Forschung: Drogenrausch im Andenreich: Wie Psychedelika den Machterhalt sicherten

Archäologen stießen in Peru auf jahrtausendealte Kammern, in denen Herrscher überwältigende Rituale mit bewusstseinserweiternden Drogen durchführten

Mai 5, 2025 - 21:34
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Forschung: Drogenrausch im Andenreich: Wie Psychedelika den Machterhalt sicherten

Archäologen stießen in Peru auf jahrtausendealte Kammern, in denen Herrscher überwältigende Rituale mit bewusstseinserweiternden Drogen durchführten

2000 Jahre bevor das Inkareich die Anden beherrschte, lebten auf den Gipfeln im heutigen Peru Menschen, deren Gemeinschaften Kunst, Architektur und Materialbearbeitung teilten. Sie werden als Chavín-Kultur bezeichnet. Innerhalb weniger Jahrhunderte wandelte sich ihre Gesellschaft von einer egalitären zu einer stark hierarchisch geordneten. Dazu trugen nicht nur landwirtschaftliche Innovationen, handwerkliche Produktion und Handel bei. Sondern auch streng begrenzte Rituale mit bewusstseinsverändernden Drogen.

Diese These vertreten Archäolog*innen der University of Florida, der Stanford-Universität und südamerikanischer Institutionen, die das Ergebnis ihrer jahrelangen Forschung nun in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" vorstellen. Darin liefern sie einen direkten Nachweis für die früheste bekannte Verwendung psychoaktiver Pflanzen in den peruanischen Anden. 

Das Team erforscht die prähistorische Zeremonialstätte Chavín de Huántar in den peruanischen Bergen, dort lebten Menschen im ersten Jahrtausend vor der Zeitenwende. Im Herzen monumentaler Steinstrukturen stießen die Forschenden auf antike Riechröhrchen, die aus hohlen Knochen geschnitzt sind. Die chemische und mikroskopische Analyse der Röhrchen offenbarte Spuren von Nikotin, das von wilden Verwandten des Tabaks stammt, sowie Rückstände von Vilca-Samen, die ein mit DMT verwandtes Halluzinogen beinhalten. Offenbar nutzten die Anführer diese Substanzen nicht nur für ihre persönlichen rauschhaften Visionen, sondern auch, um ihre Macht zu festigen.

Das Archäologieteam stieß auf Röhrchen, geschnitzt aus hohlen Knochen, die zum Inhalieren von Tabak und halluzinogenem Rauschgift dienten
Das Archäologieteam stieß auf Röhrchen, geschnitzt aus hohlen Knochen, die zum Inhalieren von Tabak und halluzinogenem Rauschgift dienten
© Daniel Contreras

Anders als in anderen antiken Kulturen, in denen der gemeinschaftliche Gebrauch von Halluzinogenen üblich war, hatten die Rituale in Chavín einen exklusiven Charakter. Die Archäolog*innen entdeckten die Röhrchen in privaten Kammern innerhalb massiver Steinbauten. Die Räume boten nur einer Handvoll Menschen Platz. Auf diese Weise schufen die Herrschenden nicht nur eine mystische Aura, sondern kontrollierten auch den Zugang dazu.

Auch erschreckende Trips waren willkommen

"Bei der Einnahme von Psychoaktiva ging es nicht allein darum, Visionen zu erleben. Sie waren Teil eines streng kontrollierten Rituals, das wahrscheinlich einigen wenigen Auserwählten vorbehalten war, um die soziale Hierarchie zu festigen", sagt der anthropologische Archäologe Daniel Contreras.

Diese Erfahrungen waren vermutlich tiefgreifend, sogar erschreckend. Denen, die den Rauch einatmeten, mag das wie eine unbegreifliche, übernatürliche Macht erschienen sein. Genau das sei das Ziel gewesen: Indem die Herrschenden von Chavín den Zugang zu den Bewusstseinsveränderungen kontrollierten, etablierten sie eine mächtige Ideologie. Sie ließen ihre Untertanen glauben, dass ihre Führung mit mystischen Mächten verwoben und Teil der natürlichen Ordnung sei.

"Die übernatürliche Welt erschien nicht unbedingt als freundlich, aber als mächtig", sagt Contreras. "Die Rituale, die oft durch psychoaktive Substanzen verstärkt wurden, waren ergreifende, transformative Erfahrungen."

Contreras hat die Stätte fast 30 Jahre lang mit anderen Forschenden untersucht. Das Team unter der Leitung von John Rick, emeritierter Stanford-Professor, vertritt die Auffassung, dass die Zeremonien für die Herausbildung früher Klassenstrukturen von zentraler Bedeutung waren. Im Gegensatz zu Gesellschaften mit Zwangsarbeitern glaubten die Menschen von Chavín wahrscheinlich an die Großartigkeit der Monumente, die sie errichteten. Bestärkt wurden sie darin durch die eindringlichen Rituale.

Darstellung der Kammer, in der die Röhrchen entdeckt wurden. Der Zugang war beschränkt, was darauf hindeutet, dass der Konsum von Psychedelika als besonderes Ritual der Elite vorbehalten blieb
Darstellung der Kammer, in der die Röhrchen entdeckt wurden. Der Zugang war beschränkt, was darauf hindeutet, dass der Konsum von Psychedelika als besonderes Ritual der Elite vorbehalten blieb
© Daniel Contreras

Diese Rituale gingen über die Einnahme von Psychedelika hinaus. Archäolog*innen haben auch Trompeten aus Muschelschalen freigelegt sowie Kammern, die musikalische Darbietungen akustisch verstärkten.

"Die Ideologie war ein Weg, um Ungleichheit zu rechtfertigen oder natürlich erscheinen zu lassen", sagt Contreras. "Gestützt wurde sie durch die zeremoniellen Erlebnisse, die die Menschen beeindruckten."

Die Interpretation des Team soll ein jahrhundertealtes Rätsel der Stätte lösen, die sich in einer Höhe von 3180 Metern befindet. Seit der ersten Ausgrabung vor mehr als 100 Jahren wird Chavín sowohl mit früheren, eher egalitären Gesellschaften als auch mit später entstandenen, von mächtigen Eliten beherrschten, bergumspannenden Reichen in Verbindung gebracht. Der kontrollierte Zugang zu mystischen Erfahrungen könnte helfen, diese drastische soziale Transformation zu erklären.