
Was wünschst du dir für die Zukunft generativer KI?
Dass die besonderen manuellen Praktiken und Fähigkeiten, die wir als Menschen haben, nicht verdrängt werden. Und, dass die Black Boxes geöffnet werden. Die meisten der existierenden KI-Tools stimmen nicht mit unseren menschlichen kognitiven Modellen überein. Sie ignorieren, wie wir Informationen wahrnehmen, verarbeiten und interpretieren und zwingen uns stattdessen, dass wir uns ihnen anpassen. Das muss sich ändern. Anstatt uns weiterhin der KI unterzuordnen, müssen wir in ihre Arbeitsweise eingreifen können und sie selbst bestimmen.