Erfahrungseffizienz: Was es über dich verrät, wenn du am liebsten schnell wieder gehst
Manche Menschen finden oft nur schwer ein Ende, andere haben meist schon nach wenigen Momenten genug. Was psychologisch dahinterstecken kann, wenn du am liebsten schnell wieder gehen möchtest.

Manche Menschen finden oft nur schwer ein Ende, andere haben meist schon nach wenigen Momenten genug. Was psychologisch dahinterstecken kann, wenn du am liebsten schnell wieder gehen möchtest.
Wie oft ich schon länger irgendwo geblieben bin, als ich wollte, kann ich nicht mehr zählen. Manchmal denke ich schon nach dem ersten Getränk: Jetzt wäre ich bereit zu gehen. Doch wenn sich die Menschen um mich herum dann langsam erst warm quatschen, schlucke ich meinen Impuls mit mindestens einem weiteren Getränk hinunter.
Schließlich möchte ich niemanden vor den Kopf stoßen. Ich möchte nicht anecken, nicht außen vor sein, nichts verpassen. Früh zu gehen, sage ich mir in solchen Situationen, wäre falsch. Es überhaupt zu wollen, sage ich mir damit einhergehend auch, ist falsch. Die Autorin und studierte Psychologin Jodi Wellman würde meiner Einschätzung wohl entschieden widersprechen. In einem Beitrag für "Psychology Today" führt sie aus, warum wir den Drang, schnell wieder zu verschwinden, als "erfahrungseffizient" betrachten können – und warum er ganz klar eine Berechtigung hat.
Länger ist nicht immer besser (für alle)
Zum einen, argumentiert Jodi Wellman, ergibt es mit Blick auf unsere Emotionen und unser Wohlbefinden keinen Sinn, aus Prinzip oder innerem Zwang länger bei einem Anlass zu bleiben, als wir eigentlich wollen. Wenn wir etwas Schönes – oder auch Trauriges – erleben, erfahren wir laut Untersuchungen meist einen bestimmten Moment, an dem unsere Emotionen einen Höhepunkt erreichen. Danach flauen sie in der Regel wieder ab. Bei einem Treffen mit einer Freundin könnten wir diesen Höhepunkt zum Beispiel empfinden, wenn wir ihr endlich erzählen können, was wir seit Tagen auf dem Herzen haben. Oder wenn wir uns mit ihr gemeinsam über die Sonne, unseren Drink oder die leckeren Käsespätzle freuen, die wir uns bestellt haben. Laut der Peak-End-Regel des deutschen Psychologen Daniel Kahnemann erinnern wir uns bei Erlebnissen tatsächlich vorwiegend an und über ihren Höhepunkt sowie ihr Ende an Erlebnisse – nicht aufgrund ihrer Dauer.
Bleiben wir bei einer Verabredung, Party oder sonstigen Unternehmung wiederum lange über unseren Höhepunkt hinaus, setzen wir unser Wohlbefinden damit eher aufs Spiel – schließlich kann unsere Stimmung umschlagen. Besonders bei sensibleren Menschen tut sie das auch oft: Da sie sehr viele Reize und Informationen aus ihrer Umgebung gleichzeitig wahrnehmen, können sie mitunter rasch an einen Punkt gelangen, an dem sie ihr Höchstmaß an Eindrücken erreicht haben. Strömt darüber hinaus immer noch mehr auf sie ein, kann es sie überfordern, alles zu verarbeiten.
Ähnliches gelte Wellman zufolge für Personen, die tendenziell tiefgründig, kreativ und komplex denken. In beiden Fällen kann gemäß der Cognitive-Load-Theorie bei den betreffenden Menschen die mentale Energie, die sie investieren, jene, die sie dabei gewinnen, schnell übersteigen, wenn sie entgegen ihrer eigenen Impulse länger bleiben. Und das ist bei Freizeit-Aktivitäten in der Regel nicht das Ziel.
Was ist wertvolle Zeit?
Allerdings unterscheiden sich Menschen darin, was sie in ihrer Frei- oder Lebenszeitgestaltung gerne unterbringen möchten, stellt die Psychologin heraus. Einige genießen es, sich treiben zu lassen und eine Welle so lange zu reiten, wie sie sie trägt. "Erfahrungseffiziente" Personen haben oft mehrere Ideen und Wünsche, auf die sie gerne eingehen würden und die manchmal widersprüchlich sein können. Zum Beispiel möchten sie sich etwa nach einem fordernden Arbeitstag einerseits selbst für sich sortieren, sich aber andererseits auch mit Freundinnen treffen. Kurz gehalten ginge vielleicht beides, ausufernd allerdings nicht.
Für diese Menschen kann es sich laut Untersuchungen geradezu schmerzhaft anfühlen, wenn sie in einer Situation feststecken, die sich für ihr Empfinden zu lange hinzieht. Sie denken dann an all die anderen Dinge, die sie gerne tun möchten – und wenn es nur ist, rechtzeitig ins Bett zu kommen –, und fühlen sich wie gefangen.
Persönlichkeit: Nicht nur introvertiert
In hohem Maße bestimme auch unsere Persönlichkeit, ob wir erfahrungseffizient sind oder nicht, schreibt Jodi Wellman in ihrem Beitrag. Introvertiertere Menschen neigen beispielsweise dazu, sich schneller wieder aus einer sozialen Runde zurückzuziehen, da Trubel und Gesellschaft ihre Energiespeicher eher leeren. Auch eine ausgeprägte Offenheit, also ein hohes Interesse an neuen Eindrücken, könne Erfahrungseffizienz begünstigen: Besonders aufgeschlossenen, neugierigen Menschen genügt oft schon eine kurze Erfahrung, ehe sie sich auf das nächste Erlebnis einlassen können und möchten.
Erfahrungseffizient oder unersättlich: Beides hat seine Berechtigung
So schwer es uns manchmal fallen mag: Auf unsere individuellen Impulse einzugehen, ist okay. Und von Situation zu Situation können die schließlich variieren. Ich zumindest habe auch schon erlebt, dass ich gerne bis zum Ende geblieben bin – und selbiges mir manchmal sogar zu früh kam. Somit kenne ich mich als beides: Erfahrungseffizient und unersättlich. Mir beide Seiten gleichermaßen zuzugestehen, erscheint mir wichtig und sinnvoll, wenn ich mich langfristig wohl und ausgeglichen fühlen möchte. Und wer weiß? Vielleicht stoße ich ja gar nicht alle vor den Kopf, wenn ich öfter nach dem ersten Kaffee gehe – vielleicht helfe ich einigen sogar dabei, ihre eigene Erfahrungseffizienz zu entdecken.