Brustkrebs: Lasst mich bitte in Ruhe krank sein
Sabine ist 48 und hat Brustkrebs. Medizinisch fühlt sie sich gut versorgt. Aber welche Erwartungen hat die Gesellschaft an eine Frau und Mutter, die krank ist?

Sabine ist 48 und hat Brustkrebs. Medizinisch fühlt sie sich gut versorgt. Aber welche Erwartungen hat die Gesellschaft an eine Frau und Mutter, die krank ist?
Welche Antwort mich am meisten gekränkt, geärgert, frustriert oder wütend gemacht hat? Ich kann es nicht sagen – weil es viele waren und ständig neue dazukommen. Seit dem 8. Mai 2023, dem Tag der Diagnose, durchdringt mich Todesangst. Den Knoten in der Brust hatte ich selbst ertastet. Meine Tochter war damals sechs Jahre alt, mein Sohn acht. Wie lange würde ich sie begleiten können? Wie viele Geburtstagskuchen für sie backen?
Brustkrebs: Verzerrtes Mutterbild
Bis auf den Nervkram im Alltag war mein Leben vor der Diagnose selbstbestimmt und gut: Partner, Kinder, Haus, Verwaltungsbetriebswirtin in Vollzeit, Sport, ehrenamtlich beim DLRG. Jetzt bin ich krank: Triple-negativ Brustkrebs (TNBC). Der Onkologe sagte, dass es ihm sehr leid täte: Es sei einfach Pech. Mein – nicht medizinisch ausgebildetes – Umfeld aber weiß es besser. Wie eine Kita-Mutter: "Da sieht man, wo man hinkommt, wenn man es macht wie du, Vollzeit und zwei kleine Kinder!" Eine andere: "Kein Wunder bei deinem stressigen Job!
Was ist das für ein Mutterbild? Würde man umgekehrt einen Mann, der Prostatakrebs hat, etwa verurteilen, weil er Vollzeit arbeitet und Kinder hat? Natürlich trafen wir in der Familien-Kur dann auf ganz unterschiedliche Patient:innen: Vollzeit, Teilzeit, in Elternzeit, arbeitslos, alt, jung.
Reaktionen des Umfeldes
Doch zu Hause hieß es mal, ich hätte zu oft Fertigprodukte gegessen und nicht genug frisch gekocht; mal, die Krankheit sei als Chance zum inneren Wachstum gekommen. Wenn ich wütend erwiderte, dass ich mit meinem Leben glücklich war, reagierte die Person beleidigt. Als mein Partner und ich zur Absicherung heirateten, kamen entzückte Kommentare: Was ziehst du an? Welche Frisur? Als ich zurückpampte, dass es nicht schön sei, wegen einer lebensbedrohlichen Krankheit zu heiraten, erntete ich zickige Kommentare. Und die Frisur? Ich habe, privat und teuer, eine Kühlkappe gezahlt, damit weniger Haare ausfallen. Warum muss ich das ausbuchstabieren?
Bei der Lymphdrainage berichtete ich vom Risiko eines Rezidivs. Die Behandlerin: "Sprechen Sie es nicht aus! Sonst kommt es wieder!" Die Psychoonkologin dagegen sagte, dass Gedanken keinen Krebs auslösen – und auch nicht heilen. Trotzdem wurde mir hundert Mal gesimst: Du! Musst!! Positiv!!! Denken!!!! Dabei tobt in mir Wut. Zur Kommunion meines Sohnes wollte meine Schwiegermutter bei uns übernachten, es war mir zu viel: die Organisation der Feier, die Schwäche durch die Chemo, die Bürokratie, mit der man als Kranke konfrontiert ist, die Sehnsucht nach Privatsphäre. Alles für sie nicht relevant, da sie gerade Witwe geworden war. Ich galt als egoistische Schwiegertochter.
Zwischen uns stand mein Mann. Nie habe ich mich so von ihm geliebt gefühlt wie in dem Moment, als er weinend in der Küche stand und mir sagte, dass er mich nicht verlieren will. Trotzdem bin ich neidisch:Er wird den Abiball der Kinder erleben. Vielleicht Enkel haben. In mir lodert Hass auf die Unsensiblen, Bitterkeit über das Pech.
"Deshalb ziehe ich mich zurück"
Anfang 2025, nach Chemo, OP und Bestrahlung ging ich per Wiedereingliederung zurück in den Job. Tage später kam der Krebs zurück, plus Metastasen im Lymphsystem. Wieder Chemo, mit schlechterer Prognose. Ob ich acht Monate oder acht Jahre – mit Krebs – leben werde, kann niemand sagen. Als ich einem Freund erzählte, dass die Behörde intern meine Dienstfähigkeit prüfen wird, meinte er, dass sei richtig so, schließlich werde meine Besoldung von seinen Steuergeldern bezahlt.
Deshalb ziehe ich mich zurück. Nur vom medizinischen Personal und von Menschen, die selbst schwer krank sind oder waren, fühle ich mich verstanden. Was mir hilft? Manche sagen, spürbar betroffen, dass es ihnen leidtäte, dass ihnen die Worte fehlen. Oder fragen, ob sie mich in den Arm nehmen dürfen. Dann kullern bei uns beiden die Tränen.