Der wandelbaren Männer zweiter Teil

Ich lege noch einen Mann an. Also an meinen gestrigen Text, der eine kurze Verwandlung schilderte, den sekundenlangen Latino-Durchbruch am Geldautomaten. Wandelbare Männer scheinen ein Thema zu sein, ein Ding, wie man heute sagt, denn am nächsten Tag gab es schon die nächste und passende Anschlussszene. Von der Grundkonstellation her nicht unähnlich und auch mitten... Der Beitrag Der wandelbaren Männer zweiter Teil erschien zuerst auf Buddenbohm & Söhne.

Mai 7, 2025 - 06:35
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Der wandelbaren Männer zweiter Teil

Ich lege noch einen Mann an. Also an meinen gestrigen Text, der eine kurze Verwandlung schilderte, den sekundenlangen Latino-Durchbruch am Geldautomaten. Wandelbare Männer scheinen ein Thema zu sein, ein Ding, wie man heute sagt, denn am nächsten Tag gab es schon die nächste und passende Anschlussszene. Von der Grundkonstellation her nicht unähnlich und auch mitten aus dem Alltag. In diesem Fall aus der Warteschlange an der Kasse im Drogeriemarkt.

Da stand vor mir einer, der ohne lange Überlegung nach klischeemäßiger Assoziation der Consulting-Branche zugerechnet werden konnte, Merger & Acquisitions vielleicht, Wirtschaftsrecht womöglich, dergleichen. Also in einem Anzug, der deutlich knackiger wirkte als meiner, strammer und slimmer zugeschnitten, frischer gereinigt, besser gebügelt. Neuer sicher auch, teurer natürlich. Dazu ein Haarschnitt, der nach Frisurenmodel aussah. Solche Köpfe werden auf Werbeplakaten abgebildet und ja, manche Menschen sehen erstaunlich gut aus. So viele sind es gar nicht, hier war aber einer davon. Die Rasur selbstredend ebenfalls makellos, trotz der schon etwas späteren Stunde. Glänzende Schuhe, kein Stäubchen an der ganzen Figur, keine Knitterfalte, kein Knick, kein Makel. Es war einer dieser Typen, bei denen ich denke, dass ich das gar nicht kann. So herumzulaufen, das ist mir einfach nicht gegeben, es ist mir beim besten Willen nicht möglich, derart perfekt auszusehen.

Und zwar nicht nur, weil mein Gesicht das nicht hergibt, sondern auch, weil ich nicht einmal einen Anzug so fehlerfrei durch die Gegend tragen könnte. Rundrücken und Bauchansatz, Hängeschultern und stets unerwünschte Falten im Sakko und in der Hose. Was man in einem Spiegel oder Schaufenster nicht alles sieht, wenn man dummerweise an einem vorbeigeht und unabsichtlich hineinsieht. Der Mann da vor mir aber … der sah aus, als hätte man ihn in diese Kassenschlange aus einem Katalog heraus hineingephotoshopt. Oder nein, das macht man heute per AI. Also eher so, als hätte man ihn per Prompt dort hineingezaubert, mitten unter die Durchschnittsbevölkerung und also genau neben mich, kein Tag ohne Demütigung.

Er kaufte Gutscheine für dieses und jenes. Vielleicht waren es Präsente für den Büronachwuchs oder auch für den eigenen, was weiß man schon. Ein ganzes Bündel Gutscheinkarten jedenfalls.

Und dann fand er sein Geld nicht. Oder seine Karte nicht, sein Smartphone vielleicht, womit auch immer er bezahlen wollte. Ein Griff in die eine hintere Hosentasche, dann in die andere. Danach in die vorderen und dann, schon etwas schneller werdend, auch in die Sakko-Innentaschen. Und in die äußeren auch noch. Nichts.

Er machte dann, und die aufkommende Hektik war schnell unübersehbar, seinen Notebook-Rucksack auf und wühlte von Fach zu Fach. Bückte sich fluchend, um mit beiden Händen besser wühlen und graben zu können. Richtete sich wieder auf und dachte so angestrengt nach, dass man es mitfühlen konnte. Ging sämtliche Taschen noch einmal, noch zweimal durch, den Rucksack auch wieder und dann von vorne, bewegte sich immer schneller.

Er geriet dabei zusehends und in flotter Steigerung aus der inneren und äußeren Fassung. Er fing an zu schwitzen beim wiederholten Bücken und Aufrichten, er wurde rot im Gesicht. Nach den bald etwas wilder werdenden Bewegungen hatte er ein aus der Hose hängendes Hemd und ein auf einmal schief sitzendes Sakko an, Nach kurzer Zeit und mehreren Suchdurchgängen durch alle Wegsteckmöglichkeiten am Mann wirkte er fortgeschritten desolat. That escalated quickly.

Er ging schließlich laut mit sich selbst redend aus der Schlange und zum Drehständer mit den Gutscheinen. Er steckte sie alle zurück, sogar in die jeweils richtigen Fächer. Ausgesprochen ordentlich machte er das, dafür reichte die Contenance gerade noch aus. Oder aber es war eine Beruhigungsmaßnahme nach der alten und tatsächlich recht brauchbaren chinesischen Regel: Wenn du es eilig hast, gehe langsam. Die Regieanweisung für seinen Gesichtsausdruck dabei lautete allerdings vollkommen zweifelsfrei: „Nagende Ungewissheit und entnervter Unterlippenzubiss.“ Dann verließ er den Laden unverrichteter Dinge. Erhitzt, erschöpft und derangiert, ein Bild des Jammers.

Mitten im Leben sind wir vom Chaos umfangen. Das immer bei allem mitdenken, so ging es mir durch den Kopf. Und ich tastete vorsichtig und unauffällig kurz nach meinem Portemonnaie. Alles noch da. Immerhin.

Dann verließ auch ich schließlich den Laden. In vergleichsweise gepflegtem Zustand.

Ein Büroneubau am Abend, im oberen Stockwerk ein hell erleuchtetes Fenster

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